Freiburg, Theater – LE GRAND MACABRE

von György Ligeti (1923-2006), Oper in vier Bildern, Libretto: Michael Meschke, György Ligeti, UA: 1978 Königliche Oper Stockholm
Regie: Calixto Bieito, Bühne: Rebecca Ringst, Kostüme: Marian Coromina, Licht: Marcus Bönzli, Dramaturgie: Dominica Volkert
Dirigent: Jimmy Chiang, Orchester: Philharmonisches Orchester Freiburg, Opernchor des Theater Freiburg, Choreinstudierung: Bernhard Moncado, Solisten: Gabriel Urrutia (Nekrotzar), Patrick Jones (Piet vom Faß), Leandra Overmann (Mescalina), Jin Seok Lee (Astradamors), Jana Havranova (Clitoria), Sang Hee Kim (Spermando), Lini Gong (Gepopo/Venus), Xavier Sabata (Fürst Go-Go), Klaus Gerber (Weißer Minister), Matthias Flor (Schwarzer Minister), Sergiy Zinchenko (Ruffiak), Leon Warnock (Schobiack), Lorenz Minth (Schabernack)
Besuchte Aufführung: 31. Januar 2010 (Premiere)

Kurzinhalt
freiburg-la-grande-macabre.jpgIm abendlichen Breughelland erscheint der mysteriöse Nekrotzar und verkündet, die Welt werde um Mitternacht untergehen. Gemeinsam mit dem ehemaligen Weinabschmecker Piet vom Faß, der ihm als Pferd dient, zieht er los um die Botschaft zu verkünden. Die ihren Ehemann Astradamors penetrierende Mescalina wünscht sich von Göttin Venus eine lüsterne Nacht. Nachdem ihr dieser Wunsch von Nekrotzar erfüllt wird, stirbt sie, und Astradamors schließt sich der Gruppe an. Am Hof von Fürst Go-Go kommt es daraufhin gemeinsam mit dessen Ministern, der Chefin der Geheimpolizei, und dem Volk zu einem letzten großen Besäufnis. Um Mitternacht gibt es einen großen Knall, der große Verwirrung mit sich bringt. Auch Nekrotzar, der große Makabre, hat im Rausch die Orientierung verloren. Ist die Welt nun untergegangen oder nicht? Schließlich gelangt man zu der Überzeugung, noch am Leben zu sein, da alle noch Durst haben. Die Frage, wer Nekrotzar nun wirklich sei, bleibt offen.
Aufführung
Für Calixto Bieito, bekannt durch seine skandalträchtigen Aufführungen, bietet Ligetis Anti-Anti-Oper eine äußerst dankbare Vorlage. Keine Gelegenheit zu Travestie, Klamauk und derben Karnevalsspielen, die im Libretto überreich angelegt sind, bleibt ungenutzt. So rollt Piet vom Faß zu Beginn des ersten Aktes mit einer fahrbaren Toilettenschüssel auf die Bühne, in die er vom maskierten Nekrotzar zur Strafe hineingetaucht wird. Mescalinas Wunsch nach einer wirklich geilen Nacht kommt der große Makabre mit einem aufblasbaren, Sperma verspritzenden Riesendildo nach, der anschließend unter dem Gelächter des Publikums über selbiges hinweg wandern darf. Zuvor peitscht die wie eine Nonne Gekleidete ihren in Frauenkleidern und Stöckelschuhen steckenden Ehemann in der Gegend herum. Der schwarze Minister am Hof sieht aus wie Angela Merkel. Das Bühnenbild bleibt in allen drei Akten das gleiche, nur die Beleuchtung ändert sich von Zeit zu Zeit: Auf der Drehbühne windet sich in Rundform ein von Pfählen gestützter Holzweg empor, der in eine Plattform übergeht. In der Bühnenmitte befindet sich ein aufgeschütteter Erdhaufen. Daß die Zuschauer vor Beginn der Vorstellung im Foyer ein klingender Altar empfängt, mit dem Tod als Heiligen, rückt die Aufführung in die Nähe lateinamerikanischer Totenfeiern.
Sänger und Orchester
Ob bewegte Klangflächen, sprachähnliche, überzeichnete Gesten, musikalische Parodien aufs Barock bzw. Richard Wagner oder Geräuschhaftes: Es ist beinahe unglaublich, wie perfekt das Philharmonisches Orchester Freiburg unter Jimmy Chiang Ligetis extrem komplexe und technisch schwierige Partitur umgesetzt hat. Die Souveränität, mit der hier zu Werke gegangen wird, reicht dabei von verschachtelten Autohupen- und Türklingelrhythmen bis zum auf der Bühne plazierten Instrumentalensemble, das gegen die Klänge aus dem Orchestergraben anzuspielen hat. Angenehm überrascht ebenfalls das offensichtlich fehlerlose Zusammenwirken von Bühne und Orchester. Sämtliche Darsteller bewältigen ihre zwischen Sprechtext und halsbrecherischen Gesangspassagen schwankenden Parts beeindruckend und mit Lust am Spiel. Das gilt besonders für die vielen vertrackten Ensembleszenen. Herrlich böse und zugleich lustig bewältigt Gabriel Urrutia als Nekrotzar die Hauptrolle, begleitet von einem clownesken Patrick Jones als Piet vom Faß. Beide liefern sich im ersten Akt ein herrliches Duell, wer die bizarreren Koloraturen hinlegt. Zu den weiteren gesanglichen wie schauspielerischen Höhepunkten zählen wohl Leandra Overmann, zunächst als Nonnen-Domina, später als Zombie, und Xavier Sabata als Fürst Go-Go, das sich wie ein Kleinkind gebärdende Staatsoberhaupt. Lini Gong singt als betörende Venus nur in der allerhöchsten Lage, wohingegen sie als Chefin der Geheimpolizei, Gepopo, in abgehackten Phrasen vor sich hin stottert. Klaus Gerber und Matthias Flohr geben als weißer und schwarzer Minister ein wunderbares Paar ab..
Fazit
Ausnahmsweise gab es an diesem Freiburger Premierenabend nur Jubel, keine Buhs. Wer sich für Ligetis Bürgerschreck-Oper nicht zu schade ist, der sollte diesen Le Grande Macabre auf keinen Fall verpassen.
Aron Sayed

Bild: Maurice Korbel
Das Bild zeigt: vorne: Leandra Overmann (Mescalina), Xavier Sabata (Fürst Go-Go)

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