Darmstadt, Staatstheater

Gisei – Das Opfer
von Carl Orff (1895-1982), Musikdrama vom Komponisten, frei nach dem japanischen Drama Terakoya von Takeda Izumo (Regie, Dirigent, Chor und Orchester, UA s. unten.)
Solisten: Aki Hashimoto (Kwan Shusai und Kotaro), Andreas Daum (Matsuo), Oleksandr Prytolyuk (Genzo), Susanne Serfling (Tonami), Anja Vincken (Chiyo), Sven Ehrke (Gemba)

De temporum fine comoedia – Das Spiel vom Ende der Zeiten

Musik und Text von Carl Orff, UA: 20. August 1973, Salzburger Festspiele
Regie: John Dew, Bühne: Heinz Balthes, Kostüme: José-Manuel Vázquez
Choreographische Mitarbeit: Mei Hong Lin
Dirigent: Constantin Trinks, Staatsorchester Darmstadt, Chor, Kinderchor und Extrachor, Chor des Musikvereins Darmstadt, Choreinstudierung: André Weiss
Solisten: Susanne Serfling, Katrin Gerstenberger, Anja Vincken, Aki Hashimoto, Niina Keitel, Gundula Schulte, Margaret Rose Koenn, Yun Jeong Cho, Elisabeth Hornung (Die Sybillen), Lucian Krasznec, Sven Ehrke, Jeffrey Treganza, Oleksandr Prytolyuk, David Pichlmaier, Malte Godglück, Andreas Daum, John In Eichen, Thomas Mehnert (Die Anachoreten), Thomas Mehnert (Der Chorführer), Andreas Daum (Lucifer), Elisabeth Hornung (Alt-Solo), Lucian Krasznec (Tenor-Solo)
Besuchte Aufführung: 30. Januar 2010 (De temporum fine comoedia (Premiere), Gisei (Uraufführung)

Gisei
Kurzinhalt
darmstadt-gisei.jpgMatsuo und Chiyo beklagen das Schicksal ihres Kindes. Chiyo bringt ihren Sohn Kotaro zu Lehrer Genzo in die Dorfschule. Dieser bemerkt sofort die erstaunliche Ähnlichkeit Kotaros mit seinem eigenen Sohn Kwan Shusai, der allerdings nicht sein leibliches Kind ist, sondern der Sohn des ermordeten Kanzlers. Die Gefolgsleute des neuen Kanzlers, Gemba und Matsuo, wissen über Kwan Shusai Bescheid und verlangen seinen Kopf. Um seinen Ziehsohn zu schützen, übergibt Genzo den Gesandten den Kopf Kotaros. Als Chiyo ihren Sohn abholen will, will Genzo sie erschlagen, doch es stellt sich heraus, daß sie den Tod ihres Sohnes vorausgesehen hat. Sie brachte ihn zu Genzo, um ihn zu opfern. Sie und ihr Mann nehmen Abschied von ihrem Kind, Chiyo stirbt.

De temporum fine comoedia
Kurzinhalt
Die Sybillen verkünden das Ende der Welt. Ihren negativen Verkündigungen setzen die Anachoreten, Einsiedler der Wüste, ihre Ansicht entgegen: Niemand wird für seine Taten bestraft, niemand für ewig verdammt. Der Himmel ist eingestürzt, die Sonne verschwunden und die letzten Menschen bitten Gott um das Ende. Das Weltgericht bleibt aus.
Aufführung
Gisei wird traditionell inszeniert: Eine Wand aus Reispapier, ein Kirschbaum darauf gemalt, ein rotes Geländer. Die Uraufführung von Carl Orffs Jugendwerk wird vom Darmstädter Intendanten John Dew bewußt schlicht gehalten. Die Sänger treten auf in weiten Gewändern, mit weiß geschminkten Gesichtern, ruhigen und bedachten Bewegungen, was alles stark an die traditionelle japanische Schauspielkunst erinnert.
De temporum fine comoedia (Zweites Stück des Abends)
Die Bühne ist leer. Eine blaue, durchsichtige Leinwand läßt den Blick auf die Sängerinnen frei, welche dann beim zweiten Werkabschnitt, dem der Anachoreten, gelüftet wird. Nun stehen Masken und Totempfähle auf der Bühne. Zum finalen Teil sieht man die Bühne ohne jegliche Kulisse. Die letzten Menschen erscheinen in Alltagskleidung. Lucifer versinkt am Ende in der rotglühenden Hölle unterhalb der Bühne.
Sänger und Orchester
Oleksandr Prytolyuk (Genzo) war die Verzweiflung über das drohende Schicksal seines Sohnes anzusehen. Er bot eine vollkommen glaubwürdige schauspielerische Leistung. Gesanglich ragte er aus dem Ensemble heraus, wie auch Andreas Daum (Matsuo), der seine Baßpartie hervorragend sang. Eine der emotionalsten Partien des Abends bot Anja Vincken (Chiyo). Ihr Schmerz über den Verlust des einzigen Kindes war in jedem Ton zu spüren, wobei sie ihre Stimme immer klar und weich einsetzte und nie aus der erforderten, typisch japanischen Zurückhaltung ausbrach. Die Masse des erweiterten Chores und das mit Schlagwerk aufgestockte Orchester klangen im Zuschauerraum gewaltig. Der Abend begann mit einem dunklen, tiefen Grollen, das das Darmstädter Staatsorchester unter Constantin Trinks schaurig aus dem leisesten Pianissimo auftauchen ließ. Derlei akustische Feinheiten, mit dem Augenmerk auf Akzentuation und den für den Komponisten charakteristischen perkussiven Elementen, zogen sich durch die gesamte Aufführung. Die Musiker setzten die rhythmischen Vorstellungen Orffs gekonnt um. Den Abschluß von De temporum fine comoedia bildete die Einspielung des Violinkanons aus der 1973er Uraufführung unter Leitung von Herbert von Karajan.
Fazit
Die Uraufführung des Werks eines verstorbenen Komponisten ist eine große Herausforderung an das gesamte Ensemble und die Spielleitung. John Dew und Constantin Trinks zeigten mit ihrer Umsetzung ein gutes Gespür für die Ideen Orffs, dessen Werke seit einiger Zeit in Darmstadt als Reihe aufgeführt werden. Zum Ende hielt es das Publikum im fast ausverkauften Haus nicht mehr auf den Sitzen: Starker Applaus und laute Bravorufe.

Sophia Krüger

Bild: Barbara Aumüller
Das Bild zeigt Andreas Daum (Matsuo) und Anja Vincken (Chiyo)

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