ARIODANTE – Karlsruhe, Badisches Staatstheater

von Georg Friedrich Händel (1685-1759), Dramma per musica in drei Akten, Libretto: anonyme Bearbeitung von Antonio Salvis Ginevra, Principessa di Scozia, nach Ludovico Ariostos Orlando furioso
Regie/Bühne/Kostüme: Peer Boysen, Choreographie: Benito Marcelino, Licht: Gerd Meier, Dramaturgie: Annabelle Köhler
Dirigent: Michael Hofstetter, Badische Staatskapelle, Solo-Violine: Janos Ecseghy, Continuo-Gruppe: Thomas Leininger (Cembalo), Alexander Scherf (Rezitativ-Violoncello), Stefan Maas (Theorbe/Barockgitarre), Stephan Rath und Michael Dücker (Archiliuto)
Solisten: Mika Kares (Il Rè di Sozia), Kirsten Blaise (Ginevra), Franco Fagioli (Ariodante), Bernhard Berchtold (Lurcanio), Diana Tomsche (Dalinda), Ewa Wolak (Polinesso), Barbara De Koy (Odoardo), Benito Marcelino (Benedetto)
Besuchte Aufführung: 19. Februar 2010 (Premiere)

Kurzinhalt
karlsruhe-ariodante.jpgGinevra, die Tochter des schottischen Königs, und Ariodante lieben sich. Der Regent erkennt diese Liebe an und will Ariodante zu seinem Thronfolger machen. Doch auch Polinesso giert nach der Krone und sieht seine Chancen durch die bevorstehende Heirat schwinden. Er gaukelt daher Dalinda, der Hofdame Ginevras, die Erwiderung ihrer Gefühle vor, um mit ihrer Hilfe seinen intriganten Plan zu verwirklichen: Sie soll sich als Ginevra ausgeben und ihn in die Gemächer der Prinzessin führen. Ariodante, der vermeintlich Betrogen, wird für tot gehalten, überlebt aber seinen Suizidversuch. Polinesso trachtet seinerseits Dalinda nach dem Leben. Als sie und Ariodante sich auf ihrer Flucht begegnen wird der Komplott aufgedeckt.
Aufführung
Drei, den jeweiligen Szenen entsprechend gestaltete Raumfragmente auf einer Drehbühne dienen als Kulisse. So kann der Zuschauer mit etwas Phantasie den Akteuren in den Lustgarten, die Gemächer der Prinzessin oder aber auch in den Thronsaal folgen. Kitschig-bunte Kostüme, die wie eine Parodie auf den barocken Prunk wirken, lassen bereits das gewisse Augenzwinkern erkennen, mit dem das Sujet behandelt wird. Die prinzipiell dramatische Handlung um Verleumdung und Liebe erfährt mittels witziger Details immer wieder komische Momente. So erfährt das Publikum am Schluß ausblicksartig, wie es nach dem obligatorischen Happy End mit den Protagonisten weitergeht. Änderungen der Regie tun der Oper jedoch keinen Abbruch, auch wenn prinzipiell keinen Wert auf barocke Bühnenpraxis gelegt wird.
Sänger und Orchester
Das Orchester unter der Leitung eines überragend agierenden Michael Hofstetter war die gesamte Aufführung über für das Auditorium sichtbar. Fast auf gleicher Höhe wie die Bühne positioniert wurde ein imposanter Einblick in den Orchestergraben geboten und schon in der Ouvertüre war klar, daß sich dieses Ensemble zurecht nicht verstecken mußte: Dynamisch facettenreich und technisch einwandfrei widerlegte es die Annahme, barocke Musik sei entweder forte oder piano. Eine beachtliche Leistung bot dabei auch die Continuo-Gruppe, die während der viereinhalbstündigen Aufführung fast pausenlos im Einsatz war.
Schwierig ist es, einem der Sängerinnen oder Sänger nach dieser glanzvollen Premiere den Vorzug zu geben: Alle brillierten mit technischer Perfektion, die sie mit enorm sicheren Koloraturen unter Beweis stellten. Ebenso exzellent und präzise waren die anspruchsvollen Colla-Parte-Abschnitte. Dabei werden ein oder mehrere Melodieinstrumente parallel (unisono) mit der Gesangsstimme geführt, wobei natürlicherweise Temposchwankungen oder Intonationstrübungen besonders auffallen. Das Publikum honorierte diese Abschnitte mit häufigem Szenenapplaus. Vollkommen treffend waren die Gesangspartien besetzt: Kirsten Blaise (Ginevra) überzeugte mit ihrem charakteristischen, in den Höhen kristallklaren Sopran, der auch im piano nie an Ausdruckskraft verlor. Diana Tomsche stellte mit ihrem hellen, schwebenden Sopran eine mädchenhaft unschuldige Dalinda dar. Ewa Wolak als Polinesso zauberte mit ihrem Alt schattenreiche, herbe und liebevolle Emotionen auf die Bühne und bot eine eindrucksvolle schauspielerische Leistung. In nichts standen ihr Bernhard Berchtold (Lurcanio) mit einem erfrischend vibratoarmen, deshalb aber nicht minder ausdrucksstarken Tenor, und Mika Kares (Il Rè di Sozia) mit seinem sonoren Baß nach. Heimliche Vedette des Abends war der argentinische Countertenor Franco Fagioli in der Titelrolle des Ariodante. In schwindelerregendem Tempo trug der die Bravour- und Virtuosenarie Con l’ali di costanza – Mit den Flügeln der Beständigkeit vor und erntete mit Fug und Recht Bravorufe und langen Beifall. Das abgrundtief traurige Scherza, infida – Vergnüge dich, Untreue
erklang bezaubernd und herzergreifend und ließ viel Raum, um seinen großartigen Countertenor voll zu entfalten.
Fazit
Die Inszenierung wurde überwiegend positiv aufgenommen, und es lohnte sich auf jeden Fall, die Oper zu besuchen. Leider sind bereits alle Vorstellungen ausverkauft. Wer auf große Ballettinszenierung hofft wartet allerdings vergebens – die Traumszene am Ende des zweiten Aktes wird ohne Tanz, dafür mit symbolgeladenen Elementen realisiert: Die Kreuzigung Ginevras wurde auch prompt mit einem Buh honoriert. Am Ende allerdings gab es tosenden Applaus für alle Akteure.
Isabell Seider

Bild: Jacqueline Krause-Burberg
Das Bild zeigt v.l.n.r.: Diana Tomsche (Dalinda), Kirsten Blaise (Ginevra), Benito Marcelino (Benedetto, Geistlicher des Königs), Mika Kares (Il Rè di Sozia), Barbara de Koy (Odoardo, Geistlicher des Königs), Bernhard Berchtold (Lurcanio), Franco Fagioli (Ariodante), Ewa Wolak (Polinesso)

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