Teatro dell’Opera di Roma – MOSÈ IN EGITTO

von Gioacchino Rossini (1792-1868), Azione tragico-sacra in drei Akten, Libretto: Andrea Leone Tottola
UA: 5. März 1818, 1. Fassung, 7. März 1819, 2. Fassung, beide in Neapel, Teatro San Carlo
Regisseur: Marco Spada, Bühnenbild/Kostüme: Alessandro Ciammarughi, Licht: Nevio Caviana
(Gemeinsame Inszenierung mit der Opera Monte Carlo. Bei der Aufführung wurde die 2. Fassung genommen)
Dirigent: Antonino Fogliani, Orchestra e Coro des Teatro dell’opera (Andrea Giorgi)
Solisten: Michele Pertusi (Faraone), Giorgio Surian (Mosé), Filippo Adami (Osiride), Anna Rita Taliento (Elcia), Paula Almerares (Amaltea) Francesco Piccoli (Aronne)
Besuchte Aufführung: 1. Dezember 2007 (Premiere: 27.11.2007)

Vorbemerkung
Mosè in EgittoVon 1815 an lebte Rossini in Neapel. Die Opern dieser Zeit, die bis 1822 reichte, bersten vor Jugendfrische und Einfallsreichtum. Vergessen sollte aber nicht, daß der „kleine, bartlose Maestro“ (so Rossini selbst über sich) gleichzeitig in Rom Il Barbiere, La Cenerentola usw. und in Mailand La Gazza Ladra (Die diebische Elster), Adina u. a. schuf. Da es während der Fastenzeit in Neapel keine Opernaufführungen gab, komponiert Rossini ein biblisches Thema. Das Werk bezeichnete er als Oratorium (Azione tragico-sacra). Diese „Oper“, arbeitete Rossini in seiner Pariser Zeit 1826 um. Die Umarbeitung war erheblich, so daß nun eine neue Oper mit dem Titel Moïse et Pharaon in französischer Sprache vorlag. Beide Opern wurden nebeneinander in Paris in den 30er Jahren des 19. Jh. häufig gespielt.
In Rom wurde nun die ursprüngliche italienische Fassung Mosè in Egitto gespielt, ein seltenes Ereignis, da sie hier zuletzt im Juni 1988 von Claudio Scimone aufgeführt worden war. Dieses einzigartige Ereignis wollten wir uns nicht entgehen lassen.
Kurzinhalt
Die Hebräer sind in ägyptischer Gefangenschaft. Moses zwingt den Pharao durch Naturereignisse wie Finsternis, Hagel, Blitz oder Heuschrecken uvam, die als die Ägyptischen Plagen in der Bibel aufgezeichnet sind, ihn und sein Volk ziehen zu lassen. Pharao sagt wankelmütig zu und ab, wie es seinen Ratgebern einfällt. Schließlich retten sich die Hebräer durch das sich teilende Rote Meer, wohingegen die nachjagenden Ägypter in den Meeresfluten umkommen. Vor diesem biblischen Hintergrund lieben sich der Pharaosohn Osiris und die Hebräerin Elcia. Da Elcia sich Moses anschließt, will Osiris ihn töten. Doch ein Blitzschlag vernichtet Osiris.
Die Aufführung
Die grau-schwarzen pyramidenähnlichen Aufbauten zeigen ein unheimliches, abweisendes Staatsgebilde. Die Gesichter von Pharao und seines Sohn Osiris, beide gekleidet in die uns heute unahbar erscheinenden, archaischen Gewänder, waren durch „Königsblau“ noch unnahbarer. Die Pharaonin hatten das Aussehen der uns bekannten Nofretete, war dadurch weniger abweisend. Die Hebräer hatten die sackähliche Kleidung der Wüstenbewohner.
Schon der Opernbeginn mit den unheimlich dröhnenden Unisonoklängen aller Instrumente auf dem neunmal sich wiederholenden Ton C, den anschließenden dumpfen Paukenwirbeln und die darüber sich entwickelden „Seufzer“ im Orchester gingen durch Mark und Bein. Hinzu kam, daß Antonino Fogliani das Tempo ziemlich breit anging.
Präzise setzen Solisten und Chor der Ägypter ein: Ah, chi ne aiuta – ach, wer hilft uns?
Die Bühne ist dunkel. Es herrscht totale Finsternis in Ägypten. Sie ist eine der neun Plagen, die Pharao und sein Volk erleben müssen, bis Pharao die Hebräer außer Landes läßt. Als die Hebräern endlich die Erlaubnis zum Auszug erhalten, erstrahlt die Sonne. Welch ein theatralischer Effekt, ebenso logisch aus der Handlung wie von dramatischer Wirkung!
Wohltuend in Terzen erklingt das Liebesduett Elcia/Osiris: ah, se puoi così lasciarmi – ach, wenn du mich so verlassen kannst. Anna Rita Talientos (Elcia) Stimme besitzt vielleicht ein wenig zuviel Vibrato, auch schwankt ihre Intonation manchmal ein wenig in den Höhenlagen, doch die Lyrik ihrer Stimme gibt der Person des Hebräermädchens Wärme und Liebreiz. Das gleiche gilt für Giorgio Surian (Moses). Sicher, seine Stimme ist stark. Doch muß er diese mit einem immerwährenden Vibrato unterstreichen? Bei der Argentinierin Paula Almerares (Amaltea), Pharaos Frau, sind wir allerdings auf der höchsten Ebene des Belcanto angelangt. Bei ihrer Arie: La pace mia smarrita – der Friede ist mir entschwunden stockt mir Atem: ihr „Höhenflug“, ihre tonale Treffsicherheit, die rhythmische Leichtigkeit ihrer „goldenen Kehle“ erinnerte mich an Honoré de Balzac. Dieser große französische Romancier schrieb in seiner Novelle Massimilla Doni (1832) nach einem Besuch des Mosè in Egitto im Théâtre Italien in Paris: Die Koloratur ist die höchste Ausdrucksform der Kunst, sie ist die Arabeske ….ein wenig darunter, und wir haben nichts, ein wenig mehr, und alles ist verwirrt ….
Nach diesem wohl besten sängerischen Augenblick gab es aber noch weitere: das Duett Osiris/Pharao: non merita più consiglio – nicht bedarf ich des Rates, ist geradezu ein Lehrbeispiel besten Belcantogesangs. Die Stimme von Filippo Adami kann man nur mit der von Rockwell Blake vergleichen: schlank, absolut intonationssicher, auch in der höchsten Stimmlage, durchdringend, unglaublich virtuos, besonders an dynamischen Stellen. Sein Partner Michele Pertusi (Pharao) war – wie immer – überragend in Volumen und Geschmeidigkeit seiner vollen Baßstimme. Die riesige Bühne, das große Orchester und die schwierige Partitur bildeten für Fogliani und dem Orchester kein Hindernis, die Orchesterbegleitung präsent und dennoch im Hintergrund zu halten. Allerdings schossen Dirigent, Orchester und besonders der Chor den Vogel ab mit der Cabaletta (dem schnellen Schluß eines Gesangsstücks) nach dem hinreißend vorgetragenen Quintett: mi manca la voce – mir versagt die Stimme. Wie es sein soll „explodierten“ Sänger und Orchester: fiera guerra mi sento nel seno – ich spüre einen harten Kampf in der Brust. Das Wagnis des Tempos, die Homogenität der Stimmen von Chor und Solisten sowie die rhythmische Treffsicherheit, kaum je fuhr mir eine Darbietung so in die Glieder. Eine Sternstunde!
Ja, ohne den Moses von Rossini ist Verdis Nabucco (dort sind die Hebräer in Babylonischer Gefangenschaft) eigentlich undenkbar, doch kaum ist das hierzulande bekannt.
Dr. Olaf Zenner                                                 Bild: Corrado Maria Falsini, Rom

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