LA BOHÈME – Chemnitz, Oper

von Giacomo Puccini (1858-1924), Szenen aus Henri Murgers La vie de Bohème in 4 Bildern, Libretto: Giuseppe Giacosa u. Luigi Illica nach Scènes de la vie de bohème von Henri Murger; UA: 1. Februar 1896 , Turin
Regie: Dietrich Hilsdorf, Bühne: Dieter Richter, Kostüme: Renate Schmitzer
Dirigent: Frank Beermann, Robert-Schumann-Philharmonie. Chor und Kinderchor der Oper Chemnitz
Solisten: Luis Olivares Sandoval (Rodolfo), Julian Orlishausen (Marcello), Judith Kuhn (Mimì), Julia Bauer (Musetta), Kouta Räsänen (Colline), Andreas Kindschuh (Schaunard), Nikolai Miassojedov (Benoît) u. a.
Besuchte Aufführung: 11. April 2010 (Premiere)

Kurzinhalt
Die Künstler Rodolfo, Marcello, Colline und Schaunard bewohnen zusammen eine Dachkammer im Pariser Künstlerviertel Quartier Latin. Am Weihnachtsabend begegnen sich in dieser Künstlerbude Rodolfo und die kranke Mimì, die als Hausmitbewohnerin um Kerzenfeuer bittet. Rodolfo und Mimì verlieben sich ineinander, während Marcello in Eifersucht rast, da sich seine alte Liebe Musetta vom Hauswirt aushalten läßt. Die Wut währt nur kurz, da Marcello und Musetta wieder zusammen kommen. An einem späteren Wintertag sucht Mimì den Rat Marcellos, da Rodolfo sie scheinbar aus Eifersucht verstößt. Als Rodolfo seinem Freund erzählt, er täusche die Eifersucht lediglich vor, aus Angst vor Mimìs Krankheit und aus Angst, ihr nicht helfen zu können, hört Mimì heimlich zu. Daraufhin besucht Mimì Rodolfo ein letztes Mal und stirbt in seiner Wohnung.
Aufführung
Das Bühnenbild fängt das Ambiente der Pariser Bohèmiens mit Künstlerwohnung, dem Quartier Latin und dem Café Momus-Vorplatz in einem gemeinsam genutzten Bühnenaufbau ein, der podestartig erhöht, eine Wohnung im Stil des 19. Jh. wiedergibt, welche vom vorgelagertem Straßenambiente mit Kopfsteinpflaster, Rolltor und Café-Pendeltür umrahmt wird. Der Einsatz geschickter Ausleuchtung, dichten Nebels und heruntertropfenden Wassers im ersten Bild erzeugt ein klaustrophobisch dichtes Ambiente der kalten Künstlerwohnung, so, wie die bunten Kostüme der Darsteller in den Straßenszenen, etwa im zweiten Bild, dazu kontrastreiche, lebendige Farbtupfer setzen.
Sänger und Orchester
Tenor Luis Olivares Sandoval gestaltet seinen Rodolfo mit überzeugend gespielter innerer Zerrissenheit. Sein Che gelida manina – Wie eiskalt ist dies Händchen wird von seiner geschmeidigen, dunkel satinierten Stimme von den lyrischen Seufzern bis zu den Passagen kraftvollen Ausdrucks mit veritabler Stimmnuancierung getragen. Judith Kuhn (Mimì) glänzt mit strahlend frischer Sopranstimme im Mi chiamano Mimì – Sie nennen mich Mimì, wobei selbst die Höhen ihrer Partie in unverbrauchter Leuchtkraft mit getragener Leichtigkeit erblühen. Besonderen Ausdruck verleihen Luis Olivares Sandoval und Judith Kuhn ihren Rollen im Zusammenspiel, wobei ihr Stimmgestus aufwühlend dramatische Untiefen im Seelenleben ihrer Figuren auskostet. Der Marcello von Julian Orlishausen wird mit gekonnter Phrasierung des schlanken Baritons in warme Stimmschattierungen gebettet, die auch in den dramatischen Passagen eine impulsiv druckvolle Stimmführung mit klarem Duktus nicht vermissen läßt. Julia Bauer lotet ihre Rolle mit ihrem wendig jungen Sopran aus, der in heller Linienführung eine kühn frivole Musetta zeichnet, wie etwa im Quando men vo – Geh ich allein im zweiten Bild. Kouta Räsänen (Colline) kann wieder einmal durch seinen schlanken Baß, den er jedoch mit satten Erdtönen zu füllen weiß, seiner Rolle lebhaften Ausdruck verleihen. Auch die Baritonstimme von Andreas Kindschuh überzeugt einmal mehr durch die farbenreiche Frische agiler Stimmführung. Bariton Nikolai Miassojedov gibt mit satter Tiefendynamik einen darstellerisch köstlich interpretierten Benoît, der seinen Höhepunkt im zweiten Bild als geprellter Liebhaber hat. Die Robert-Schumann-Philharmonie unter Frank Beermann spielt leidenschaftlich, will jedoch in Passagen höchster Dramatik etwas zu viel. Durch die Überbetonung klanglicher Impulsivität und Lautstärke müssen in den dramatischen Passagen und Massenszenen die Solisten bisweilen gegen das Orchester ankämpfen, um noch differenziert wahrgenommen zu werden. Chor und Kinderchor der Oper Chemnitz sind stimmlich und einsatzmäßig trefflich eingestellt.
Fazit
Eine gefühlvolle Inszenierung, die durch die handlungsbezogene, detailreiche Ausstattung Luft zum Atmen für das Stück und deren Darsteller läßt und gleichzeitig auf die szenischen Grundbedürfnisse des Werkes nach bedrückend klammer Enge, flüchtigem Gleichmut und menschlich warmer Nähe in kalter Umwelt eingeht. Mit den engagierten sängerischen und schauspielerischen Leistungen der Darsteller wird das Treiben der Bohèmiens in dieser Kulisse großartig zum Leben erweckt.

Dr. Andreas Gerth

Bild: Dieter Wuschanski
Das Bild zeigt: Luis Olivares Sandoval (Rodolfo), Judith Kuhn (Mimi), Nikolai Miassojedov (Benoît), Julia Bauer (Musetta), Julian Orlishausen (Marcello) (v.l.n.r.)

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