ANDROMAQUE – Schwetzinger SWR Festspiele

von André-Ernest-Modeste Grétry (1741-1813), Tragédie lyrique in drei Akten, Libretto: Louis-Guillaume Pitra, nach Jean Racines gleichnamiger Tragödie nach der  Vorlage von Vergils Aeneis
Regie/Licht: Georges Lavaudant, Bühne/Kostüme: Jean-Pierre Vergier, Choreinstudierung: Denis Comtet
Dirigent: Hervé Niquet, Le Concert Spirituel und das SWR Vokalensemble Stuttgart
Solisten: Judith van Wanroij (Andromaque), Maria-Riccarda Wesseling (Hermione), Sébastien Guèze (Pyrrhus), Tassis Christoyannis (Oreste)
Besuchte Aufführung: 23. April 2010 (Premiere, Koproduktion mit der Opéra Montpellier, dem Theater Luzern und dem Staatstheater Nürnberg)

Kurzinhalt
Im Mittelpunkt der Handlung stehen vier vom Schicksal gezeichnete Figuren, die allesamt durch das Band der Liebe, treffender jedoch, durch die Bande unerfüllter und unglücklicher Liebe miteinander verbunden sind: Andromaque, Ehefrau des trojanischen Helden Hectors und Mutter von Astyanax, beklagt in tiefster Trauer die Ermordung ihres Mannes. Nach dem Untergang Trojas macht Pyrrhus, Sohn des Achilleus, Andomaque zu seiner Sklavin und verliebt sich in sie. Doch eigentlich ist er mit Hermione verlobt, der Tochter von Menelaos und Helene. Schließlich kommt der griechische Gesandte Oreste ins Spiel, der seinerseits wiederum Hermione liebt.
Aufführung
Das Geschehen konzentriert sich im wesentlichen auf die vier Hauptdarsteller, die allerdings nie alle gleichzeitig auf der Bühne zu sehen sind. Als Rahmen des Schauplatzes dient ihnen eine hohe, halbrunde, graue Fassade. In der Mitte der Bühne ist eine steinerne Liege plaziert, die Assoziationen zu einem Sarg aufkommen lassen, die kühle, granitfarbene Kulisse erinnert auf abstrakt-symbolischer Ebene an ein Mausoleum. Überhaupt scheint der Geist des ermordeten Hectors quasi als fünfter Protagonist allgegenwärtig, obschon die Handlung erst nach seinem gewaltsamen Ableben einsetzt. Die Kostüme sind schlicht gehalten, in Grautönen, nur die Witwe trägt schwarz. Das symbolgeladen Bühnenbild wird durch kleine Details – aus der griechischen Geschichte – konsolidiert, sei es durch ein Trojanisches Pferd in Spielzeugformat, als es um den Niedergang Trojas geht, oder durch eine Hochzeitstorte und Schleier, als Pyrrhus Hermione die ewige Treue schwört. Wenn Andromaque am Grabe Hectors zu ergründen sucht, ob sie, um ihren Sohn zu retten, Pyrrhus ehelichen soll, liegt Hectors Leiche auf der zentralen Bahre – womit sich die Assoziationen bestätigen. Der allgegenwärtige Schatten Hectors scheint erst mit der Tötung Pyrrhus’ die letzte Ruhe zu finden und löst sich sprichwörtlich in Luft auf. Begleitet werde die Szenen von Statisten, die, ganz ihrer pantomimischen Rolle entsprechend, schwarz gekleidet und mit weiß geschminktem Gesicht auftreten, und sowohl die Vorgänge als auch Gemütsbewegungen versinnbildlichen.
Sänger und Orchester
Da die Inszenierung auf große Gesten verzichtet, reduziert sich die Oper auf das Wesentliche, was ihr in keiner Weise zum Nachteil gereicht. Prachtvoll entfaltet sich die Musik Grétrys unter der umsichtigen Leitung des Dirigenten Hervé Niquet. Distinguiert spielt das Ensemble Le Concert Spirituel auf, interpretiert nuanciert die Dramatik der Handlung und präsentiert stilsicher die barocker Musik auf seinen historisch-authentischen Instrumenten. Aus Platzmangel in den Orchestergraben verbannt, zeigt das SWR Vokalensemble Stuttgart, das den Chorpart übernommen, eine Glanzleistung. Judith van Wanroij (Andromaque) glänzt in der, eher lyrisch angelegten Titelrolle, dank ihres prachtvollen, edlen Soprans und stilvoller Phrasierungen. Ihre Gegenspielerin Maria-Riccarda Wesseling (Hermione), besticht mit einem samtig-eleganten, dennoch ausdrucksmächtigen Mezzosopran und interpretiert ihren Part mit viel Sinn für Nuancen und Dramatik. Tassis Christoyannis als Oreste, besitzt einen charaktervollen Bariton mit einem galanten Timbre. Eindrucksvoll stellt er den von großer Liebe Verschmähten dar und verfällt gesanglich imponierend dem Wahnsinn. Besonders beeindruckend war die Leistung des jungen Tenors Sébastien Guèze (Pyrrhus), dessen angenehm-ansprechend, schlanker Tenor, von wundervoller Vielseitigkeit und Intensität zeugt. So gibt er nicht nur den zärtlichen Liebenden authentisch, sondern strotzt auch kraftvoll und impulsiv vor Leidenschaft. Sein Name sollte man sich unbedingt merken
Fazit
Der Abend war ein gelungener Auftakt der Schwetzinger SWR Festspiele 2010, mit einer – sehr zu Unrecht – wenig bekannten und kaum gespielten Oper. Die Akteure boten ein rasantes, kurzweiliges Musikvergnügen, was mit Bravorufe und uneingeschränktem Applaus belohnt wurde.

Isabell Seider

Bild: Martina Pipprich
Das Bild zeigt v.l.n.r.: Sébastien Guèze, Statisten, Tassis Christoyannis

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