ELEGIE FÜR JUNGE LIEBENDE – Essen, Aalto-Theater

Oper in drei Akten von Hans Werner Henze, Text von Wystan H. Auden und Chester Kallman, deutsche Fassung von Ludwig Landgraf unter Mitarbeit von Werner Schachteli und dem Komponisten, UA 20. Mai 1961, Schwetzingen
Regie: Karoline Gruber, Bühne: Roy Spahn, Kostüme: Mechthild Seipel
Dirigent: Noam Zur, Essener Philharmoniker
Solisten: Claudio Otelli (Gregor Mittenhofer), Astrid Kropp-Menéndez (Hilda Mack), Andreas Hermann (Toni Reischmann), Francisca Devos (Elisabeth), Michael Haag (Dr. Reischmann), Ildiko Szönyi (Carolina)
Besuchte Aufführung: 24. April 2010 (Premiere)

Kurzinhalt
1910, in den Alpen: Der Dichter Gregor Mittenhofer arbeitet im Berggasthof der seit dem Verschwinden ihres Mannes von Visionen heimgesuchten Hilda Mack an seinem neuen Werk. Begleitet wird Mittenhofer von seiner jungen Geliebten Elisabeth und der adligen Sekretärin Carolina, die ihm seit Jahren hörig ist. Als sich Elisabeth in Toni, Sohn des Mittenhofer-Verehrers Dr. Reischmann, verliebt; gibt der Dichter sie überraschend frei. Zugleich sinnt er auf Rache: Er bittet Elisabeth und Toni, für ihn ein Edelweiß vom Berg zu holen. Sie gehorchen, obwohl der Aufstieg als lebensgefährlich gilt und man eben erst Hildas verschollenen Mann tot auf dem Berg gefunden hat. Als ein Schneesturm aufzieht vereitelt Mittenhofer den Rettungsversuch des Bergführers Mauer. Der Tod von Toni und Elisabeth ist für ihn Rache und Inspiration zugleich: Für sein Werk Elegie für junge Liebende wird der Dichter stürmisch gefeiert.
Aufführung
Die Bühne stellt einen hölzernen Käfig dar, in den die Fassade eines Berggasthofs eingelassen ist. Der Giebel kann zur Schwarzwälder Uhr umfunktioniert werden, mit Bergführer Mauer und einer Statistin als Figuren. Neben dem Giebel hockt ein weißer Adler und scheint sich auf die Personen hinabstürzen zu wollen. Im Hintergrund schwingt das überdimensionale Pendel der Uhr. Projektionen illustrieren die seelische Verfassung der Figuren, z.B. Mittenhofers Schreibblockade durch eine Buchstaben-Collage. Die Kostüme deuten zwar die Zeit um 1910 an,  wecken aber auch Assoziationen an die Gothic-Szene oder an das Musical Rocky Horror Show. Eine zentrale Rolle spielen die Requisiten, vor allem ein aus einem Kissenbezug geformter Schwan sowie ein riesiges Ei, zu dem Mittenhofer eine obsessive Beziehung entwickelt. Ab dem Ende des ersten Teils beginnen sich die Figuren in Vögel zu verwandeln: Dabei wird Mittenhofer erst zum Pfau, dann zu einem Raubvogel mit gigantischen Krallen. Hilda verwandelt sich in einen Schmetterling, nachdem man ihr die Nachricht vom Tod ihres Mannes gebracht hat. In der Schlußszene klammert sich der wahnsinnig gewordene Mittenhofer blutverschmiert an das Ei. Die anderen Personen hängen, verkörpert von Statisten, wie Gehenkte von der Decke herab, während man ihre Stimmen aus dem Hintergrund hört.
Sänger und Orchester
Das hervorragende Ensemble führt Astrid Kropp-Menéndez (Hilda) an: Die Sängerin bewältigt die lange, einen immensen Stimmumfang erfordernde Koloraturpartie ohne jede Ermüdungserscheinung: Mit schlafwandlerischer Sicherheit stellt sie sich jähen Tempo- und Dynamikwechseln, mörderischen Intervallsprüngen und Spitzentönen bis in extreme Lagen. Claudio Otellis (Mittenhofer) harter, aber sensibel geführter Bariton kann sich bruchlos von kaum hörbar gehauchten Passagen über an Arnold Schönberg erinnernden Sprechgesang bis zu wilden Ausbrüchen steigern – eine stimmliche und darstellerische Höchstleistung. Lyrische, fast ätherische Töne bringt mit schlankem, höhensicherem Tenor Andreas Hermann (Toni) ins Spiel. Überzeugend, aber in ihren Ausdrucksmöglichkeiten beschränkter treten Ildiko Szönyi (Carolina), Francisca Devos (Elisabeth) und Michael Haag (Dr. Reischmann) auf. Dirigent Noam Zur hat das raffinierte Geflecht der Partitur bis in den letzten Takt analysiert. So erliegt er nicht der Versuchung, nur auf die oberflächliche Wirkung von Klangeruptionen zu setzen, sondern läßt die Essener Philharmoniker Details wie die wunderbaren Oboen-Soli oder Henzes subtilen Einsatz des Schlagwerks herausarbeiten.
Fazit
Mit Freudensprüngen verläßt der Dirigent sein Pult – und hat zur Freude auch allen Grund. Denn mit dieser Aufführung ist dem Aalto Theater einmal mehr ein großer Coup gelungen. Regisseurin Karoline Gruber findet für die Verstrickung von Liebe, Sexualität, Tod, Schuld und Kunst eine faszinierende Bildsprache. Henzes latente Ironie ist für sie kein Anlaß, die Figuren ins Lächerliche zu ziehen. Vielmehr schafft sie ein groteskes Horrorszenario, das so manchen Zuschauer den Atem anhalten läßt. Ein musikalisch wie szenisch aufwühlender Opernabend, der vom etwas spärlich vertretenen Publikum mit lautem Jubel belohnt wird.

Eva-Maria Ernst

Bild: Kathrin Holighaus
Das Bild zeigt: Claudio Otelli (Gregor Mittenhofer)

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