von Richard Wagner (1813 – 1883), Große romantische Oper in drei Aufzügen, Dichtung vom Komponisten, UA: 1861 Paris
Regie: Stefan Herheim, Bühne: Heike Scheele
Dirigent: Christian Badea, Operaorkestret und Operakoret der Nasjonal Operaen
Solisten: Magne Fremmerlid (Landgraf Hermann), Gary Lehman (Tannhäuser), Geet Smits (Wolfram), Kjell Magnus Sandve (Walther), Ketil Hugaas (Biterolf), Svein Erik Sagbråten (Heinrich), Eirik Roland Egeberg-Jensen (Reinmar), Elisabet Strid (Elisabeth), Judit Németh (Venus), Amelie Aldenheim (Hirt), u.a.
Besuchte Aufführung: 24. März 2010 (dritte Vorstellung)
Kurzinhalt
Der Minnesänger Tannhäuser hat lange Zeit im Venusberg zugebracht, dem legendären Zufluchtsort der Liebesgöttin. Tannhäuser verläßt sie, als er der erotischen Ekstase überdrüssig wird. Von seinen Freunden und künstlerischen Konkurrenten wird er überredet auf der Wartburg bei einem Sängerwettstreit anzutreten. Thema des Wettstreits ist das Wesen der Liebe, der Preis wird von Elisabeth, der Tochter des thüringischen Landgrafen, vergeben, welche Tannhäuser in Zuneigung ergeben ist. Während seines Beitrags gesteht Tannhäuser jedoch seinen Aufenthalt im Venusberg, und nur dank des Eintretens Elisabeths darf er sein Leben behalten, unter der Bedingung, nach Rom zu pilgern und für seine Verfehlung beim Papst um Absolution zu bitten. Diese erhält er aber nicht. Allein das selbstlose Opfer Elisabeths rettet ihn.
Aufführung
Die Heilsarmee ist in Skandinavien so bedeutend, daß sie sich neben dem Singen für Notleidende und der Verkündung des Bibelwortes auch mit der Armenspeisung beschäftigt. Diese heutige Heilsarmee wird mit der deutschen Minnesängertradition gleichgesetzt. Tannhäuser verläßt diese Gemeinschaft, um mit Venus dem schönen Schein der Opernwelt zu frönen. Von einer Opernloge aus betrachten die beiden verschiedene Liebespaare der Oper, Paare aus u.a. Carmen, Don Giovanni, Zauberflöte, Aida und aus Wagners Ring feiern ein Bacchanal. Von all dem hat Tannhäuser genug und flieht aus dem Zuschauerraum in die harte Realität des Alltags zurück, in das Lokal der Heilsarmee, wo die Gescheiterten ein Matratzenlager, eine warme Mahlzeit und die Hallenarie der Elisabeth präsentiert bekommen. Für die Heilsarmee ist es eine asketische Liebe, in der es im Sängerkrieg geht, für den Opernfreund Tannhäuser ist Liebe ein Opernmittel. Als Tannhäuser seine Opernbesuche gesteht, verstößt ihn die bibelschwingende Glaubensgemeinschaft, Elisabeth bleibt entsetzt sitzen. Nachdem Tannhäuser die Erlösung versagt blieb, kehrt er aus dem Zuschauerraum zurück auf die Bühne und findet sie nun, indem Elisabeth und er als Wagners Figuren in die Opernwelt eingehen.
Sänger und Orchester
Elisabet Strid (Elisabeth) erhielt mit ihrem fast jugendlichen, aber dennoch durchschlagsstarken Sopran und dank ihrer starken Bühnenpräsenz stürmischen Szenenapplaus für die Hallenarie. Gary Lehman sang zwar schon Tristan und Siegmund an der Met, singt jedoch den Tannhäuser mit kleinen technischen Fehlern, wenn er auch über strahlendes Stimmmaterial verfügt. Judith Nemeth, die die Venus schon in Bayreuth sang, bot auch in Oslo eine solide Vorstellung, doch wieder ohne Glanz und erotische Ausstrahlung. Gert Smits war ein ungemein ausdrucksstarker lyrischer Wolfram, dessen Morgenstern nahe an den Liedgesang heranrückte. So differenziert war seine Gestaltung, daß man jede Phrase auskosten konnte. Man kann sogar sagen, daß er der Forderung Wagners nach der unendlichen Melodie sehr nahe kam. Blaß, leise und fast unverständlich blieb hingegen Magne Fremerlid als Hermann. Der Hirtenjunge Amelie Aldenheim ist eher tiefer timbriert und klingt leider etwas schmal in den Höhen. Erfreulich die Besetzung der kleineren Minnesänger-Rollen, besonders hervorzuheben Kjell Magnus Sandve, der mit dem Walter einen Zugang als Wagner-Tenor fand.
Unter der Leitung von Christian Badea gelingt es dem Orchester der Oper, die Pariser Fassung des Bacchanals und das Opernfinale mit gut abgestimmten, dramatischen Lautstärke- und Tempowechseln zu gestalten. Erfreulich ist die exakte Koordinierung mit dem Chor. Die großartige Akustik des mit Eichenholz getäfelten Zuschauerraumes ermöglicht es, daß, obwohl der Orchestergraben nur für maximal 60 bis 70 Musiker ausgelegt ist, er ausreichend ist für ein Haus mit ca. 1400 Plätzen. Faszinierend ist, daß in der breit instrumentierten Pariser Fassung keine Stimmen wegfallen und die Klangminderung durch die geringere Instrumentenanzahl durch die Akustik ausgeglichen wurde. So waren zwei Harfen statt der üblichen drei Harfen ausreichend.
Fazit
Tosender Beifall und Szenenapplaus bereits für das Schlußbild des zweiten Aktes sind ein Beleg dafür, daß die erste Aufrührung einer Wagneroper im neuen norwegischen Opernhaus das Publikum beeindruckt hat. Und selten hat man eine so spannende Auseinandersetzung zwischen Künstlern und Glaubensrittern über den Begriff Liebe zwischen Askese und Eros erlebt wie an diesem Abend. Den Kern dieses Stückes hat Stefan Herheim beeindruckend auf die Bühne gebracht, allerdings aus modernem Blickwinkel und wie immer in einer alles ertränkenden Bilderflut.
Oliver Hohlbach
Bild: Erik Berg / Den Norske Opera
Das Bild zeigt: Im Bacchanal verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Opernwelt – nicht für Tannhäuser (Gary Lehman) und Venus (Judit Nemeth)