Berlin, Staatsoper Unter den Linden – UN BALLO IN MASCHERA (EIN MASKENBALL)

von Giuseppe Verdi (1813 – 1901), Melodramma in drei Akten, Text von Antonio Somma nach dem Libretto von Augustin Eugène Scribe zur Opéra-historique Gustave III ou Le Bal masqué von Daniel François Esprit Auber UA: 1859 Rom
Regie und Dramaturgie: Jossi Wieler, Sergio Morabito; Bühnenbild: Barbara Ehnes Kostüme: Anja Raabes
Dirigent: Philippe Jordan
Solisten: Piotr Beczala (Riccardo), Dalibor Jenis (Renato), Catherine Naglestad (Amelia), Larissa Diadkova (Ulrica), Anna Prohaska (Oscar), Arttu Kataja (Silvano), Oliver Zwarg (Samuel), Andreas Bauer (Tom), Peter-Jürgen Schmidt (der oberste Richter), Motoki Kinoshita (ein Diener Amelias)
Besuchte Vorstellung: 20. Januar 2008 (Premiere)

Kurzinhalt
maskenball1.jpgRiccardo, der überaus beliebte englische Gouverneur von Boston, liebt Amelia, die Frau seines besten Freundes und Weggefährten Renato. Als Renato dies durch einen unglücklichen Zufall erfährt, macht er sich zum Werkzeug einer Verschwörung und verwundet Riccardo während eines Maskenballs tödlich. Der sterbende Riccardo vergibt ihm und klärt ihn über den vollkommen unschuldigen Charakter seiner Liebesbeziehung zu Amelia auf.
Aufführung
Das fünfköpfige Team um den Regisseur Jossi Wieler hat den historischen Schauplatz der Verdi-Oper aktualisiert. Die gesamte Handlung spielt in einem Saal eines amerikanischen Hotels, des Arvedson Palace-Hotels, was allerdings nur die Lektüre des Programmzettels offenlegt. Das Ambiente wie die Kostüme sind – allerdings nicht ganz konsequent – im Design der sechziger Jahre gehalten, und nach einem stark an den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf erinnernden Finale des ersten Akts wird auch dem nicht so Geschichtskundigen klar: Die Inszenierung identifiziert Riccardo, dessen historisches Vorbild der schwedische König Gustav III. ist, mit John F. Kennedy. Das mag man nachvollziehbar finden oder auch nicht, dem Publikum jedenfalls mißfiel es deutlich, denn im Gegensatz zu dem präzisen Dirigat Philippe Jordans, dem wie gewohnt hervorragenden Chor (Einstudierung: Eberhard Friedrich) und den einer Staatsoper wahrhaft würdigen Sängern der Hauptpartien gab es für das Regieteam heftige Buhs.

Die Änderung von Zeit und Ort der Handlung läßt zwar die dramatische Struktur des Stückes, so wie sie im Kurzinhalt geschildert ist, bestehen, doch sind im Detail etliche Änderungen der Handlung vorgenommen worden: Vor Beginn des Vorspiels ist eine pantomimische Szene zu sehen: Oscar inspiziert den Ballsaal des […] Hotels. Die Hosenrolle des Oscar wird übrigens zu einer schwer zu deutenden weiblichen Figur umgedeutet. Der zweite Akt spielt nicht auf dem Galgenberg, sondern im nächtlichen Hotelsaal, in dem das Personal – erkennbar an den Putzkitteln – einer stimmlich beeindruckenden Ulrica bei ihrem wahrsagerischen Treiben zusieht. Ein bißchen taschenspielermäßig wirkt der vor ihr auf und ab schwebende Zimmerschlüssel. Im dritten Akt liefert Renato den Verschwörern tatsächlich seinen Sohn aus; diese werden im Programmheft als abtrünniger Teil der Spitze einer Partei gedeutet, was allein aus der Inszenierung nicht zu erkennen ist.

Etliche kleine Aktionen am Rande der Haupthandlung und die realistische Choreographie beleben das Bühnenbild. Dazu gehört der ausgiebige Einsatz von Komparsen und stummen Figuren. All diese Maßnahmen verunklaren die Opernhandlung, wie sie ursprünglich war, zwar nicht, andererseits bringen sie aber auch keine wirklich neuen, erhellenden Aspekte hinein. Anders gesagt: Die Aktualisierung ist ein wenig nichtssagend. Da die Handlung aus dem Boston des 17. Jahrhunderts in die Mitte des 20. Jahrhunderts, also eine mittlerweile ebenfalls historische Epoche, verlagert wird, fällt die Aktualisierung nicht allzu brüsk aus.
Die Personenregie ist durchaus konventionell: Man bekommt ausschließlich die in der Oper gängigen Mienen, Gesten und Aktionen zu sehen.
Diese Inszenierung hinterläßt durch eine positive Identifikation von Verdis Riccardo mit einem amerikanischen Präsidenten einen unangenehmen Beigeschmack durch Glorifizierung eines Realpolitikers. Denn abgesehen davon, daß Kennedy seinerzeit beliebt war und ebenfalls durch ein Attentat ums Leben kam, sind Parallelen zwischen beiden nur schwer auszumachen.
Man fragt sich unwillkürlich, ob die Regisseure dem Publikum eine eigenständige Interpretation des Stoffes in seiner ursprünglichen Fassung nicht zutrauen, ob die Veränderung von Handlung und Ort also den Zugang zu diesem recht bekannten Stück erleichtern soll. Es bleibt also ein etwas zwiespältiger Eindruck von diesem in sich nicht ganz stimmigen Regiekonzept zurück.
Sänger und Orchester
Gesangstechnisch waren die Leistungen aller Solisten an diesem Abend über jeden Zweifel erhaben, mit der Ausnahme von Dalibor Jenis (Renato), der zuweilen rhythmisch unpräzise agierte. Catherine Naglestad als Amelia überzeugt durch eine dynamisch und artikulatorisch fein nuancierte Interpretation. Einzig ihre mit einem starken Hauch einhergehende Klanggebung, die sie in innerlich bewegten Momenten etwas zu häufig einsetzte, wirkte etwas störend. Beczalas Wiedergabe der Hauptpartie des Riccardo war hingegen ein Genuß für alle Freunde des italienischen Operngesangs. Mit einem an Caruso erinnernden, gelegentlich schluchzenden Ansatz und einer recht dunklen, sehr metallischen Stimme sang er seine Partie absolut souverän. Ebenfalls überzeugend war Anna Prohaskas Interpretation der mit zahlreichen Verzierungen aufwartenden Partie des Oscar.
Am Pult der Staatskapelle Berlin stand an diesem Abend (nicht zu ersten Mal) der erst 33jährige Philippe Jordan, der seine Aufgabe solide bewältigte, ohne auf Effekte zu setzen.
Fazit
Musikalisch bekommt man das hohe Niveau geboten, das man von einer Staatsoper erwarten darf. Das Regieteam hat sich mit dieser Arbeit allerdings zwischen alle Stühle gesetzt: Weder ist das Konzept ultramodern noch genügt es traditionellen Sehgewohnheiten. Es ist nicht gelungen, eine wirklich neue Lesart des Stückes zu finden. Andererseits: Rein technisch gesehen, also von Bühnenbild, Personenführung und musikalischer Dramaturgie her, ist die Berliner Umsetzung professionell und ohne gravierende Mängel. Wenn man sich mit der Aktualisierung abfindet, ist es eine Inszenierung, die sicherlich niemandem wehtut.

Martin Knust

Bild: Ruth Walz
Catharine Naglestad (Amalie), Piotr Beczala (Riccardo)

Veröffentlicht unter Berlin, Staatsoper unter den Linden

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