NOTRE DAME – Dresden, Semperoper

von Franz Schmidt (1847-1939), Romantische Oper in zwei Aufzügen, Libretto: Franz Schmidt und Leopold Wilk nach dem Roman von Viktor Hugo, UA: 1914, Wien
Regie: Günter Krämer, Bühne: Herbert Schäfer
Dirigent: Gerd Albrecht, Sächsische Staatskapelle Dresden, Chor der Sächsischen Staatsoper
Solisten: Markus Butter (Archidiakon), Jan-Hendrik Rootering (Quasimodo), Robert Gambill (Phoebus), Oliver Ringelhahn (Gringoire), Matthias Henneberg (Offizier), Camilla Nylund (Esmeralda), Angela Liebold (Alte Falourdel)
Besuchte Aufführung: 18. April 2010 (Premiere)

Kurzinhalt
Der entstellte Quasimodo wird im Karneval als Narrenpapst verspottet, aber von Esmeralda getröstet. Gringoire, den Esmeralda aus Mitleid geheiratet hat, und der Archidiakon Frollo, der Esmeralda verfallen ist, beobachten ein Stelldichein zwischen Phöbus und Esmeralda. Als sie sich ihre Liebe gestehen, sticht Gringoire auf Phöbus ein. Esmeralda wird als vermeintliche Mörderin verhaftet und soll hingerichtet werden. Bevor der Henker seine Aufgabe erfüllen kann, wird Esmeralda von Quasimodo in die Kirche „entführt“, doch Frollo sorgt dafür, daß das Kirchenasylrecht beendet wird. Als Esmeralda getötet wird, schleudert Quasimodo ihn von der Plattform in die Tiefe und begeht Selbstmord.
Aufführung
Es ist fünf vor zwölft. Esmeralda sitzt auf dem elektrischen Stuhl und wartet auf Ihre Hinrichtung – mit blonder Perücke und Müllmann-Overall. In einem Bühnenbild, das an ein Gefängnis der 20er Jahre in der Optik von The Green Mile erinnert, läßt sie die Geschehnisse noch einmal Revue passieren. An den Gatten Gringoire etwa, den sie nur geheiratet hat, um ihn zu schützen. Auch er versucht sie nun zu schützen, indem er mit einer Pistole auf den Gefängnisaufseher Phoebus schießt. Beteiligt ist auch der Archidiakon Frollo der Kirche Nôtre Dame, der Esmeralda verfallen ist, und sich dafür selber geißelt, und Quasimodo mit nur einem kleinen Buckel, der als Henker den Schalter umlegt und später den bösen Glaubensmann umbringt. Im zweiten Akt ist es zwei Minuten vor zwölf. Das Bühnenbild besteht eigentlich nur aus den riesigen Buchstaben N-O-T-R-E-D-A-M-E. Höhepunkt ein eigentlich im Libretto nicht vorgesehenes Ballett der Priester, die Frollo in seinem Treiben moralisch unterstützen.
Das Libretto, das z.B. Quasimodo nur zwei Auftritte beschert und seine Beziehung zu Esmeralda nicht erklären kann, kann den Vergleich mit den bekannten anderen Umsetzungen des Stoffes nicht bestehen.
Sänger und Orchester
Auch musikalisch ist das Werk prekär. Es gibt kaum eine Arie oder Duett, mit dem die Sänger glänzen könnten, einzig der hervorragend disponierte Chor vermag dauerhaft Aufmerksamkeit zu erregen. Camilla Nylund spielt mit betörend leichtem Sopran die leidende Schmerzensfrau Esmeralda. Markus Butter als Frollo besticht mit sonorer baritonaler Stimmfärbung. Er hat zwei wirkungsvolle Auftritte, genauso wie Robert Gambill als Phoebus. Leider überzeichnet er diese Auftritte durch übermäßig starkes stimmliches Forcieren. Die Nebenrollen dieser Oper bieten keine Möglichkeiten für die Sänger, sich eindrucksvoll zu präsentieren. Das trifft auch auf Oliver Ringelhahns Gringoire zu, hier dürfte die Ursache im viel zu oft zum Einsatz kommenden Sprechgesang seiner Partie zu finden sein. Als Quasimodo agiert Jan-Hendrik Rootering sängerisch überzeugend, wunderbar ausgewogen und mit viel Samt in der Stimme, aber brillieren kann man in dieser Rolle ebenfalls nicht.
Gerd Albrecht gelingt es die Staatskapelle voll aufblühen zu lassen, und zwar in den Orchesterstücken wie etwa dem berühmten Zwischenspiel. Ansonsten kann auch er dem Stück nicht viel abgewinnen und gerade in der Gesangsuntermalung kaum Akzente setzen. Durch umfangreiche Striche versucht er sich auf die musikalischen Höhepunkte der Oper zu konzentrieren.
Fazit
Manche Opern sind wohl zu Recht vergessen: Wer das berühmte Zwischenspiel kannte, sah sich durch kompositorisch kaum gelungene Arien enttäuscht. Dank der Bemühungen der Semperoper wurde es wenigstens in der Umsetzung ein kurzweiliger Abend: Günter Krämer versuchte durch eine (wegen der unpassenden Versetzung in die 20er Jahre) unglaubhafte und übergestülpte Handlung die dramaturgischen Mängel des Librettos auszugleichen. Eine namhafte Sänger-Besetzung, mit der man auch eine Wagner- oder Verdi-Premiere auf Weltniveau hätte gestalten können, rettete den Abend, der von Gerd Albrecht auf zwei Stunden Spieldauer gekürzt wurde. Nichtsdestoweniger wurde die Produktion vom Publikum freundlich aufgenommen.

Oliver Hohlbach

Bild: Matthias Creutziger
Das Bild zeigt: Esmeralda (Camilla Nylund) sitzt in Notre Dame und hofft auf Hilfe

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