von Giacomo Puccini (1858-1927), Lyrisches Drama in vier Akten, Libretto nach dem Roman von Abbé Prévost, UA: 1. Februar 1893, Teatro Regio, Turin
Regie: Matthias Oldag, Bühne/Kostüme: Mike Hahne
Dirigent: Eric Solén, Philharmonisches Orchester Altenburg-Gera, Opernchor, Chorgäste von Theater&Philharmonie Thüringen
Solisten: Ausrine Stundyte (Manon), Teruhiko Komori (Sergeant Lescaut), Ricardo Tamura (Renato Des Grieux), Olaf Plassa (Géronte), Michael Siemon (Emondo), Stanimir Stantschev (Sergeant), Bernhard Hänsch (Commandante), u.a.
Besuchte Aufführung: 6. Juni 2010 (Premiere)
Vor einem Wirtshaus trifft Des Grieux die schöne Manon. Sie soll auf Wunsch ihrer Familie von ihrem Bruder ins Kloster gebracht werden. Der arme Student verliebt sich augenblicklich in sie und überredet sie zur gemeinsamen Flucht. Manon verläßt ihn kurz danach. Mit Hilfe ihres Bruders wird sie die Geliebte des reichen Steuerneintreibers Géronte, welcher sie schon seit der gemeinsamen Reise zum Wirthaus begehrte. Doch Manon plagen Gewissensbisse und auch die anhaltende Liebe zu Des Grieux. Dieser gelangt mit Hilfe von Manons Bruder in ihre Gemächer. Sie gestehen sich ihre gegenseitige Liebe, doch Manon ist zwischen Reichtum und Liebe hin- und hergerissen. Als sie mit den ihr von Géronte geschenkten Juwelen fliehen wollen, werden sie von seinen Wachen aufgehalten. Manon wird verurteilt und soll in eine Strafkolonie nach Amerika gebracht werden. Des Grieux folgt ihr. Völlig verwahrlost und halb verdurstend finden sich die Liebenden in der amerikanischen Wüste wieder. Manon beteuert noch einmal ihre immerwährende Liebe zu ihm und stirbt qualvoll.
Aufführung
Der erste Akt spielt in der Wartehalle eines Flughafens. Die aktuellen Asche-Wolke-Ereignisse des letzten Monats aufgreifend, sind alle Flüge gestrichen. Die Reisenden mit – der Konzeption der Inszenierung entsprechend – zeitgenössischer Kleidung, sitzen fest. Die im Programmheft erwähnte Konfrontation von abend- und morgenländischer Gesellschaft wird durch drei schwarz verschleierte Frauen, welche scheu die Halle durchqueren, angedeutet (Glück für den, der das Programmheft gelesen hat). Auch Manon selbst wird als islamische Frau mit Kopftuch zunächst eingeführt, legt dieses aber kurz nach ihrer Begegnung mit Des Grieux ab. Die Gemächer Manons im zweiten Akt sind komplett verspiegelt und lassen die Kälte ihrer Beziehung zu Géronte erahnen. Die in schwarze Abendroben gekleideten Chormitglieder beobachten heimlich an aufgestellten Monitoren die intimen Vorgänge in Manons Gemach. Der dritte Akt spielt, anstatt an einem Hafen oder Bahnhof, im kargen Betonkeller Gérontes. Manon wird zusammen mit anderen Liebessklavinnen Gérontes abgeführt. Der letzte Akt greift das anfängliche Bild des Flughafens wieder auf, nur daß dieser nun völlig zerstört ist wie das Leben der Liebenden.
Sänger und Orchester
Mit detaillierten Dynamikwechseln und angedeuteter klanglicher Transparenz begleitet das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera unter der gewohnt souveränen Leitung von Eric Solén die schweren Partien der Sänger und unterstützt sie. Auch bietet das Vorspiel zum dritten Akt eine gute Gelegenheit, den orchestralen Klangkörper gekonnt in den Vordergrund des Geschehens treten zu lassen.
Die herausragende sängerische und schauspielerische Leistung von Ausrine Stundyte (Manon) steht weit über der des übrigen Ensembles. Mit ihrem stählernem Sopran beherrscht sie die anspruchsvolle Partie tadellos und gibt auch die Passagen in tieferen Lagen, die in den veristischen Sprechgesang gleiten, sehr gut. Auch schauspielerisch ließ sie nichts zu wünschen übrig. Daneben wirkt der Tenor Ricardo Tamura (Des Grieux) darstellerisch eindimensional. Sein Gesang, oft mehr laut als schön, kann ebenfalls nicht überzeugen. Einzig Olaf Plassa stellt mit seiner charismatischen Darstellung des zwielichtigen Géronte und seinem dazu passenden ausdrucksstarkem Baß einen ebenbürtigen Gegenspieler zu Manon da.
Fazit
Wie Manon zwischen zwei gegensätzlichen Gefühlen gefangen ist, so geht man auch aus dieser Premiere mit widersprüchlichen Empfindungen heraus. Zum einen ist man erfüllt von den herausragenden musikalischen Leistungen, besonders dem ergreifenden Tod Manons, zum anderen fühlt man sich hintergangen von einer unschlüssigen Regie. Die bereits angesprochene Konfrontation von Ost und West verebbt schon im ersten Akt, nachdem Manon sich von ihrem Kopftuch befreit, und wird lediglich, allerdings ziemlich bemüht, noch einmal im dritten Akt aufgegriffen, in dem Géronte ihr das Tuch um den Kopf legt. Doch zu keinem Zeitpunkt wird dieser politische Zündstoff, der die Oper bereichern und in einen, von unserer heutigen Sicht aus, vielleicht sogar verständlichen Kontext hätte stellen können, wirklich konkret aufgegriffen und reflektiert. Ein wirklicher Wermutstropfen bei dieser Premiere.
Josephin Wietschel
Bild: Stephan Walzl
Das Bild zeigt: Die Zukunft verspielt: Ausrine Stundyte (Manon) ist Olaf Plassa (Geronte) ausgeliefert