DIE LYBISCHE TALESTRIS – Goethe-Theater Bad Lauchstädt (Bach-Fest Leipzig 2010)

von Johann David Heinichen (1683-1729), Oper in drei Akten, Libretto von Georg Christian Lehms, UA: 1709 Michaelismesse Leipzig

Regie: Sigrid T’Hooft, Ausstattung: Stephan Dietrich, Tanz: Jutta Voß

Dirigent: Susanne Scholz, Barockorchester der Fachrichtung Alte Musik der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy

Solisten: Dominic Große (König Pelopidus von Lybien), Julia Kirchner (Erbprinz Philotas), Stephan Schärpe (Marton), Amrei Bäuerle (Prinzessin Talestris), Christian Wiese (Syringa), Michal Fühmann (Tarpea, Rixane), Kathleen Danke (Latona), Jozsef Gal (Scandor), Thomas Seidel (Araspel, Priester Bogudes), Iris Meyer (Diana, Venus, Verhängnis).

Besuchte Aufführung: 18. Juni 2010 (B-Premiere)

Kurzinhalt

Die Frauen Lybiens unter der Führung der Prinzessin Talestris schwören der Liebe ab, obwohl einige ein Verhältnis haben. Syringa liebt den Feldherrn Marton, Talestris wird vom König Pelopidus und seinem Sohn Philotas begehrt. Es kommt zu einem Gefecht, bei dem Philotas und sein Gefolge in Gefangenschaft geraten. Philotas wird von den Frauen den Göttern geopfert, jedoch von Diana gerettet und als Frau verkleidet zurückgeschickt – in die Gesellschaft Talestris. Marton führt die nächste Schlacht: Talestris und ihr Gefolge werden Gefangene des Königs, der nun den Tod seines Sohnes rächen will. Das göttliche Verhängnis erscheint in einer Wolke, enttarnt Philotas als Mann, der als neuer König Talestris heiraten darf, genauso wie Marton Syringa zu sich nehmen darf. Der tolpatschige Kapitän Scandor muß seine häßliche Frau Rixane behalten, zu der er durch einige Mißgeschicke gekommen ist.

Aufführung

Die historische barocke Bühnentechnik der Bad Lauchstädter Bühne kommt kaum zum Einsatz, jedoch entsprechen die Kulissen der barocken Aufführungspraxis und zeigen mit zweidimensionalen Kulissen als Hintergrund der ansteigenden Perspektivbühne eine Wüstenlandschaft oder eine Oasenlandschaft. Kulissenteile werden von der Seite hereingeschoben und ermöglichen so den überraschenden Auftritt als deus ex machina. Die Sänger tragen üppige barocke Gewänder, so wie man sich im Barock afrikanische Herrscher vorstellte. Ein Lanze, ein Stock oder ein Schwert reichen als Attribute der Personen aus. Die Sänger agieren zumeist an der Rampe und unterstützen mit Gestik, Kopf-, Körperhaltung und Gesichtsmimik ihren Gesang. Drei Ballette, wie z.B. ein französischer Reigentanz, ausgeführt im barocken Tanzstil durch Statisten,  runden die Vorstellung ab.

Sänger und Orchester

Eigentlich wurde diese Oper, die völlig ungekürzt gegeben wird, für drei sehr gute Koloratursoprane geschrieben. Am besten erfüllt diese Anforderung Amrei Bäuerle in der Titelpartie. Die Rolle ist eine Glanznummer für diesen schweren Koloratursopran, der völlig problemlos mit jugendlich glockenklarer Stimme auch in die höchsten Lagen klettert. Christiane Wiese ist als Syringa der zweite Koloratursopran, wenn sie auch weicher und lyrischer an die Rolle herangeht. Julia Kirchner in der Hosenrolle des Philotas hat mehr Erfolg in der dramatischen Ausgestaltung der einzelnen Arien als im technischen Glanz der Koloraturen. Dominic Große (König Pelopidus) müßte man eigentlich als Baßbariton charakterisieren, jedoch verfügt er über ein technisch hervorragendes Falsett, das ihn naht- und ansatzlos auch in die höheren Lagen führt. Jozsef Gal gibt der komischen Rolle des Scandor auch eine musikalische Seite, während Stephan Scherpe als Marton mit viel Durchschlagskraft agiert.

Susanne Scholz führt die 25 Mitglieder des Orchesters fast unbemerkbar von der 1. Violine aus. Das Orchester ist im schmalen Graben – in historischer Art – in zwei Reihen gegenüberstehend und parallel zur Bühne ausgerichtet. Eigentlich führen so die Solisten das Orchester als Hintergrund der Arien. Das führt zu mancher überraschenden spontanen Reaktion auf beiden Seiten – was sicherlich manchmal auch der Mischung aus deutschen und italienischen Arien geschuldet ist.

Fazit

Lag es an nicht ausreichender Probezeit oder an den sehr jungen Orchestermitgliedern, daß das Zusammenspiel z.B. bei den Holzbläsern noch nicht optimal oder manchmal die Einsätze nicht ganz stimmten – vor allem wenn man die Aufführung von der ersten Violine aus führt? Jedoch muß man das Klangbild – man spielte auf Originalinstrumente – im Ganzen als hervorragend loben. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß man sich sehr viel Mühe mit zahllosen Details gemacht, ein eigenes Aufführungsmaterial erstellt und fehlende Tanzeinlagen ergänzt hat. Die Leistungsfähigkeit der Gesangssolisten, obschon noch im Studium, war hier beispielhaft. Und warum die barocke Gestik, die einerseits den Text visualisierte und andererseits bestimmte Situationen hervorhob, sich nicht allgemein auf den Bühnen – ähnlich der heute üblichen Verwendung der Originalinstrumente durchsetzt, ist unverständlich, zeigte doch die Regisseurin Sigrid T’Hooft mit Radamisto bei den Händel-Festspielen in Karlsruhe letztes und dieses Jahr ebenso beispielhaft, wie dadurch die Barockoper auch für uns heutige verständlicher wird.

Oliver Hohlbach

Bild: Gert Mothes

Das Bild zeigt:  Amrei Bäuerle (Talestris), ihre Getreuen, Julia Kirchner (Prinz Philotas), Jozsef Gal (Scandor) und dessen Jäger

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