Staatsoper Hannover – SIMPLICIUS SIMPLICISSIMUS

von Karl Amadeus Hartmann (1905 – 1963), Oper in drei Teilen, Text von Hermann Karl Scherchen, Wolfgang Petzet und Karl Amadeus Hartmann
UA: 20. Oktober 1949, Theater der Stadt München; (2.Fassung): 9. Juli 1957, Nationaltheater Mannheim
Regie: Frank Hilbrich, Bühnenbild: Volker Thiele
Dirigent: Lutz de Veer, Niedersächsisches Staatsorchester Hannover, Chor der Staatsoper Hannover (Dan Ratiu)
Solisten: Simplicius Simplicissimus (Olivia Stahn), Einsiedel (Hans Sojer), Gouverneur (Latchezar Pravtchev), Landsknecht (Jin-Ho Yoo), Hauptmann (Albrecht Pöhl), Bauer (Allan Evans), Dame (Veronika Steinböck), Sprecher (Franz Mazura)
Besuchte Aufführung: 19. Januar 2008 (Premiere)

Inhalt
simplicus-hannover.jpgDer Oper zugrunde liegt der im Jahre 1669 erschienene bekannte Bestseller Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch von Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Simplicius Simplicissimus, der Einfachste der Einfachen, ist im Dreißigjährigen Krieg aufgewachsen und weiß vom wirklichen Leben eigentlich nichts – seine Erfahrungen beschränken sich auf die furchtbaren Eindrücke des Krieges. In dem Roman werden die Beobachtungen dieses „reinen Toren“ aus dessen Perspektive geschildert; so ist es recht amüsant und informativ zu erfahren, was sich ein völlig unbedarfter Mensch beispielsweise beim Anblick dessen denkt oder denken könnte, was Mann und Frau manchmal so miteinander treiben, ohne daß er sich einen rechten Reim darauf machen kann.
Im ersten Teil der Oper beginnt Simplicius beim Schafe hüten zu träumen. Er sieht einen Baum, in dem Menschen hängen, eine Anspielung auf die Gesellschaftsverhältnisse. Landsknechte stürmen die scheinbar friedliche Szenerie, Simplicius’ Vater wird ermordet, nur er selbst kann das nackte Leben zu einem Einsiedler retten, bei dem er im zweiten Teil der Oper Unterschlupf und eine zumindest religiöse Erziehung genießt. Im dritten Teil begegnen wir Simplicius am Hofe des Gouverneurs wieder, der mit seinen Getreuen, allen voran eine sog. Dame, eine wüste Orgie feiert. Dem Gouverneur imponiert die gradlinige und wahrheitsgetreue Rede des Einfaltspinsels, und er ernennt ihn zum Hofnarren. Da erinnert sich Simplicius an seinen Traum des Baumes, der ihm nun als Spiegel ungerechter Gesellschaftsverhältnisse erscheint. Seine Vision aufgehängter Menschen wird Wirklichkeit: der Mob überrennt die Herrschenden und allein Simplicius kann dem Massaker entkommen. Der Sprecher – höchst eindrucksvoll Franz Mazura – wiederholt seine Eingangsworte: „1618 wohnten 12 Millionen Menschen in Deutschland, 1648 (nach Ende des Dreißigjährigen Krieges) wohnten noch 4 Millionen Menschen in Deutschland“ – die fatale Bilanz menschlicher Torheit!
Die Aufführung
Zur Aufführung kam der „Simplicius“ mit dem Untertitel: Drei Szenen aus seiner Jugend in der Neufassung von 1956/1957.
Schon vor der Ouvertüre – Vorhang gibt’s keinen – kann man ein Wohnzimmer, 60er Jahre würde ich mal vermuten, betrachten. Es hat himmelhohe Wände, alles in weiß, vor einer Verandatür (?) an der hinteren Wand hängt ein grauer Vorhang. Zwei grüne Sessel stehen verlassen umher, ein Spielzeug-Bauernhof stimmt auf die Handlung ein. Unter Klängen, die an Marschmusik erinnern, und weniger dissonant sind als befürchtet, erwacht die Szenerie zum Leben: Ein älterer Herr deklamiert die Formel vom Krieg (s.o.) und verwüstet stöhnend den Bauernhof – da merkt sogar der dümmliche Opernbesucher (wofür uns wohl die Regisseure halten) von heute, was die Glocke geschlagen hat: Simplicius ist heute mal ein Mädel im hellen Strampelanzug – warum auch nicht, Schicksal und/oder Einfältigkeit sind ja nicht geschlechtsspezifisch. Simplicius hängt Schafe in den Baum (der Gesellschaft), warum auch nicht, man nennt dumme Menschen – und sind die, die Krieg führen, etwa nicht dumm? – ja auch „Schafe“. Simplicius überlebt das Gemetzel und unter beschaulicheren Tönen, die von J.S. Bach entlehnt scheinen, begibt er sich zum Einsiedler, bei dessen Begräbnis dann die Wände in Form herunter rollender Tapeten einstürzen. Im dritten Teil sind wir bei dem Fest im Hause des Gouverneurs. Dieser und sein lüsterner Hauptmann wiegen je 4 Zentner und unten rum darf man auch einen Blick aufs kleine Gemächte erhaschen, von welchem beim Auftritt der „Dame“ im Luftballongewand auch reger Gebrauch gemacht wird. Simplicius wird gezwungen, ordentlich Champagner zu saufen, was ihm aber nicht bekommt – er übergibt sich mit armdickem Strahl. Inzwischen ist das aufgebrachte Volk in den Palast eingedrungen und lyncht kurzerhand die ganze fröhliche Gesellschaft; nur Simplicius Simplicissimus ist mal wieder entkommen.
Dirigent und Sänger
Lutz de Veer hielt den Abend, die Bühne, die Sänger und das Orchester mit festem Stab zusammen und ließ mit gehörigem Enthusiasmus musizieren, die Stimmungen der Handlung angemessen interpretierend. Hervorragende körperliche, sängerische und darstellerische Leistung der engagierten Olivia Stahn als Simplicius Simplicissimus. Auch wenn der Original-Simpel eigentlich ein Junge war, ein Bub hätte das nicht besser gemacht! Simplicius’ Papa Allan Evans bot eine gute Leistung: viel Gelegenheit hatte er ja nicht, sein Können zu demonstrieren, da er alsbald von einem mit feinem Bariton bestens aufgelegten Jin-Ho Yoo als Landsknecht erschlagen wurde. Hans Sojer als Einsiedel gehört ja zu den festen Größen der Staatsoper Hannover, so auch zuverlässig heute abend. Geiler Gouverneur und versoffener Hauptmann wurden in Teamwork bestens dargeboten von Latchezar Pravtchev und Albrecht Pöhl. Kernige Stimmgewalt und körperlicher Großeinsatz waren angesagt – und geboten. Beeindruckend die Artistik, Ballett wäre untertrieben, gepaart mit körperlicher Ausdrucksfähigkeit der sog. „Dame“ Veronika Steinböck. Manches recht obszön, sicher Geschmackssache, aber doch recht hart an der Grenze, für empfindsamere Naturen sicher schon darüber.
Viel Beifall für Olivia Stahn, Veronika Steinböck und Franz Mazura. Ein vereinsamter Buhrufer war mit der Regie offenbar unzufrieden.

Rüdiger Ehlert                                                                    Bild: Staatsoper Hannover

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