Vorbemerkung
Zum diesjährigen Festspielsommer hat sich Baden-Baden den Dirigenten Valery Gergiev und dessen Ensemble des Mariinsky-Theaters St. Petersburg eingeladen. Auf dem Programm standen bislang Rossinis Oper Il viaggio a Reims sowie Verdis Requiem. Der Rahmen des Konzertabends mit Anne-Sophie Mutter bestand aus zwei kleinen Werken von Richard Wagner und Franz Liszts Dante-Sinfonie. Den künstlerischen Höhepunkt fand der Abend in Sophia Gubaidulinas zweitem Violinkonzert In tempus praesens, das die Komponistin vor wenigen Jahren eigens der Geigenvirtuosin Mutter zugeeignet hat.
Besuchte Aufführung: 19. Juli 2010
Zuerst erklang Wagners Siegfried-Idyll, ein Werk, das im Zusammenhang mit der Oper Siegfried entstand. Dann der Trauermarsch aus Götterdämmerung, gefolgt von Sophia Gubaidulinas Violinkonzert. Nach der Pause wurde zum Abschluß die Dante-Sinfonie von Franz Liszt gegeben.
Beim Siegfried-Idyll handelt es sich um ein eher ausdruckschwaches Werk, das sich an diesem Abend jedoch durch eine ausgezeichnete Interpretation Gehör verschafft. Trotz großer Orchesterbesetzung offenbart sich das Werk überraschend intim und kammermusikalisch. Über einem schlanken Streicherklang haben vor allem die Holzbläser große Entfaltungsmöglichkeiten. Auch die Blechbläser stechen nicht schroff aus dem geschmeidigen Gesamtklang heraus. Vielmehr sucht Valery Gergiev hier nach einer einheitlichen musikalischen Sprache. Die Streicher beeindrucken durch kompakte Einheitlichkeit und Transparenz, den Holzbläsern (Querflöte, Oboe, Klarinette etc.) gelingen ihre Motivbögen in feinsten Nuancen. Der Trauermarsch aus der Götterdämmerung ist in mehrerlei Hinsicht eine adäquate Steigerung der Programmfolge. So sorgt vor allem der erweiterte Bläserapparat für den bekannten Wagnerschen Pomp. War das Idyll eher impressionistisch konzipiert, kehrt sich dies nun ins Expressive. Vorbereitend auf den Höhepunkt des Abends ist dies vor allem deshalb, weil Gubaidulinas zweites Violinkonzert ebenfalls versucht, Gegensätzliches zu vereinen. Das eigens für Anne-Sophie Mutter komponierte Werk scheint ihr auf den Leib geschrieben. Mit spannungsvollem Vibrato und rundem Klang beginnen die ersten Takte bevor das Orchester einsetzt. Der Künstlerin und dem Instrument wird in diesem Konzert alles abverlangt. Fein gehauchte Flageolett-Klänge, Doppelgriff-Passagen und Triller in höchsten Lagen scheinen ihr mit Leichtigkeit „von der Hand“ zu gehen. Ihr gelingt es, dem Instrument das gesamte Klangspektrum zu entlocken, hat sie sich doch zudem noch gegen einen gewaltigen Orchesterapparat zu behaupten. Sobald nach einem massiven Abschnitt des gesamten Orchesters zieht Anne-Sophie Mutter in ihre Solo die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Große Anspannung und hohe Konzentration waren der Solistin anzusehen, die sich auch einer einzigartigen Bühnenpräsenz rühmen kann.
Den Abschluß des Abends machte Liszts Dante-Sinfonie. Hier zeigte sich nochmals Gergievs Verständnis musikalischer Gestaltung. Einerseits der fanfarenhafte Beginn am Höllentor auf die Worte Per me si va nella città dolent – Durch mich tritt man ein in die Stadt der Schmerzen, andererseits die Worte Francescas Non c’è nessun maggior dolore – Es gibt keinen größeren Schmerz. Der rezitativische Aspekt wurde detaillierten dargeboten. Auch die wirbelnden Höllenwinde konnte man regelrecht spüren, ebenso wie die Seufzer der gemarterten Seelen der Höllenkreise. Valery Gergiev bezaubert vor allem durch fein ausgearbeitete Mischklänge von Holz- und Blechbläsern, die nicht autonom gegeneinander stehen, sondern zu wahren Klangfarben verschmelzen. Das Magnificat am Ende wurde vom Damenchor des Mariinsky-Theaters gesungen. Zu den hohen Flöten und flirrenden Geigen mischt sich der auf Erlösung hoffende Gesang des Chores. Beinahe fühlt man sich in die Klangwelt von Wagners Parsifal versetzt.
Fazit
Ein abwechslungsreicher Konzertabend, der großenteils im Zeichen Wagners steht. Mit ihrer Darbietung gelingt es Anne-Sophie Mutter, dank Virtuosität und Klangzauber eine Lanze für zeitgenössische Musik zu brechen, was vom Publikum rückhaltlos anerkannt wurde. Ein Konzertabend auf künstlerisch höchstem Niveau!
Daniel Rilling
Bild: Andrea Kremper