Dirigent: Antonio Pappano, Orchester der Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Rom
Solistinnen: Anna Netrebko, Sopran; Marianna Pizzolato, Alt
Sinfonia, Kantaten: In Questo è il piano, questo è il rio (Alt), Nel chiuso centro (Sopran), Stabat Mater
Besuchte Aufführung: 27. Juli 2010
Anläßlich des 300. Geburtstags von Giovanni Battista Pergolesi (1710-1736) erklang an diesem Abend eine Werkauswahl des italienischen Komponisten Die Sinfonia ist der adäquate Auftakt zu einer abwechslungsreichen ersten Hälfte. In harten Forte-Piano-Kontrasten, einer ausbalancierten Terrassendynamik und dank eines transparenten Klangkörpers gelingt Antonio Pappano mit dem ersten Allegro ein schwungvoller Einstieg. Der langsame Mittelteil ist das lyrische Gegenstück. Insbesondere die zart intonierten Streicherpassagen zeugen von großer musikalischer Poesie. Die nachfolgenden Kantaten handeln beide von unglücklicher Liebe. In Questo è il piano, questo è il rio – Dies ist die Wiese, dies ist der Fluß steht im Zentrum die Klage um die an einen anderen verlorene Geliebte. Während der ersten Arie scheint man in den Streichern wahrhaftig das Zwitschern der Vögel und Rauschen des Bächleins zu vernehmen, während Marianna Pizzolato mit ihrer vollen, dunkel timbrierten Stimme von vergangenem Liebesglück singt. Das folgende Rezitativ berichtet von Schmerz und Bitterkeit (amaro), was die folgende Arie Torna, torna a Cocito – Kehre zurück in den Kozytus (sagenhafter Fluß in der Unterwelt) noch unterstreicht. Pizzolato bringt ihre langausschwingenden Koloraturen mit großer Leichtigkeit heraus. Lediglich bei Spitzentönen neigt sie gerne zum Forcieren, was der Stimme leichte Schärfen verleiht.
In Anna Netrebkos Nel chiuso centro – An diesem geschlossenen Ort, der Klage Orfeos über die verstorbene Euridice ist der dramatische Ausdruck noch verdichtet. Während in der ersten Kantate noch arkadische Naturschilderung einfließt, zeigt die nun folgende Orfeos inneres Befinden an. Dies in Klang und Sprache zu vermitteln, gelingt Netrebko exzellent. Stimmlich kann man von einem passenden Pendant zu Marianna Pizzolato sprechen. Netrebkos stark kehliges Timbre überrascht vor allem in den Höhen mit großer Geschmeidigkeit, während sie in tiefen Lagen sehr voluminös und beweglich wirkt. Großartig ist ihre Ausdrucksstärke im Secco-Rezitativ. Hier gelingt insbesondere das Färben dunkler Vokale bei Worten wie dolore – Schmerz und orrore – Schrecken. Ihre Artikulation ist klar und präzise. In den beiden dramatischen Arien kommen ihre Erfahrungen als Opernsängerin zur Geltung. Jedes Wort und jede Phrase ist mit Bedacht ausgestaltet, beispielsweise das Chi m’ascolta, chi m’addita? – Wer hört mich, wer sagt mir? wird als sich steigernde Einheit begriffen.
Das nach der Pause folgende Stabat Mater, auch als Marienklage bekannt, ist in seinem musikalischen Ausdruck zum bislang Gehörten völlig konträr. Das opernhaft-dramatische des ersten Teils weicht dem kontemplativ-kirchenmusikalischen. Kurze Duette und Solopartien wechseln miteinander ab. Im beginnenden Duett Stabat mater zeigen sich Netrebko und Pizzolato als wohl aufeinander abgestimmte Duettpartnerinnen, deren Klangbild zu einem einheitlichen Ganzen verschmilzt. Vor allem Marianna Pizzolato bezaubert durch verhaltene Expressivität, was die sensible Musik aus sich selbst sprechen läßt. Ihre Phrasierung auf Fac ut portem Chrsti mortem – Laß mich Christi Tod tragen zeigt den detaillierten Gestaltungswillen der Altistin. Netrebko dagegen verliert sich leider mehr und mehr in dramatischer Ekstase, was der Atmosphäre des Werks starke Unruhe verleiht. Das abklingende Dum emisit spiritum – und trostlos seinen Geist aushauchen wirkt durch ihr zu stark mitbildend-wollendes Eingreifen mehr wiederbelebend als kontemplativ. Auch entfernt sie sich stimmlich gegen Ende von der stets sanft-intonierenden Altstimme.
Fazit
Ein vor allem im ersten Teil musikalisch sehr interessanter Konzertabend, den man in dieser Zusammenstellung selten zu hören bekommt. Anna Netrebko kann ihre Stärke im Bereich der Barockmusik unter Beweis stellen, während Marianna Pizzolato vor allem im Stabat Mater ihre stimmlichen Vorteile zur Geltung bringt.
Daniel Rilling
Bild: Andrea Kremper
Das Bild zeigt: von links: Anna Netrebko, der Dirigent Antonio Pappano und Marianna Pizzolato