von Richard Wagner (1813–1883), Text vom Komponisten, UA: 1876 Bayreuth
Regie: Anthony Pilavachi, Bühne: Momme Röhrbein, Kostüme: Angelika Rieck, Dramaturgie: Katharina Kost, Beleuchtung: Klaus Emil Zimmermann und Anthony Pilavachi
Dirigent: Roman Brogli-Sacher, Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck, Chor und Extrachor des Theater LübeckSolisten: Richard Decker (Siegfried), Gerard Quinn (Gunther), Antonia Yang (Alberich), Gary Jankowski (Hagen), Rebecca Teem (Brünnhilde ), Ausrine Studynte (Gutrune), Veronika Waldner (erste Norn/Waltraute), Roswitha C. Müller (zweite Norn/Wellgunde), Anne Ellersiek (dritte Norn), Sonja Freitag (Woglinde), Julie-Marie Sundal (Floßhilde) und Statisterie
Besuchte Aufführung: 5. September 2010 (Premiere)
Siegfried entscheidet sich in die Welt aufzubrechen und überreicht Brünnhilde den Ring als Liebespfand. Er erreicht die Gibichungen, wo Gunther, Gutrune und Hagen ihm einen Vergessenstrank verabreichen. Er soll Brünnhilde vergessen, sie für Gunther gewinnen und selbst Gutrune heiraten. Siegfried täuscht Brünnhilde mit dem Tarnhelm und entreißt ihr den Ring. Hagens Intrige geht auf, und Brünnhilde und Gunther willigen ein, daß Siegfried getötet werden soll. Er macht die Wirkung des Vergessenstranks rückgängig und ersticht Siegfried an seiner verwundbaren Stelle, versucht den Ring an sich zu bringen und tötet deswegen Gunther. Doch in diesem Moment nimmt Brünnhilde ihn an sich. Sie ist entschlossen, Siegfried in den Tod zu folgen. Der Rhein tritt über das Ufer, reißt Hagen in den Tod nimmt den Ring in sich auf.
Aufführung
Beim Prolog der Nornen sind zwei große Büsten von Richard und Cosima Wagner im Hintergrund zu erkennen. Die Nornen sind schwarz-weiß mit roten Akzenten gekleidet. Siegfried und Brünnhilde werden mit ihren neun Kindern als harmonische, bunte Hippie-Großfamilie charakterisiert: Man sieht einen Eßtisch, Colaflaschen, gemalte Kinderbilder an der Wand, eine Wohnzimmerecke, Kinderverkleidungen, Jeans Trainingsjacke und Kleidung mit Flammen-Aufdruck. Im Kontrast dazu stehen die Gibichungen. In einem weiträumigen Saal mit Säulen bewegt sich die Gesellschaft in glitzernden Cocktailkleidern und schwarz-weißen Anzügen und feiert ein ausgelassenes, exzessives Fest. Stroboskopeffekte, einen Käfig und Brünnhildes Körper, der von Wunden und blauen Flecken übersäht ist, sieht man in der Entführungsszene. Der Kontrast zwischen Abenteuer und Dekadenz, den man sieht, und historische Anspielungen wie die Wagner-Büsten und ein Hitlerjunge bieten dem Zuschauer weitreichende Deutungsmöglichkeiten.
Sänger und Orchester
Es sind an diesem Abend die weiblichen Darsteller, die besonders angenehm auffallen, allen voran Rebecca Teem als Brünnhilde. Sie stellt kontrastreich, aber glaubwürdig, die liebevolle Mutter auf der einen und das verzweifelte, entführte, bis zum Tod liebende Opfer auf der anderen Seite dar. Ihr Gesang ist erschütternd und ergreifend, ihre Spitzentöne auf den Worten, die für die entscheidenden Motive der Inszenierung stehen wie Heil!, Liebe!, Verrat! oder Betrug! werden intonatorischer gesetzt. Vor allem ihr Gefühlsausdruck bei Mir schwindet das Licht, Siegfried kennt mich nicht! (2.Szene, 2. Aufzug) ist bemerkenswert. Ausrine Studynte (Gutrune) steht ihr in fast nichts nach. Sie verkörpert eine laszive, exzentrisch-reiche, aber dennoch naive Frau. Die Tragfähigkeit und Charakteristik ihrer Stimme paßt zu ihrer Rolle. Veronika Waldner, Roswitha C. Müller und Anne Ellersiek als Nornen Trio verleiht dem langen Prolog durch sein gesangliches Können dramatische Tiefe. Richard Decker (Siegfried) verkörpert bravourös den unbekümmerten Helden mit seinem leichten, strahlenden Tenor. Gary Jankowski, dem die Rolle als Hagen auf den Leib geschrieben ist, beeindruckt mit seinem dunklen und reinen Timbre. Auch seine artikulatorische Genauigkeit trägt zu dem guten Gesamteindruck seiner Leistung bei. Das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck unter der Leitung von Roman Brogli-Sacher leistet ganze Arbeit und schafft es, den Vortrag der Sänger emotional und atmosphärisch zu unterstützen, ohne sich dabei in den Vordergrund zu drängen.
Fazit
Anthony Pilavachi gelingt mit seiner Inszenierung eine runde und kurzweilige Wagner-Interpretation. Das Publikum ist begeistert und ruft schon vor dem Ende Bravo. Das Wagner-trifft-Mann-Projekt des Theater Lübecks, bestehend aus der Präsentation von Ring-Tetralogie und Thomas Manns Werken, ist eine interessante, empfehlenswerte Veranstaltung.
Frederike Arns
Bild: Oliver Fantitsch
Das Bild zeigt: Richard Decker (Siegfried), Rebecca Teem (Brünnhilde) und die Statisterie.