von Richard Wagner (1813 – 1883), Dritter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen in drei Aufzügen und einem Prolog, Text vom Komponisten, UA 17. August 1876 Bayreuth
Dirigent: Stefan Soltesz, Essener Philharmoniker, Herrenchor des Aalto Theaters, Einstudierung: Alexander Eberle
Regie: Barrie Kosky, Bühne: Klaus Grünberg, Kostüme: Klaus Bruns
Solisten: Jeffrey Dowd (Siegfried), Heiko Trinsinger (Gunther), Attila Jun (Hagen), Caroline Whisnant (Brünnhilde), Günter Kiefer (Alberich), Francisca Devos (Gutrune), Ieva Prudnikovaite (Waltraute) u.a.
Besuchte Aufführung: 10. Oktober 2010 (Premiere)
Für Siegfried besitzt der Ring des Nibelungen ewige Macht. Dieser Ring ist mit einem Fluch belegt. Auch der Nibelungensproß Hagen, Halbbruder des Fürsten Gunther, möchte den Ring besitzen. Als es Siegfried an den Rhein zu Gunther verschlägt – den Ring hat er bei seiner Braut Brünnhilde zurückgelassen – verliert er unter dem Einfluß eines Zaubertranks jede Erinnerung an Brünnhilde. Er will sie sogar Gunther als Frau zuführen. Haßerfüllt wendet sich Brünnhilde gegen Siegfried und beschuldigt ihn, sich ihr unsittlich genähert zu haben. Daraufhin fordert Hagen Siegfrieds Tod für seinen Betrug an Gunther. Auf der Jagd tötet Hagen Siegfried, doch Brünnhilde stürzt sich mit dem Ring in den für den Toten brennenden Scheiterhaufen. Der Ring versinkt im Rhein und die Welt ist erlöst vom Fluch. Sein Verschwinden bringt auch das Ende der Götter mit sich, die „Götterdämmerung“ ist angebrochen.
Aufführung
Am Anfang minutenlange Stille: Vor dem Vorhang schiebt eine nackte alte Frau (die Göttin Erda) einen Karton über die Bühne, aus dem sie drei Stühle nimmt. Der Karton wird zu einem zentralen Motiv des Abends. Er dient der Entführung und dem Abtransport von Brünnhilde und ist auch beim Mord an Siegfried hilfreich. Alberich, hier ein Jude mit langen Schläfenlocken, entsteigt dem Karton bei seinem Gespräch mit Hagen. Bevor jedoch die Handlung beginnt, nehmen die Nornen Platz auf den Stühlen. Während sie die Vorgeschichte rekapitulieren, läuft zur Illustration ein Zeichentrickfilm aus den „Walhall Studios“. Danach vergnügt sich Siegfried mit Brünnhilde in einer winzigen Ein-Zimmer-Wohnung. Siegfried ist ein hyperaktiver Lausebengel, der an Gunthers Hof seine Schuhe auf den Tisch stellt und gleich über Gutrune herfällt. Gunther schrecken solche rohen Sitten nicht: Im zweiten Akt erweisen sich seine Gefolgsleute als eine Horde von biertrinkenden und grölenden Skinheads. Der dritte Akt beginnt im Nachtclub „Rheingold“ mit Revuegirls und einer dem Karton entsteigenden Phalanx von Kriegern aus verschiedenen Jahrhunderten (einschließlich Superman). Es kommt zu einer Orgie, an der sich auch ein Jude (Alberich?) beteiligt. Nachdem reichlich Blut geflossen ist, übergibt Brünnhilde den Ring an Erda. Eine „Götterdämmerung“ findet nicht statt.
Sänger und Orchester
Der Funke will nicht so recht überspringen: Trotz sattem Streicherklang und flüssigen, dabei sich dramatisch zuspitzenden Tempi können Stefan Soltesz und seine Essener Philharmoniker ihre herausragende Leistung der vorherigen Ring-Teile nicht wiederholen. Zu unsicher sind die Blechbläser, vor allem die Hörner, und immer wieder kommt es zu Abstimmungsschwierigkeiten mit der Bühne. Vom Solistenensemble hinterläßt Heiko Trinsinger (Gunther) mit warm timbriertem, noblem Bariton und der intensiven Darstellung eines verklemmten Dandys den stärksten Eindruck. Ein charismatischer Darsteller ist auch Jeffrey Dowd (Siegfried), der diesmal aber stimmlich kraft- und farblos bleibt, wohl auch deshalb, weil er noch an den Folgen einer Erkältung leidet. Caroline Whisnant (Brünnhilde) ist jenseits bloßer Lautstärke um eine differenzierte Interpretation bemüht und hat einige leuchtende Spitzentöne parat. Die tiefere Lage klingt bei ihr jedoch gepreßt – oder fehlt ganz. Attila Jun ist ein sadistischer Hagen mit unerschöpflichen stimmlichen Kraftreserven und einem rauhen, ungeschlachten Timbre. Günter Kiefer (Alberich) dagegen vereint dämonische Schwärze und Eleganz prächtig miteinander. Ieva Prudnikovaite (Waltraute) vermag das Publikum zu berühren mit ihren weit gespannten Melodiebögen. Seine Auftritte als stimmgewaltige, verstörende Masse kostet der Herrenchor spielfreudig aus.
Fazit
Musikalisch durchwachsen und szenisch auf dem Tiefpunkt – dies ist die Bilanz des Essener Ring-Finales. Der mit kräftigen Buhs bedachte Regisseur Barrie Kosky hat sich offensichtlich vorgenommen, alle gängigen Klischees der Wagner-Rezeption auf einmal auf die Schippe zu nehmen – und verzettelt sich dabei mit einer Abfolge sinnentleerter Situationen ohne jeden roten Faden. Daran ändern auch einzelne starke Bilder – z.B. Hagen, der seinen Vater Alberich tröstend in den Armen hält – nichts. Bleibt zu hoffen, daß sich wenigstens die musikalischen Schwächen in den kommenden Aufführungen zu einem großen Teil korrigieren lassen. Der Jubel des Publikums fällt in dieser Hinsicht denn auch deutlich schwächer aus als noch vor einem Jahr bei Siegfried.
Dr. Eva-Maria Ernst
Bild: Matthias Jung
Das Bild zeigt: Attila Jun (Hagen, stehend), Jeffrey Dowd (Siegfried), Francisca Devos (Gutrune)