von Henry Purcell (1659-1695) und Howard Arman, Oper in drei Akten und einem Prolog, Libretto: Nahum Tate und Philipp Kochheim
UA: 15. Oktober 2010, Bühnen der Stadt GeraRegie: Philipp Kochheim; Bühnenbild: Thomas Gruber, Kostüme: Wiebke Meier
Dirigent: Howard Arman, Philharmonisches Orchester Altenburg-Gera, Opernchor von Theater & Philharmonie Thüringen
Solisten: Rachael Lloyd (Dido), Tobias Scharfenberger (Aeneas), Wolfgang Jahn (Aeneas‘ Aler Ego), Kim Sheehan (Belinda), Bernhard Landauer (Zauberin) u.a.
Besuchte Aufführung: 15. Oktober 2010 (Premiere und Uraufführung)
Aeneas, aus dem zerstörten Troja geflohen, erreicht auf seinem Weg zu dem ihm von den Göttern versprochenen Italien die Küsten Karthagos und verliebt sich in die verwitwete Königin Dido. Ihre Liebe ist frisch und rein, doch eine böse Zauberin schmiedet mit ihrem Hexengefolge einen fatalen Plan, um das Glück der Königin samt ihrem Reich zu zerstören. Während einer Jagd beschwört sie einen Sturm. Aeneas bleibt allein zurück. Ein Geist erscheint ihm als Merkur und erinnert ihn an seine göttliche Pflicht. Er entscheidet sich trotz seiner Liebe zu Dido noch am gleichen Abend abzureisen. Dido ist entsetzt und wirft ihm Verrat vor. Sie stirbt in derselben Nacht an gebrochenem Herzen.
Aufführung
Nicht nur die Musik wird in dieser Uraufführung von der barocken Vergangenheit in eine zeitgenössische Gegenwart transportiert, sondern auch der inhaltliche Aspekt der antiken Erzählung – eine verlorene Liebe – wird dem Publikum im Heute präsentiert. Regisseur Kochheim schrieb einen deutschsprachigen Prolog, in welchem der alte Aeneas mit seinen jugendlichen Erinnerungen an seine große Liebe Dido konfrontiert wird. Dabei greift er textlich originale Passagen des englischen Librettos auf. Die Inszenierung beginnt und endet mit geöffnetem Vorhang, welcher den Blick auf das chaotische Gemach des greisen Aeneas freigibt. Im Zentrum der Bühne befindet sich eine zweite, erhöhte, mit einem zunächst blickdichten Schleier abgetrennte Bühne, welche erst nach und nach Einblicke gewährt. Diese stellt ein weißes Ikea-Loft dar, in welchem sich die erhaltenen Teile der Originaloper Purcells abspielen. Dido ist hier keine antike Königin mehr, sondern die erfolgreiche Chefin eines Modeunternehmens. Dem in weiß bis bläulich pastellfarben kostümierten Gefolge Didos und Aeneas’ werden der in grellen Farben und gothic-punkigen Outfits gesteckte Furienchor samt androgyner Zauberin mit blonder Langhaarperücke und blau-schwarzem Leopardenmuster-Anzug gegenübergestellt.
Sänger und Orchester
Zeitgenössische musikalische Neubearbeitungen vergangener Werke neigen zu aufgepfropfter Modernisierung mit krassen Brüchen, die mitunter gewollt sind. Das tat der neue GMD des Geraer Theaters und Dirigent dieses Premierenabends Howard Arman aber gerade nicht. Seine hinzugefügten Kompositionen stehen teilweise an Stelle derjenigen im ältesten Libretto von 1689 erwähnten Stücke, welche verloren gegangen sind, teilweise sind sie eigenständig hinzugefügt, z.B. die Ouvertüre, eine Chaconne und eine Vorhangmusik. Durch den Einsatz zweier Instrumentalensembles – Streicher und Continuo aus Purcells Partitur sowie ein weiteres Streichensemble zusammen mit Holz-, Blechbläsern und Schlagwerk mit dazugehörigem modernen Continuo bestehend aus Harfe und Klavier – entsteht eine stimmige Mischung aus barocker und zeitgenössischer Klangsprache. Arman bediente sich dabei sowohl bei atonaler Musik als auch beim Jazz und der Filmmusik. Außer dem neukomponierten Furienchor mit Schlagwerk und Sprechgesangelementen stammen sämtliche Gesangsstücke von Purcell. Sie wurden vom Solistenensemble und Opernchor sowohl stimmlich als auch darstellerisch gekonnt umgesetzt. Die Mezzosopranistin Rachael Lloyd (Dido) und der Bariton Tobias Scharfenberger (Aeneas) interpretierten ihre Rollen souverän, manchmal ein wenig zurückhaltend in der stimmlichen Präsenz. Dagegen wirkte ihre natürliche und schlichte schauspielerische Darstellung des Beziehungsdramas rundum überzeugend. Mit ihrem klaren, leichten Sopran verzauberte Kim Sheehan (Belinda) in ihren Arien das Premierenpublikum. Eine gesanglich und darstellerisch herausragende Zauberin bot der Altist Bernhard Landauer. Der Schauspieler Wolfgang Jahn rührte in seiner leidenschaftlichen, ergreifenden Interpretation des sterbenden, senilen Alter Ego des Aeneas das Publikum.
Fazit
Dem Geraer Theater gelingt mit dieser Opernbearbeitung ein Schritt in eine neue künstlerische Sphäre. Der ungewohnte Mix aus barocker und zeitgenössischer Klangsprache in Kombination mit einer durchdachten Übertragung des inhaltlichen Grundgedankens der Oper in ein modernes Regiekonzept stellt diese Inszenierung weit über zuvor gewagte dramatische Übertragungen, wie sie in der letzten Geraer Spielzeit zu sehen waren. Das Premierenpublikum dankte mit entsprechend langanhaltendem Applaus nach den letzten gehauchten Flötenlauten und den irritierenden, raschelnden Geräuschen aus dem Orchestergraben.
Josephin Wietschel
Bild: Stephan Walzl
Das Bild zeigt: Bernhard Landauer (Zauberin) mit seinen Furien sich über das schlafende Liebespaar (Tobias Scharfenberger und Rachael Lloyd) lustig machend.