von Christoph Willibald Gluck (1714-1787), Tragédie-opéra in 4 Akten, Libretto: Nicolas-François Guillard, in französischer Sprache, UA: 1779, Paris
Regie: Jakob Peters-Messer, Bühnenbild: Tobias Hoheisel
Dirigent: Roland Kluttig, Philharmonisches Orchester, Chor und Ballett Landestheater Coburg
Solisten: Betsy Horne (Iphigénie), Benjamin Werth (Oreste), Roman Payer (Pylade), Rainer Scheerer (Thoas), Joanna Stark (erste Priesterin), Gabriele Bauer-Rosenthal (zweite Priesterin), Marie Smolka (Diane, Griechin), u.a.
Besuchte Aufführung: 18. September 2010 (Premiere)
Auf Tauris dient Iphigénie der Göttin Diane als Oberpriesterin. Zu ihren Pflichten gehört die Opferung jedes Fremden, der Tauris betritt. Durch einen Sturm stranden ihr Bruder Orest und sein Gefährte Pylade auf Tauris und sollen geopfert werden. Orest wird, seit er den Tod des Vaters durch die Ermordung der Mutter Klytämnestra rächte, von den Furien verfolgt. Als er Iphigénie begegnet, sie jedoch nicht erkennt, da er sie für tot hält, berichtet er von den furchtbaren Ereignissen im Vaterhaus. Iphigénie will den Fremden, der sie an den eigenen Bruder erinnert, retten und mit einer Botschaft zur Schwester schicken. Doch Orest droht mit seinem Selbstmord, bis sie Pylade schickt. Iphigénie erkennt Orest, aber König Thoas ist erzürnt über die Flucht von Pylade und Iphigénies Weigerung ihrer Pflicht nachzukommen. Rechtzeitig kehrt Pylade zurück und tötet Thoas. Diane verzeiht Orest und verheißt den Geschwistern eine gute Heimfahrt.
Aufführung
Das Einheitsbühnenbild zeigt eine schmucklose steinerne Rampe, die an drei Seiten von einer Holz-Palisade umgeben ist. Zum Betreten kann man in dem Zaun schmale Luken öffnen und eine Leiter herunterklettern. Man kann aber auch über den Zaun schauen und Iphigénie dabei zusehen wie ungern sie mit einem schmalen Dolch die Opferungen vornimmt. Allerdings bleiben die Leichen nicht liegen, sondern belästigen Iphigénie erst noch etwas und winden sich dann von der Bühne. Nachdem Orest und Pylade mit verbundenen Augen auf die Rampe geworfen wurden, werden sie von vier Klytämnestra-Doubles verfolgt. Thoas wird von schwarzen Stockträgern unterstützt. Am Ende senkt sich ein helles Licht vom ersten Rang auf die Bühne, Diana verkündet Ihre Botschaft von dort. Die Kostüme lassen sich weder Zeit noch Ort zuordnen, die Damen tragen bunte Wickelgewänder und einen Turban, die Herren helle Hosenanzüge, Thoas einen schwarzen Anzug und einen tiefschwarzen Bubikopf.
Sänger und Orchester
Musikalisch war dieser Abend sicherlich eine Sternstunde. Vater des Erfolges der neue GMD Roland Kluttig, der das Philharmonische Orchester zu einer enormen Energieleistung trieb – die Instrumente waren manchmal deutlich zu laut. Farbenreichtum, fein ausgewogene Lautstärke- und Tempowechsel versinnbildlichten die Gefühle, die die Hauptdarsteller auf der Bühne darzustellen hatten. Durch die Einheit von Bühne und Orchester wurden die geschilderten Abgründe in der menschlichen Seele fühlbar, wie z.B. von Betsy Horne (Iphigénie), die ihren Rollenwechsel vom Mezzo zum dramatischen Sopran vorführte. Sie war stark in den dramatischen Momenten, lyrisch verhalten und technisch glänzend in den nachdenklichen Momenten. Ebenso ausdrucksstark Benjamin Werth als Orest, der sich als Bariton im italienisch-französischen Fach mit klarer Höhe empfahl. Dagegen konnte sich Roman Payer als Pylades nicht durchsetzen. Obschon er ein Tenor ist, hörten sich seine Höhen heiser und unschön an. Dem Wahnsinn verfallen ist der Massenmörder Thoas, dargestellt von Rainer Scheerer. Er gibt der Hysterie seiner Figur Gestalt und führt die Monologe an der Grenze zwischen intensiver Dramatik und dem Überschlagen der Stimme. Für diese Rolle war seine sängerische Leistung grandios, aber ob er über weitere klangliche Feinheiten verfügt, muß er noch in anderen Rollen zeigen. Marie Smolka als Diana und Griechin war kaum zu hören, da sie von der Tür zum Foyer aus singen mußte.
Fazit
Für Coburger Verhältnisse frenetischer und überlanger Beifall für die erste Produktion unter dem neuen Intendanten Bodo Busse. Mit einer hervorragenden musikalischen Umsetzung – geprägt durch ein harmonisch aufeinander abgestimmtes Sängerensemble – setzt er einen Maßstab, der hoffentlich seine Amtszeit prägen wird. Eine Weiterentwicklung des (bisher schon guten) Sängerensembles ist z.B. mit dem Zugang von Betsy Horne augenfällig. Für die szenische Umsetzung in einer zeitlosen, etwas nichtssagenden Bühne ist er nicht verantwortlich, aber man hätte den Regisseur Jakob-Peters-Messer wohl darauf hinweisen sollen, daß Menschenopfer zur Besänftigung griechischer Götter eigentlich nur in einem antiken griechischen Zusammenhang glaubhaft sind. Eine detaillierte Personenführung und eine gute Bewegungschoreographie des Chores lieferte er aber dennoch ab. Selten hat man die Beziehung zwischen Iphigénie und Orest bzw. Zwischen Orest und Pylade so erhellend auf den Punkt gebracht gesehen.
Oliver Hohlbach
Bild: Henning Rosenbusch
Das Bild zeigt: Das Licht fährt vom ersten Rang hinunter: Kronleuchter blenden mit Licht.