von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-91), comedia per musica in vier Akten, Libretto: Lorenzo da Ponte nach Le Mariage de Figaro von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, UA.: 1. Mai 1786 Burgtheater, Wien
Regie: Giorgio Strehler (1921-1997), eingerichtet: Humbert Camerlo, Bühne/Kostüme: Ezio Frigerio, Licht: Vinicio Cheli, Choreographie: Jean Guizerix
Dirigent: Philippe Jordan, Orchester und Chor der Opéra de Paris, Choreinstudierung: Alessandro di Stefano, Cembalo: Denis Dubois
Solisten: Ludovico Tézier, (Graf Almaviva), Barbara Frittoli Gräfin), Ekaterina Syurina (Susanna), Luca Pisaroni (Figaro), Karine Deshayes(Cherubino), Ann Murray (Marcellina), Robert Lloyd(Bartolo), Robin Leggate (Don Basilio), Antoine Normand (Don Curzio), Christian Tréguier (Antonio), Barbarina: Maria Virginia Savastano u.a.
Besuchte Aufführung: 23. Oktober 2010 (Premiere)
Die geplante Hochzeit Figaros und Susannas, Diener und Kammerzofe im Dienste des Grafen Almaviva, scheint an immer neuen Hindernissen zu scheitern. Einerseits, hat der Graf selbst ein Auge auf Susanna geworfen, andererseits, will auch die Haushälterin Marcellina den Figaro heiraten (gegen Tilgung einer unbezahlten Schuld). Und der in alle Weiblichkeit verliebte Page Cherubin wirbelt mit flatterhaftem Werben das Vorhaben aller durcheinander. In diesem anmutigen Garten der Gefühle blühen Liebe und Sehnsucht, Eifersucht und Wut, Ränke und Missverständnisse wie wilde, dornige Rosen, betörend duftende Gardenien oder wuchernde Schlingpflanzen. Erst einem gemeinsamen Intrigenspiel Susannas, Figaros und der Gräfin gelingt es, den Grafen der ehelichen Untreue zu überführen, so daß er endlich mit ritterlicher Geste die Hochzeit zuläßt.
Aufführung
Wiederaufnahme der legendären Inszenierung Giorgio Strehlers von 1973 zum 100. Geburtstag Rolf Liebermanns, Generaldirektor der Pariser Oper der Jahre 1973-1980. Die Bühnenbilder sind schlicht und elegant ohne jegliches Überladensein, was die farbige Pracht der Kostüme im dritten Akt besonders hervortreten läßt. Der Bühnenraum hat eine ungewohnte Tiefe, in dem wirkungsvoll die großen, fast leeren Säle des gräflichen Schlosses entstehen. Der Schloßpark im vierten Akt scheint einem alten Gemälde entlehnt. Die schauspielerische Aktion der Künstler ist bis ins kleinste Detail ausgearbeitet, ist natürlich und unerhört lebendig. Einige Szenen im zweiten und dritten Akt dieser comedia per musica sind von unwiderstehlicher Komik, aber fallen nie aus dem Rahmen der höfischen Kultur des Ancien Régime.
Sänger und Orchester
Lodovico Tézier, mit wohlklingendem Baß, kreiert überzeugend einen launenhaften Graf, dessen leidenschaftliche Ausbrüche ihn, wie in Hai già vinta la causa – Du hast den Prozeß schon gewonnen (3. Akt) besonders wirksam in Erscheinung treten läßt. Barbara Frittoli als vernachlässigte Gräfin, beklagt ihr Schicksal mit weicher, voller Stimme, wenn auch manchmal mit etwas zuviel Vibrato. Luca Pisaronis kraftvoller, warmer Bariton, bewundernswert beherrscht, und sein natürliches Spiel machen ihn zu einem vollendeten Figaro. Bezaubernd, stimmlich wie in ihrer schauspielerischen Darstellung der Kammerzofe Susanna ist die russische Sopranistin Ekatarina Syurina. Ihre Rosenarie Giunse alfin il momente – Endlich kommt der Augenblick (4. Akt, 10. Szene) ist bewegend. Karine Deshayes als quirliger Cherubin findet stimmlich erst im Voi che sapete – Ihr, die ihr wißt (2. Akt) in ihre bezaubernde Rolle hinein. Ann Murrays manchmal fast schriller Sopran paßt gut zur Rolle der intriganten Haushälterin. Und Robert Lloyds orgelnder Baß sowie Robin Leggates heller Tenor fügen sich wie die übrigen Sänger und Sängerinnen in ein gut aufeinander eingespieltes Ensemble ein – der Zusammenklang in den Ensembleszenen ist mitreißend. Philippe Jordan dirigiert das Orchester der Nationaloper schwungvoll, präzise und nuanciert, so daß vor allem die Bläser immer wieder zur entsprechenden Geltung kommen. Leider überdeckt der Orchesterklang hin und wieder die Stimmen. (Ob das ein Problem der Akustik ganz vorne im 1. Balkon des Hauses ist?)
Fazit
Giorgio Strehlers Figaro-Inszenierung (mit Enzio Frigerios Kostümen und Bühnenbildern) gehört zu jenen legendär gewordenen Ausdruckformen der Oper der letzten 50 Jahre, denen u.a. auch Der Barbier von Sevilla von Dario Fo, Atys von Jean Marie Villégier und Agrippina von David Mc Vicar angehören.
Indem er seine Inszenierung ohne jegliche Übertreibung auf den Geschmack, den Stil, die Sensibilität, aber auch die gesellschaftliche Problematik des ausgehenden 18. Jahrhundert abstimmt, läßt er eine allgemeingültige, stilistisch einheitliche Menschliche Komödie entstehen, in dem Musik, Text und Bühnenkunst sich gegenseitig bereichern. Das ausverkaufte Haus hat ihn (posthum), das Ensemble, den Dirigenten und das Orchester gebührend gefeiert.
Alexander Jordis-Lohausen
Bild: Fred Toulet / Opéra national de Paris
Das Bild zeigt: Karine Deshayes (Cherubin), Barbara Frittoli (Gräfin Almaviva) und Ekaterina Syurina (Susanna)