von Engelbert Humperdinck (1854-1921), Märchenspiel in drei Bildern, Libretto: Adelheid Wette, UA: 1893, Weimar
Regie: Thalia Schuster, Bühne: Andreas Becker, Kostüme: Elena Anatolevna, Dramaturgie: Michael Dühn, Friedrich Sprondel
Dirigent: Gerhard Markson, Orchester: Philharmonisches Orchester, Kinderchor Theater Freiburg, Choreinstudierung: Thomas Schmieger
Solisten: Neal Schwantes (Peter Besenbinder), Sigrun Schell (Mutter Gertrud), Sally Wilson (Hänsel), Lini Gong (Gretel), Roberto Gionfriddo (Hexe), Kyoung-Eun Lee (Sandmännchen), Anja Steinert (Taumännchen)
Besuchte Aufführung: 30. Oktober 2010 (Premiere)
Die Handlung der Oper folgt von kleineren Abweichungen abgesehen dem bekannten Märchen der Gebrüder Grimm: Die Geschwister Hänsel und Gretel werden von ihrer Mutter aus Wut über deren Ungehorsam in den Wald geschickt. Dort entdecken sie nach einigen Verirrungen das Haus der Knusperhexe, die mit köstlichen Süßigkeiten lockt. Von einem Zauberspruch gebannt, sind die Geschwister gezwungen, im Knusperhäuschen zu bleiben. Bevor es aber zum Schlimmsten kommt und der gemästete Hänsel mitsamt seiner Schwester im Ofen gebacken wird, gelingt es Gretel durch eine List, die Hexe selber in den Ofen zu stoßen. Am Ende feiern die anderen gefangenen, nun aufgewachten Kinder zusammen mit Hänsel und Gretel sowie den Eltern ihren Triumph über die Hexe.
Aufführung
Thalia Schusters Deutung von Humperdincks Oper verzichtet über weite Strecken auf eine Aktualisierung beziehungsweise Modernisierung, so daß der märchenhafte Charakter des Stücks erhalten bleibt. Während des langen Orchestervorspiels zu Beginn etwa bleibt der Vorhang unten, damit die Musik alleine zu ihrem vollen Recht gelangt. Zwar wirkt die giftgrün gestrichene Wohnung im ersten Bild wie aus der Gegenwart und das Innere des Knusperhäuschens mit flackerndem Ofen wie eine Art Metzgerei, am Ende des zweiten Bildes jedoch erscheinen 14 liebevoll kostümierte Engel, um über den Schlaf der Geschwister zu wachen. Im ersten Bild zieht der angetrunken nach Hause gekommene Vater wie vorgeschrieben Speck und Butter, Eier und Würste sowie ein halbes Pfund Kaffee aus der Tasche. Das Waldbühnenbild zeigt eine traumartige Verschmelzung von Innenraum und Natur. So ist auch die bunt blinkende Tür des Knusperhäuschens in eine grüne, den Wald darstellende Wand eingelassen. Daß am Ende zum gesungenen Wenn die Not aufs Höchste steigt, Gott, der Herr, die Hand uns reicht! bereits wieder eine neue Hexe von der Seite die Kinder mit Süßigkeiten verführt, relativiert die religiös-naive Schlußmoral. Auch daß Hänsel am Ende im Gegensatz zu Gretel die Mutter demonstrativ nicht umarmt, dämpft die finale familiäre Wiedervereinigung und weist auf ungelöste Spannungen hin.
Sänger und Orchester
Roberto Gionfriddo hat als witzig verkleidete Knusperhexe und aufgedreht spielender Buffo-Tenor die Publikumslacher mehr als einmal auf seiner Seite. Überhaupt scheint dem Gesangsensemble sowie dem Philharmonischen Orchester Freiburg unter Gerhard Markson Humperdincks Oper gut zu liegen. Sally Wilson als Hänsel und Lini Gong als Gretel bilden ein die zahlreichen Duette souverän meisterndes Geschwisterpaar, das auch schauspielerisch glänzt. Wo Wilsons Mezzosopran in der Höhe wärmer klingt, setzt Lini Gong die Beweglichkeit ihres schlanken Soprans dafür gekonnt in Szene. Auf gleich hohem Niveau agieren die Nebendarsteller Neal Schwantes und Sigrun Schell als Eltern, während Kyoung-Eun Lee als Sandmännchen und Anja Steinert als Taumännchen ihre sehr kurzen Auftritte mit stimmlicher und darstellerischer Präsenz füllen. Bis auf ein paar intonatorische Wackler in den hohen Streichern gelingt dem Orchester der Spagat zwischen Wagnerschem Melodiefluß und Volksliedhaftem, den die Partitur verlangt. Zudem stimmt die Balance zwischen Orchestergraben und Bühne, nie wurde jemand übertönt. Der Kinderchor des Theater Freiburg bot an diesem Abend quasi das musikalische Sahnehäubchen einer gelungenen Premiere.
Fazit
Langanhaltenden Jubel gab es am Premierenabend für ausnahmslos jeden der Beteiligten, was in Freiburg durchaus nicht selbstverständlich ist. Thalia Schusters Sichtweise läßt den Märchenschein der Oper unangetastet, Psychologisierungen oder Umdeutungen des Stoffes gibt es nur wenige. Das Ergebnis ist eine spielfreudig dargebotene Aufführung mit teilweise komödiantischen Zügen, wie sie im Libretto angelegt sind.
Aron Sayed
Bild: Maurice Korbel
Das Bild zeigt: Roberto Gionfriddo als Hexe, Lini Gong als Gretel, Sally Wilson als Hänsel, v.l.n.r.