Essen, Aalto-Theater – TANNHÄUSER UND DER SÄNGERKRIEG AUF WARTBURG

von Richard Wagner, Große Romantische Oper in drei Akten, Text vom Komponisten
Uraufführung Dresden, 1845
Regie: Hans Neuenfels, Bühne und Kostüme: Reinhard von der Thannen, Licht: Jürgen Nase
Dirigent: Stefan Soltesz, Essener Philharmoniker, Opern- und Extrachor des Aalto-Theaters, Einstudierung: Alexander Eberle
Solisten:
Scott MacAllister (Tannhäuser), Danielle Halbwachs (Elisabeth), Heiko Trinsinger (Wolfram von Eschenbach), Elena Zhidkova (Venus), Marcel Rosca (Landgraf Hermann), Thomas Piffka (Walther von der Vogelweide), Almas Svilpa (Biterolf), Rainer Maria Röhr (Heinrich der Schreiber), Michael Haag (Reinmar von Zweter), Christina Clark (Ein junger Hirt), Mitglieder des Aalto Kinderchors (Edelknaben)
Besuchte Vorstellung: 29.03.2008 (Premiere)

Kurzinhalt
essen-tann-hauser.jpgTannhäuser, einst ein gefeierter Sänger am Hof des Landgrafen von Thüringen, hat eine leidenschaftliche Affäre mit der Göttin Venus. Vom süßen Leben angewidert, sehnt er sich zurück nach seiner Vergangenheit. Als er die Jungfrau Maria anruft, muß Venus ihn ziehen lassen. In freier Natur trifft Tannhäuser eine Jagdgesellschaft: Landgraf Herrmann und die Sänger seines Hofes. Eine Rückkehr auf die Wartburg lehnt Tannhäuser ab. Erst als Wolfram von Eschenbach ihn an Elisabeth, die Nichte des Landgrafen und seine einstige Liebe, erinnert, läßt der Sänger sich umstimmen.
Elisabeth empfängt Tannhäuser in ausgelassener Freude. Ihre Gefühle füreinander erwachen erneut. Später preisen die Sänger in einem Wettstreit die keusche, rein geistige Liebe. Tannhäuser hält mit dem Lobpreis der sinnlichen Liebe dagegen, wie er sie bei Venus erfahren hat. Damit bricht er jedes Tabu. Empört fordert die Festgesellschaft Tannhäuser auf, sich einem Pilgerzug nach Rom anzuschließen und dort beim Papst um Vergebung für seinen Frevel zu bitten.
Vergeblich wartet Elisabeth auf Tannhäusers Rückkehr mit den Pilgern. Wolfram, der Elisabeth selbst liebt, versucht sie zu trösten. Sie weist ihn zurück. Schließlich kehrt auch Tannhäuser zurück. Der Papst hat ihm die Absolution verweigert. Diese Sündenvergebung werde ihm erst dann zuteil, wenn der Stab, das Zeichen der päpstlichen Macht, wieder ergrüne. Verbittert ruft Tannhäuser die Liebesgöttin an. Da hört er, Elisabeth sei gestorben und bitte bei Gott für ihn um Vergebung. Während eine zweite Pilgergruppe berichtet, der Stab des Papstes sei tatsächlich geschmückt mit frischem Grün, stirbt Tannhäuser erlöst.

Inszenierung
Der Essener Tannhäuser ist Hans Neuenfels’ zweite Wagner-Regiearbeit – nach den Meistersingern 1994 in Stuttgart. Sein schon im Vorfeld angekündigtes Vorhaben, die Wagner-Rezeption von Klischees und Pompösem befreien zu wollen, ist durchaus lobenswert. Der Ansatz, nach komischen oder ironisierenden Elementen bei Wagner zu suchen, funktioniert im Tannhäuser jedoch nur sehr bedingt. Herausgekommen ist denn auch über weite Strecken nicht mehr als eine Verballhornung des Werkes. Der Effekt, der sich z.B. durch die Jagd auf leicht bekleidete Damen mit Hirschgeweihen und Häschenohren (erster Akt) erzielen läßt, verpufft rasch. Tiefere Einblicke in das Werk lassen sich so kaum erreichen. Neuenfels scheint zudem selbst unschlüssig zu sein, von welcher Seite er sich dem Tannhäuser eigentlich nähern will. Zu der erwähnten Ironisierung kommt eine Gleichsetzung des Titelhelden mit dem Komponisten. Dieses Konzept hätte aufgehen können, denn im Tannhäuser geht es letztendlich um einen Menschen, der im Leben und in der Kunst zu Extremen neigt und bis zu seinem Tod nicht bereit ist, Kompromisse einzugehen. Unbestritten ist auch, daß Wagners Figuren oft autobiographische Züge haben. Der „Wagner-Tannhäuser“ wirkt jedoch inmitten des boulvardesken Geschehens deplaziert – ebenso wie die Anspielungen auf die Entstehungszeit der Oper. Und wenn sich während des Sängerwettstreits gar Wagners Mäzen Ludwig II. persönlich mit einem älteren Wagner im Schlepptau herbemüht, ist das erneut nicht mehr als purer Slapstick. Allenfalls aufdringlich wirkt der Versuch, bei Ouvertüre und Orchester-Zwischenspielen durch vor den Vorhang projizierte Texte den direkten Kontakt zum Publikum zu suchen (etwa beim Vorspiel zum dritten Akt: Es versöhnt, dass wir es bis jetzt miteinander ausgehalten haben).
Einen Teil des dritten Aktes siedeln Neuenfels und von der Thannen in einer Irrenanstalt an: offensichtlich um zu zeigen, daß „Wagner-Tannhäuser“ nur bei denen, die den Schritt aus der Gesellschaft mit letzter Konsequenz getan haben, Liebe und Anerkennung findet. Hier gelingen dem Regisseur sogar einige stille, berührende Momente. Leider fügen sie sich kaum in das Ganze ein und lösen sich außerdem angesichts neuer überflüssiger Gags (Auftritt eines Roboters mit dem Stab des Papstes) rasch in Wohlgefallen auf.

Sänger und Orchester
Scott MacAllister (Tannhäuser) verfügt über eine hell timbrierte, erfreulich schlanke Stimme, die mit ausreichend Metall und Durchschlagskraft ausgestattet ist, um alle Facetten der gefürchteten Partie souverän bewältigen zu können. Lobenswert auch die Sorgfalt, mit der er sich der Artikulation des Textes widmete – trotz eines unüberhörbar amerikanischen Akzentes.
Die Elisabeth der Danielle Halbwachs stand MacAllisters Tannhäuser kaum nach. Ihr runder, in allen Lagen sauberer und ausgeglichener Sopran war ein Vergnügen. Da konnte Elena Zhidkova als Venus nicht ganz mithalten. Zwar gebietet sie über einwandfreie Spitzentöne, in mittlerer und tiefer Lage erwies sich ihre Stimme jedoch als steif und unflexibel. Auch die Textverständlichkeit ließ bei ihr erheblich zu wünschen übrig.
Heiko Trinsinger konnte für den Wolfram von Eschenbach mit einem edlen, kräftigen und geschmeidigen Bariton aufwarten. Insgesamt fiel sein Vortrag etwas eindimensional aus, was auf eine gerade überstandene Indisposition zurückzuführen sein mag. Unter den übrigen Sängern hinterließen naturgemäß Marcel Rosca (Landgraf Herrmann) und Thomas Piffka (Walther von der Vogelweide) den stärksten Eindruck.
Schauspielerisch blieben alle Solisten blaß, wenn man von einigen Ausbrüchen an Spielfreude unter den Minnesängern (Rainer Maria Röhr als Heinrich der Schreiber und Michael Haag als Reinmar) absieht. Das liegt in erster Linie an Neuenfels’ Personenregie. Er steckt viel Energie in die Choreographie der Statisterie, seines „Bewegungschores“. Die Solisten überläßt er dabei weitgehend sich selbst.
„Star“ des Abends waren nach Scott MacAllister ganz ohne Zweifel die Essener Philharmoniker unter Stefan Soltesz. Schon die Ouvertüre gestaltete Soltesz einfallsreich und dynamisch fein abgestuft. Seine Tempi sind zügig und flüssig, ohne zu hetzen. Es wäre reine Beckmesserei anzumerken, daß man sich im Forte mitunter noch etwas mehr Schlankheit und Transparenz gewünscht hätte. Als bestens disponiert erwies sich auch der Chor, sogar unter „erschwerten“ Bedingungen (Aufstellung im Zuschauerraum beim Einzug der Gäste).

Fazit
Musikalisch kann sich der Essener Tannhäuser mehr als hören lassen. Und ein „Skandal“ ist Neuenfels’ Inszenierung ganz sicher nicht. Es bleiben aber berechtigte Zweifel, ob er die moderne Wagner-Rezeption mit seiner Deutung einen Schritt nach vorn gebracht hat – und ob das Publikum von dieser Inszenierung mehr in Erinnerung behält als ein paar Albernheiten.

Dr. Eva Maria Ernst
Bild: Matthias Jung, Das Bild zeigt Scott MacAllister (Tannhäuser), Statisterie

Veröffentlicht unter Essen, Aalto-Theater, Opern

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