COSÌ FAN TUTTE – Baden-Baden, Festspielhaus

von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), Libretto: Lorenzo da Ponte, UA: 26. Januar 1790, Burgtheater Wien

Dirigent: Teodor Currentzis, Balthasar-Neumann-Ensemble, Balthasar-Neumann-Chor

Regie: Phillip Himmelmann, Bühne: Johannes Leiacker, Kostüme: Florence van Gerkan

Soliten: Vèronique Gens (Fiordiligi), Siliva Tro Santafè (Dorabella), Stephan Genz (Guglielmo), Steve Davislim (Ferrando), Mojca Erdmann (Despina), Konstantin Wolff (Don Alfonso)

Besuchte Aufführung: 27. Januar (Premiere)

Kurzinhalt

Dorabella liebt Ferrando, Fiordiligi liebt Guglielmo. Don Alfonso, Freund der beiden Soldaten, ist seinen Eleven in Sachen Lebenserfahrung um einiges voraus. Mit seinem Zweifel an der Standhaftigkeit der beiden Schwestern gibt er den Anstoß zu einem Treuetest, der Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist. In tränenvollem Abschied ziehen Guglielmo und Ferrando in eine angebliche Schlacht, um kurz darauf als extravagante Fremdlinge die Verlobte des jeweils anderen für sich zu gewinnen. Unterstützung erfahren sie von der nicht auf den Mund gefallenen Kammerzofe Despina, die nur zum Teil von Don Alfonsos wahren Absichten weiß. Bald erkennen die beiden Männer die Absurdität ihres Vorhabens, doch von Alfonso durch Eid verpflichtet, willigen sie notgedrungen in die Hochzeit mit der jeweils anderen ein. Als dann die „wahren“ Verlobten zur Hochzeit erscheinen, klärt sich alles auf…

Aufführung

Den Zuschauer begrüßt bei noch geschlossener Bühne ein leuchtender Sternenhimmel auf dunklem Grund (vielleicht eine Art „B-A-C-H“-Markenzeichen des Regisseurs?). Ein Obstbaum zeigt seine ersten Frühlingsknospen, während einige Darsteller eifrig in Äpfel beißen. Der Schauplatz ist eine kleine Bühne (mise-en-abîme) mit weißem Grund, umgeben von frischer, dunkler Erde. Hier spielt sich auch das Wettversprechen ab: in Gegenwart der Damen, ihrer Dienerin und dem Opernchor. Und alles Gute kommt von oben: der Geldsack mit der Wetteinlösung donnert herab, es folgen der Morgenkakao, Sektgläser etc. In der Verführungsszene begegnen sich die Liebenden mit maskierten Gesichtern. Eine Maskerade in der Maskerade? Die Kostüme sind nüchtern und unserer Zeit entsprechend: Anzüge für die Herren, Kleider für die Damen.

Sänger und Orchester

Teodor Currentzis versucht der Partitur und dem Balthasar-Neumann-Orchester die Quintessenz der Mozartschen Musik zu entlocken. In der Ouvertüre stellt er transparent die permutierenden Sechzehntelketten schroff gegen die Synkopen. So entsteht ein rhythmisches Pulverfaß, das sich an vielen Stellen explosionsartig entlädt. Der Marsch Bella vita militar – schönes Soldatenleben steckt voller Esprit und Leichtigkeit, weitab von jeder martialischen Strenge. Die Rezitative sind frei und improvisatorisch gestaltet, kurzweilig und voller Musikalität. So gelingt ein nahtloser Übergang aus dem Secco in das Quintett Soave sia il vento – sanft sei der Wind.  Currentzis geht gerne ans Limit noch spielbarer Tempi und steigert so die dramatischen Kulminationspunkte, und die Musik verliert nie an rhythmischer und dynamischer Feinheit. Stephan Genz (Guglielmo) ist ein solider, etwas rauchdurchdrungener Bariton. Im Duett mit Steve Davislim (Ferrando) entsteht eine klangliche Ganzheit, die schwer die beiden Timbres unterscheiden läßt. Dieser hat einen vollen, runden Tenor. Seine Arie Un’aura amorosa – ein liebevoller Hauch ist gründlich erarbeitet. Die kleinen Koloraturketten gestaltet er präzise. So verwundert es, daß im Tradito, schernito – betrogen, verhöhnt mitten im Melodiebogen vor den Worten le voci d’amor – die Stimmen der Liebe aus atemtechnischen Gründen phrasiert wird! Konstantin Wolffs (Don Alfonso) Stimme ist sehr körperbefangen. Bei aller Solidität trägt sie nur wenig im großen Festspielsaal. Mojca Erdmanns (Despina) junge Stimme bedarf im Brustbereich noch mehr Volumen. Sie versteht sich jedoch darauf, diese Schwäche durch Virtuosität in den Spitzentönen zu kaschieren. Véronique Gens (Fiordiligi) hat vor allem gegen das Orchester zu kämpfen. Schade, daß dieses an manchen Stellen die Oberhand gewinnt. Bei aller technischer Versiertheit tendiert sie oftmals zu dynamischer Diskontinuität innerhalb weniger Takte. Siliva Tro Santafès (Dorabella) Vibrato in ihrer ersten Arie Smanie implacabili – unerbittliche Qualen wirkt noch sehr massiv, was eine unleugbare Unruhe mit sich bringt (passend zu ihrem Seelenzustand!). Mit ihrer geradlinigen Tessitura und dem Verständnis, das sie ihrer Rolle entgegenbringt, überstrahlt sie ihre Ensemblekollegen an diesem Abend bei weitem.

Fazit

Selten ist die Divergenz zwischen Musik und Bühne so offensichtlich. Currentzis begreift die Musik aus dem ihr eigenen Geist heraus, während Himmelmann zwischen Frühlingsblüten und Sündenfrucht seine Lesart nur skizziert. Hätte dieser Regisseur doch nur den konsequenten Gestaltungswillen eines Don Alfonso …

Daniel Rilling

Bild: Andrea Kremper

Das Bild zeigt: Véronique Gens (Fiordiligi) und der Balthasar-Neumann-Chor

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