von Riccardo Zandonai, Oper in vier Akten (fünf Bildern), Libretto: Tito Ricordi, nach der gleichnamigen Tragödie von Gabriele D’Annunzio, EA: 19. Februar, 1914 Turin, Teatro Regio
Regie: Giancarlo del Monaco, Bühne: Carlo Centolavigna, Kostüme: Maria Filippi, Licht: Heinz Rudolf Kunz, Choreinstudierung: Patrick-Marie Aubert
Dirigent: Daniel Oren, Orchester und Chor der Opéra National de Paris
Solisten: Svetla Vassileva (Francesca), Louise Callinan (Samaritana), Wojtek Smilek (Ostasio), George Gadnidze (Giovanni der Lahme), Roberto Alagna (Paolo der Schöne), William Joyner (Malatestino der Einäugige), Grazia Lee (Biancofiore), Manuela Bisceglie (Garsenda), Carol Garcia (Adonella), Andrea Hill (Altichiara), Cornelia Oncioiu (La Schiava), Alexandre Kravets (Ser Toldo Berardengo), Yuri Kissin (Il Giullare), Alexandre Duhamel (Il Torrigiano), Nicolas Marie (Il Balestriere), Ook Chung (La Voce del Prigionniero)
Besuchte Aufführung: 31. Januar 2011 (Premiere)
Die Schatten von Tristan und Isolde schweben über der ganzen Handlung. In der Burg der Polenta in Ravenna ist aus politischen Gründen die Vermählung Francescas mit einem der Söhne der Malatesta aus Rimini beschlossen worden. Da jedoch der Bräutigam Giovanni häßlich und lahm ist, spiegelt man der Braut vor, daß sie sich mit Giovannis schönem Bruder Paolo vermählen werde, der als Brautwerber auftritt. Francesca ist entzückt. Als sie den Betrug entdeckt, ist ihre Liebe zu Paolo umso tiefer, da er an dem Betrug unschuldig ist. Sie betet um ihn während des Kampfes gegen die Ghibellinen und vergeht vor Sehnsucht in seiner Abwesenheit. Als er einige Monate später zurückkehrt und sie leidenschaftlich umwirbt, kann sie ihm nicht widerstehen. Der haßerfüllte Malatestino unterrichtet seinen Bruder Giovanni über das Liebesverhältnis Paolos und Francescas. Als die Liebenden den Bruder abwesend wähnen und sich heimlich treffen, dringt Giovanni plötzlich in Francescas Schlafgemach ein und tötet beide.
Aufführung
Gabriele D’Annunzio (sogar als Totenmaske auf dem großen Vorhang), Elenore Duse, der italienische Jugendstil, das Mittelalter und die Renaissance sind allgegenwärtig in Dekor und Kostümen. So spielt der erste Akt, romantisch-sommerlich, in einem üppig-blühenden Park mit Palmen und südlicher Vegetation, im Stil der Belle Époque. In den folgenden Akten, sind die Gemächer in der Burg der Malatesta in einer gelungenen Mischung aus Neo-Renaissance und Jugendstil gehalten, mit Kostümen, die teils von der Belle Époque, teils von Mittelalter oder von der Renaissance inspiriert sind. Nur im zweiten Akt fällt das Schiff, aus dessen sich öffnendem Bug der lahme Giovanni im Rollstuhl herausgeschoben wird, als einziges Element aus dem Rahmen einer sonst recht einheitlichen Inszenierung.
Sänger und Orchester
Svetla Vassilevas (Francesca) klare Sopranstimme bleibt auch in hohen Lagen makellos. Roberto Alagnas klangvoller Heldentenor ergibt einen leidenschaftlichen Paolo. Sie sind in den lyrischen wie in dramatischen Szenen ein ergreifendes, von keimender Liebe, von Zweifeln und von Vorahnungen verfolgtes Paar, keimende Liebe im dramatischen Schlachtenduett im zweiten Akt Date il Segno. No temete de mi, Paolo, Zerrissenheit im wundervollen Liebesduett im dritten Akt Benvenuto, signore mio cognato, sowie Todesahnungen im Schlußduett im vierten Akt O mia vita, non fu mai tanto folle il desiderio mio di te.
Der kraftvolle Bariton George Gagnidzes (Giovanni) und der raue Tenor William Joyners (Malatestino) gepaart mit einer glaubhaften schauspielerischen Leistung treten in der brutal-perversen Streitszene im vierten Akt. Ecco, vengo besonders wirksam in Erscheinung.
Es bezaubern die Szenen reinen weiblichen Gesangs, von denen der Abschied Francescas von ihrer Gefährtin Biancafiore im vierten Akt (bezaubernd gesungen von Grazia Lee) O Biancafiore, piccola tu sei! besonders zärtlich ist. Auch seien die oft unsichtbaren Frauenchöre erwähnt, die immer wieder die jeweilige Stimmung der Handlung wirksam unterstreichen. In den Ensembleszenen fällt keine Stimme aus dem hohen musikalischen Rahmen.
Daniel Oren leitet das Orchestre de l’Opéra National de Paris nuanciert durch die reichhaltige Partitur.
Fazit
Wieder hat Nicolas Joël ein großes Werk des frühen 20. Jahrhundert zum ersten Mal in der Pariser Oper zur Aufführung gebracht. Es ist das Hauptwerk eines Komponisten, der in Frankreich fast völlig unbekannt ist (in Deutschland übrigens auch!). Wohl glaubt man immer wieder Wagner, manches Mal auch Puccini aus seiner Musik herauszuhören, aber letztlich ist es doch das eigenständige Werk eines Vertreters der „Neuen Musik“ Italiens, der seine eigenen neuen, sinnlichen Klangfarben durchgesetzt hat. Es war ein denkwürdiger Premierenabend!
Alexander Jordis-Lohausen
Bild: Mirco Magliocca / Opéra national de Paris
Das Bild zeigt: Roberto Alagna (Paolo der Schöne), Svetla Vassileva (Francesca)