von Ludwig van Beethoven, Oper in zwei Aufzügen, Text von Joseph Sonnleithner, Stephan von Breuning und Georg Friedrich Treitschke nach der Oper Léonore ou l’amour conjugal von Pierre Gaveaux und Jean Nicolas Bouilly UA (3. Fassung): 1814 Wien
Inszenierung: Anton Nekovar Bühnenbild/Kostüme: Sabine Lindner
Dirigent: Mathias Husmann, das Philharmonische Orchester Vorpommern, Singakademie Stralsund und der Opernchor des Theaters Vorpommern, Einstudierung: Thomas Riefle, Günther Wolf
Solisten: Anna Ryan (Leonore / Fidelio), Michael Renier (Florestan), Benno Remling (Don Pizarro), Bernhard Leube (Rocco), Eva Resch (Marzelline), Noriyuki Sawabu (Jaquino), Bryan Rothfuss (Don Fernando), Bernd Roth (Erster Gefangener), Volker-Johannes Richter (Zweiter Gefangener)
Besuchte Vorstellung: 5. April 2008 (Premiere)
Kurzinhalt
Marzelline, Tochter des Gefängniswärters Rocco, liebt den Gehilfen Fidelio, der sich durch Fleiß und Geschick auszeichnet. Tatsächlich handelt es sich bei ihm jedoch um eine verkleidete Frau, Leonore, die sich in das Gefängnis eingeschlichen hat, um Kontakt zu ihrem Gatten Florestan, einem politischen Gefangenen, der seit Jahren im tiefsten Verließ sitzt, zu bekommen. Als eine königliche Inspektion des Gefängnisses angekündigt wird, entschließt sich der Gouverneur Don Pizarro, der Florestan widerrechtlich festhalten läßt, Florestan zu töten, um seinen gefährlichsten Widersacher aus dem Weg zu räumen. Dank des Vertrauens des Gefängniswärters Rocco darf Leonore zu ihrem Gatten herabsteigen, gerade im rechten Moment, um ihm das Leben zu retten. Don Fernando, der Abgesandte des Königs, trifft in diesem Moment ein, nimmt Pizarro gefangen, verspricht eine Aufarbeitung von dessen tyrannischer Herrschaft und entläßt Florestan in die Freiheit.
Die Aufführung
Die für Greifswalder Verhältnisse aufwendig ausgestattete Inszenierung des Intendanten Anton Nekovar ist, das muß man vorab sagen, als sehr gelungen zu bezeichnen. Sie macht den Genrewechsel, der im Text des ersten Akts angelegt ist, durch einen originellen Einfall deutlich: Wenn der Vorhand sich öffnet, bietet sich ein Bild wie in einer Inszenierung des 19. Jahrhunderts: Bemalte Leinwände zeigen das Gefängnisgebäude im Hintergrund, davor singen die Solisten im historischen Kostüm. Das berühmte kanonische Quartett Mir ist so wunderbar wurde durch die Lichtregie und eine musikalisch fein abgestimmte Vortragsweise aller Beteiligten sehr deutlich und durchhörbar.
Dann, während des Terzetts Gut, Söhnchen, gut ändert sich das Bild vollständig. Von der Decke werden eine Vielzahl von Uniformen herabgelassen, aus denen sich die drei Solisten schwarze Jacken mit der Aufschrift „Security“ heraussuchen. Die Leinwände werden hochgezogen, und wir befinden uns für den Rest des Abends im 21. Jahrhundert, genauer: in einem Gefängnis des 21. Jahrhunderts: Steril und klinisch geht es hier zu, kahle Wände, kaltes Neonlicht.
Ein Gefangenenchor in orangefarbenen Uniformen singt von einer Einheit mit Maschinengewehren bewacht. Diese Einheit besteht aus jungen Männern im Outfit privater Wachdienste, woran wir uns in den letzten Jahrzehnten gewöhnt haben. Der Bezug auf das Foltergefängnis von Guantánamo ist sofort deutlich – und die zeitlose Aktualität von Beethovens Oper wird ein weiteres Mal eindrucksvoll belegt. Politische Gefangene, für die kein Recht gilt, gehören – wie vor 200 Jahren – zu unserer Realität. Hier regiert ein eleganter und eiskalter Don Pizarro, überzeugend dargestellt von Benno Remling, einem der besten Akteure des Opernensembles. Florestan wird in einem unterirdischen Hochsicherheitstrakt verwahrt, seine Verzweiflung wirkt bedrückend realistisch. Die lange Schlußszene mit großem Chor, die wegen ihres utopischen Gehalts schwer umzusetzen ist, gelang szenisch und vor allem musikalisch. Das Philharmonische Orchester Vorpommern brachte Beethovens Musik souverän und mit Verve zum Erklingen, und das in der sehr trockenen, keinen Fehler kaschierenden Akustik des Greifswalder Theaters. Das vor gut einem Jahrzehnt durch Fusion entstandene Orchester hat seit dem Engagement Mathias Husmanns eine erfreuliche Entwicklung genommen. Was die musikalische Leistung der Solisten angeht, darf man natürlich nicht das Niveau eines Großstadttheaters erwarten. Zwar verfügen Anna Ryan (Fidelio) und Michael Renier (Florestan) über sehr kräftige, klangvolle Stimmen, doch wirkte vor allem Reniers Einsatz seiner Mittel unausgeglichen, beinahe so, als würde er zu sehr an die Verhältnisse eines großen Hauses gewöhnt sein. Mitunter war das Orchester bei seinen Fortissimo-Einsätzen nicht mehr zu hören, und seine Aussprache des Deutschen ist leider noch nicht sehr deutlich. Dafür aber meisterte er die gefürchtete Schlußstretta seines Monologs Zur Freiheit, zur Freiheit vollauf. Anna Ryan verfügt wie er über eine sehr solide Technik, die sie mit Sicherheit auch im hochdramatischen Fach mit Erfolg einsetzen kann. Am schwächsten war die sängerische Leistung von Bryan Rothfuss (Don Fernando). Darstellerisch gingen die Solisten und Choristen ganz in der ihnen von der Regie gestellten Aufgabe auf. Szenen- und ein langer Schlußbeifall ließen keinen Zweifel daran, daß diese Produktion vom Publikum mehr als dankbar angenommen wird.
Fazit
Musikalisch wird eine – für ein kleines Theater – ordentliche Leistung geboten, vom Orchester sogar eine sehr gute, dazu eine Inszenierung mit Tiefgang und weit über dem Durchschnitt vergleichbarer Häuser. Kleine Bühne, großer Wurf!
Dr. Martin Knust
Bild:Theater Vorpommern
Das Bild zeigt Anna Ryan (Leonore / Fidelio), Michael Renier (Florestan)
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