SIEGFRIED – Paris, Opéra Bastille

von Richard Wagner (1813–1883), Zweiter Tag in drei Akten des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen, UA: 16. August 1876, Festspielhaus Bayreuth

Regie: Günter Krämer,  Bühne: Jürgen Bäckmann,  Kostüme: Falk Bauer, Licht: Diego Leetz, Choreographie: Otto Pichler

Dirigent: Philippe Jordan, Orchestre de l’Opéra  National de Paris

Solisten : Torsten Kerl (Siegfried), Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (Mime), Juha Uusitalo (Der Wanderer), Peter Sidhom (Alberich), Stephen Milling (Fafner), Qui Lin Zhang (Erda), Elena Tsallagova (Waldvogel), Katarina Dalayman (Brünnhilde)

Besuchte Aufführung : 1. März 2011 (Premiere)

Kurzinhalt

Der Zwerg Mime hat das Waisenkind Siegfried aufgezogen, um durch ihn, den fruchtlosen Heldenjüngling, in den Besitz des Rings der Nibelungen zu gelangen. Denn dieser  wird weiterhin vom Lindwurm Fafner bewacht. Der Wanderer-Wotan prophezeit Mime den Tod durch Siegfrieds Schwert. Denn Siegfried beschließt, das geborstene Wotan-Schwert seines Vaters einzuschmelzen und daraus ein neues Schwert zu schmieden, wozu Mime unfähig war. Mit diesem neuen Schwert tötet Siegfried dann das Ungeheuer. Dem Rat eines Waldvogels folgend, nimmt er vom Schatz der Nibelungen nur den Ring und die Tarnkappe. Er erkennt, daß Mime ihn umbringen will, um in den Besitz des Rings zu gelangen, und erschlägt den Zwerg. Da Siegfried sich einsam fühlt, erzählt ihm der Waldvogel von Brünnhilde, die er aus ihrem Feuerring für sich gewinnen kann. Als Wotan ihm dabei in den Weg tritt, zerschlägt er mit seinem Schwert den heiligen Speer des Göttervaters. Die Götterdämmerung kündet sich an. Siegfried durchschreitet den Flammenring und bringt mit einem Kuß Brünnhilde ins Leben zurück. Es entbrennt ihre verhängnisvolle Liebe.

Aufführung

Günther Krämer ist eine in vielen Aspekten interessante und kohärente Inszenierung gelungen. Doch sein Siegfried ist kein Held, sondern  in seinem Mechanikeranzug  ein dicklicher, bärenstarker, unbedarfter Hansdampf, so daß man die Hingabe Brünnhildes an diesen „herrlichen Knaben“ nur noch schwer nachvollziehen kann. Und auch Mime ist kein arglistiger Zwerg, sondern ein in bunten Farben schillernder schwuler Popanz, fast eine Karnevalsgestalt. Die Bühnenbilder, die Kostüme und die Choreographie illustrieren originell die Handlung: der im IKEA-Stil eingerichtete, mit vielen hohen Zimmerpflanzen geschmückte Loft, in den der Bär durch den Aufzug hereinkommt, im Untergeschoss die industrielle „Schmiede“; Wotans weißer Anzug und Mimes buntes Hemd stechen wirksam von der schwarzen Tafelwand ab; wehende bemalte Vorhänge und entsprechende Beleuchtung als Waldlandschaft; Fafner als Warlord umgeben von Söldnern; die Weisheits-Urmutter, in schwarzem Queen-Viktoria-Kleid, empfängt Wotan, in Smoking mit Zylinder, in einem dunklen Bibliothekslesesaal mit kleinen grünen Leselampen; und schließlich die Schlußszene, visuell eindrucksvoll und symbolischträchtig, eine riesige, bühnenfüllende Treppe, auf welcher der gebrochene Wotan von flügelbehelmten Walküren nach Walhalla hinangeleitet wird, während Brünnhilde von ihrer Bahre ins Irdische hinabsteigt.

Sänger und Sängerinnen werden den schauspielerischen Anforderungen vollauf gerecht.

Sänger und Orchester

Philippe Jordan schöpft aus allen Teilen des Orchesters meisterhaft und ohne jegliche Übertreibung die Klangfarben und Stimmungen der reichen Partitur, vom düsteren, unheimlichen Drachenwald, über die lyrischen Naturszenen mit Vogelgesang bis hin zur strahlend-jubelnden Schlußszene.

Torsten Kerls starker, auch in hohen Lagen klarer, wohl timbrierter Heldentenor prädestiniert ihn für die Titelrolle und Katarina Dalayman (Brünnhilde), die zu einer der großen Wagnersängerinnen aufgerückt ist, liefern als Höhepunkt der Oper ein musikalisch strahlendes Liebesfinale Selige Öde auf sonniger Höh’! (3. Akt, 3. Szene). Wolfgang Ablinger-Sperrhackes Fistelstimme und sein schauspielerisches Talent ergeben eine amüsante slapstickartige Interpretation Mimes, die im Duett mit Siegfried Er sinnt und erwägt der Beute Wert (2. Akt, 3. Szene), witzig ausgespielt wird. Juha Uusitalos (Der Wanderer) gewaltiger Bariton hat eine düstere Dimension, besonders im Streitgespräch mit Siegfried Dort seh’ ich Siegfried nahn (3. Akt, 2. Szene). Stephen Millings singt Fafner mit schönem, tiefem Baß und Peter Sidhoms ist ein glaubwürdiger Alberich. Qiu Lin Zhangs (Erda) verschleiert durch zuviel Vibrato leider ihre schöne Altstimme. Warum Elena Tsallagovas frische, helle Waldvogelstimme hinter die Bühne verbannt wurde, ist nicht klar.

Fazit

Da in der heutigen Zeit Heroen kaum noch gefragt sind, haben sich Günther Krämer und seine Kollegen die ungewöhnlich unbeschwerte Fröhlichkeit wie auch das Thema der Menschwerdung der göttlichen Brünnhilde in Wagners Siegfried-Libretto zunutze gemacht. Indem sie auch die anderen Personen des Dramas „vermenschlichen“, geht das Heroische zu Grunde, aber es geht auch alles Mythische des Werkes verloren.

Da haben sich wohl viele im Publikum an das gehalten, was Wagner selbst einer Freundin während der Uraufführung 1876 zugeflüstert haben soll: Schauen Sie doch nicht so viel! Hören Sie zu! Vielleicht war für Wagner in seinen Gesamtkunstwerken letztlich doch nur die Musik das einzig Ausschlaggebende, alles andere Nebensache. Und die Musik und ihre Interpretation standen an diesem Abend auf ganz hoher Stufe, und sie wurden rückhaltlos gewürdigt.

Alexander Jordis-Lohausen

Bild: Charles Duprat, Opéra national de Paris

Das Bild zeigt links: Torsten Kerl (Siegfried) et Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (Mime)

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