Bonn, Opernhaus – MARGARETHE – FAUST

von Charles Gounod (1818-1893), Oper in 5 Akten, zweite überarbeitete Fassung 1869Libretto: von Jules Barbier und Michel Carré nach Johann Wolfgang von Goethe.
UA: 19. März 1859, Paris, Théâtre Lyrique
Regie: Vera Nemirova, Bühnenbild/Kostüme: Ulrike Kunze
Dirigent: Wolfgang Lischke, Beethoven Orchester Bonn, Chor: Einstudierung: Sibylle Wagner
Solisten: Julia Kamenik (Margarethe), Arturo Martin (Faust), Martin Tzonev (Mephisto), Aris Argiris (Valentin), Kamen Todorov (Wagner), Susanne Blattert (Siebel). Anjara I. Bartz (Marthe Schwertlein),
Besuchte Aufführung: 13. April 2008 (Premiere)

Kurzinhalt
bonn-faust.jpgFaust, im vorgerückten Alter, ist dem Ringen nach Erkenntnis müde geworden. Er greift nach dem Giftbecher. In Unmut über die von draußen in seine Studierstube dringenden religiösen Gesänge ruft er den Satan herbei, der als Edelmann erscheint. Der Pakt um Jugend, Kraft und Hoffnung gegen die Seele des Wissenschaftlers wird beschlossen. Durch einen Trank verjüngt, begehrt er das Mädchen auf dem ihm gezeigten Bild: Margarethe. Ihr Bruder Valentin verlässt als Soldat die Stadt. Die Studenten Siebel und Wagner versprechen auf Grete zu achten. Mephisto mischt die heitere Gesellschaft mit düsteren Prophezeiungen auf, es kommt zum Gerangel. Faust lernt Margarethe kennen. Mephisto verschafft Schmuck. Die geschwätzige Nachbarin redet Grete zu, ihn zu behalten. Mephisto organisiert ein erstes Treffen. Margarethe wird von Faust verlassen; sie erwartete ein Kind von ihm. Der zurückgekehrte Valentin stellt den Verführer im Kampf und wird von ihm tödlich verwundet. Mephisto führt Faust auf einen Berg, den Brocken im Harz, wo während der Walpurgisnacht sinnliche Genüsse aller Art auf ihn warten. Faust hat die Vision der leidenden Margarethe und flieht mit Mephisto zu der als Kindmörderin verurteilten Grete ins Gefängnis. Dem Drängen des Geliebten aus der Zelle Mephisto zu folgen, kann sie, die tugendhaft Reine, nicht nachgehen. Mephistos Ausruf: „gerichtet“ schallt das himmlische „gerettet“ entgegen und Grete schwebt gen Himmel.
Die Aufführung
In Bonn hat man sich für die französische Version mit deutschen Übertiteln entschieden, was die musikalische Einheit verdichtet. Die Regiearbeit der Bulgarin Vera Nemirova, einer Schülerin Peter Konwitzschnys, läßt ein einigermaßen deprimiertes Publikum zurück. Bedauernswert, wenn einer Regisseurin zu der delikaten Musik von Charles Gounod mitunter platte, um nicht zu sagen, hausbackene Bilder einfallen. Das erste Bild läßt noch hoffen: Faust im hohen Raum eine Turms mit Wandtafeln, die mit mathematischen Formeln übersät sind. Er ist ein junger Mann, der sich nicht verjüngt, sondern zum Spiegelbild Mephistos verwandelt wird. Die Rolle von Mephisto wird dominant, er ist nicht nur treibende, sondern auch aktiv handelnde Kraft in der Verführungsszene. Margarethe heißt in Bonn letztlich Faust, was diese Betonung erklärte. Dennoch bleibt bei Gounod, im Gegensatz zu Goethe, Margarethe die Hauptperson.
Der Auftritt Mephistos, in hochfahrendem, roten Ledersessel sitzend, zeigt Wirkung. Über den neuerdings in Regiearbeiten unvermeidlichen Laptop sieht Faust Margarethes Bild.
Die andere Seite des „Studierzimmers“ ist das weiße Foyer einer Pflegestation für Senioren, in dem Margarethe als Pflegerin arbeitet und die Banalisierung der als romantische Oper gedachten Stoffes beginnt. Das Vestibül bleibt Kulisse bis zum vorletzten Bild, wird Schauplatz des Bacchusfestes, eine Art Weinfest mit Menschen in Lederhosen und Schürzenkleidchen plattesten Kolorits.
Faust intoniert seine Arie Sei gegrüßet reines Heim ins Foyer hinein, was einen merkwürdigen Beigeschmack bekommt. Margarethe mit Putzeimer und Lappen im dritten Akt, hängt mit Gounods zauberhafter Musik ihrem Geliebten nach. Wer möchte das so sehen?
Das eindringlichste Bild ist die Gebetsszene, in der Margarethe um Gottes Gnade fleht und die Gläubigen sich gegen Mephisto, der seine eigene, satanische Messe zu zelebrieren scheint, stellen. Valentin Rückkehr aus dem Krieg wird zu einer Miniaturparade realsozialistischer Prägung. Kinder mit Spielzeuggewehren, selbst der Nelkenstrauß fehlt nicht. Das Bacchanal der Walpurgisnacht in wilder Gebirgslandschaft ist als aus Eimer saufende Feierrunde mit blinkenden Teufelshörnchen und Papphütchen zu sehen. Margarethe wirft im Hintergrund der Party das tote Kind in eine für kühle Getränke bereit gestellte Gefriertruhe. Fausts Frage Wo sind wir? stellt man sich als Zuschauer selbst.
Die Sänger
Julia Kamenik (Margarethe) war allen voran eine wünschenswerte Besetzung, die auch schauspielerisch einiges zu bieten hatte. Über eine schöne Stimme verfügt der eigentlich als zweite Besetzung vorgesehene Arturo Martin (Faust). Noch scheint er der großen Partie nicht gewachsen zu sein. Martin Tzonev gab als Darsteller einen satanischen Mephisto, stimmlich hätte man sich einen profunderen Charakterbaß vorstellen können. Aris Argiris überzeugte als Valentin gänzlich, Susanne Blattert füllte die Rolle Siebels voll aus, wie Kamen Todorov und Anjara I. Bartz die von Wagner und Marthe Schwertlein. Der Chor hatte große, gelungene Szenen. Das Beethovenorchester bietet nach einer etwas erdig tönenden Ouvertüre hörbares Bemühen um einen leichten, romantischen Tonfall, aus dem sich in erster Linie fein artikulierte Holzbläserstellen herauskristallisierten.

Felicitas Zink
Bild: Thilo Beu
Das Bild zeigt Julia Kamenik (Margarethe), Arturo Martin (Faust), Martin Tzonev (Mephisto), Anjara I. Bartz (Marthe)

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