von Carl Maria von Weber (1786-1826), Romantische Oper in drei Aufzügen. Libretto: Johann Friedrich Kind, UA: 18. Juni 1821, Berlin, Königliches Schauspielhaus, UA: Version Berlioz, 7. Juni 1841, Opéra de Paris
Regie: Dan Jemmett, Bühne: Dick Bird, Kostüme: Sylvie Martin-Hyszka, Licht: Arnaud Jung, Choreographie: Cécile Bon
Dirigent: Sir John Eliot Gardiner, Orchestre Révolutionnaire et Romantique, Chor: The Monteverdi Choir
Choreinstudierung: Nathalie Steinberg/Martin Surot
Solisten: Sophie Karthäuser (Agathe), Andrew Kennedy (Max), Virginie Pochon (Annette), Gidon Saks (Gaspar), Matthew Brook (Kouno), Samuel Evans (Kilian), Robert Davis (Ottokar), Luc Bertin-Hugault (L’Ermite), Christian Pelissier (Samiel) u.a
Besuchte Aufführung: 7. April 2011 (Premiere)
Max, Jägerbursche des Erbförsters Kouno und Bräutigam von dessen Tochter Agathe, hat beim Schützenfest verloren. Kouno erinnert Max, daß er am nächsten Tag den Probeschuß abgeben muß, von dem seine weitere Laufbahn, aber auch die Hochzeit mit Agathe abhängt. Der verzweifelte Max läßt sich von Gaspar überreden, vom Teufel um Mitternacht in der Wolfschlucht „Freikugeln“ zu fordern, die nie ihr Ziel verfehlen. Agathe hat böse Vorahnungen. Max erhält in der Wolfsschlucht sieben Freikugeln, von denen die letzte von Teufel geleitet wird. Bei der Probeschußzeremonie hat Max nur noch die letzte Freikugel übrig. Als er aufgefordert wird, auf eine weiße Taube zu schießen, schreit ihm Agathe zu, sie sei diese Taube. Doch der Schuß geht los und Agathe sinkt um, jedoch nur in Ohnmacht, während Kaspar tödlich getroffen ist. Max gesteht seinen Pakt mit dem Teufel. Aber weil alle für ihn bitten, muß er nur ein Probejahr bestehen, bis er Agathe heiraten darf.
Aufführung
Die Bühnenbilder verzichten auf jegliche lebendige Natur, kein Wald, keine Pflanzen. Stattdessen ein Schießstand auf einem Jahrmarkt in ersten Akt, ein Zigeuner-Wohnwagen als Agathes Heim im zweiten Akt, eine Felsenkulisse mit glatten Dornensäulen in der Wolfsschluchtszene. Auch die Kostüme sind nicht ländlich, sondern ähneln eher denen eines Arbeiterviertels der 20iger Jahre. Nur Samiel, der überall anwesend ist, erscheint wie ein kleines magisches Männchen aus E.T.A. Hoffmann. Die Inszenierung unterstreicht eine Abwendung von der romantischen Waldmystik der Oper.
Orchester und Sänger
Auch musikalisch will sich Sir John Elliot Gardiner, nach eigener Aussage, von einer zu deutschen Interpretation lösen, und den Einfluß der französischen Opéra comique der Zeit (Gétry, Dalayrac, Boieldieu u.a.) auf den Freischütz hervorheben. Dessen hätte es kaum bedurft; denn trotz der Ehrfurcht und des Respekts, den Berlioz dem Werk entgegenbrachte, ist durch die von ihm, 20 Jahre nach Webers Uraufführung, für eine französische Version hinzukomponierten, vom Orchester begleiteten Rezitative, (und letztlich halt doch auch durch das Singen in französischer Sprache), von dem deutschen früh-romantischen Biedermeier-Singspiel ohnehin nicht viel übrig geblieben. Das Werk ist weitgehend zu einer fortlaufend gesungenen eindrucksvollen französischen Opéra fantastique der Hochromantik geworden, die Gardiner mit seinem gut eingespielten Ensemble brillant interpretiert.
Sophie Karthäuser mit hellem, auch in den Höhen strahlend klarem Sopran gibt eine bezaubernd, mädchenhafte Agathe. Besonders bewegend ist sie im Gebet Hélas! Sans le revoir encore (2. Akt, No. 8), und in der Cavatine En vain au ciel s’étend un voile (3. Akt, No.13). Zwar erscheint Max als eine eher triste Figur, dennoch hätte Andrew Kennedys gefälliger Tenor etwas kräftiger und ausdrucksvoller sein können. Gidon Saks, hingegen, spielt und singt mit seinem tiefem, wechselhaftem Baß den unheimlichen Teufelsknecht Gaspar, besonders eindrucksvoll in der dramatischen Wolfsschluchtszene (2. Akt, No.11). Virginie Pochon singt und spielt die Soubrette Annette mit fröhlicher, wohlklingender Leichtigkeit, wie in der Chanson Un soir, défunte ma grand’tante (3. Akt, No.14). Die übrigen Sänger und Sängerinnen ergänzen wirkungsvoll das Ensemble. Hervorragend schauspielerisch wie stimmlich der Monteverdi Choir. Um dem Zeitgeschmack zu entsprechen hat Berlioz Webers Aufforderung zum Tanz orchestriert und als Balletteinlage im dritten Akt eingefügt. So wirkungsvoll die Choreographie des Chors in anderen Szenen ist, so ist es hier ist eine höchst kuriose Mischung aus Walzer und Tai-Chi ähnlichen Übungen.
Fazit
Man findet heutzutage in der Opéra Comique in Paris fast immer besondere Kostbarkeiten. So auch diesmal. Wenn man auf den Anspruch verzichtet, die Oper Der Freischütz hören zu wollen, so ist die von Sir John Elliot Gardiner einstudierte Weber/Berlioz fantastische Oper Le Freischütz ein wahres Vergnügen ganz seltener Art.
Alexandre Jordis-Lohausen
Bild: Elisabeth Carecchio
Das Bild zeigt: Virginie Pochon (Annette) li. und Sophie Karthäuser (Agathe) re.