SONNTAG – Köln, Oper

von Karlheinz Stockhausen (1928–2007), Oper in fünf Szenen und einem Abschied aus dem siebenteiligen Opernzyklus LICHT, Libretto vom Komponisten

Regie: Carlus Padrissa, Bühne: Poland Olbeter, Kostüme: Chu Uroz, Licht: Andreas Grüter, Choreographie: Athol Farmer, Video: Franc Aleu (Urano), Dramaturgie: Thomas Ulrich, Theatergruppe La Fura dels Baus

Dirigent: Kathinka Pasveer und Peter Rundel, Klangregie: Kathinka Pasveer und Paul Jeukendrup, musikFabrik Köln, Chor der Oper Köln, Estonian Philharmonic Chamber Choir, Cappella Amsterdam, Knabenchor der Chorakademie Dortmund, Chorleitung: James Wood

Solisten: Csilla Csövári (Sopran), Noa Frenkel (Alt), Anna Palimina (Sopran), Maike Raschke (Sopran), Michael Leibundgut (Baß), Hubert Mayer (Tenor), Alexander Mayr (Tenor), Jonathan de la Paz Zaens (Bariton)

Besuchte Aufführung: 9. und 10. April 2011 (szenische Uraufführung)

Kurzinhalt

Die letzte der sieben LICHT-Opern Stockhausens thematisiert die Gottesverehrung. Eine Handlung im herkömmlichen Sinne findet nicht statt, sondern in den fünf Szenen der Oper werden unterschiedliche Aspekte des Gotteslobes thematisiert. In der ersten Szene LICHTER-WASSER treten zwei der drei Hauptprotagonisten – oder besser: Prinzipien – des Zyklus auf, Eva und Michael, deren mystische Vereinigung den Schluß dieser Szene bildet. Textlich-szenisch steht hier die Sphärenharmonie im Mittelpunkt, also die antike Vorstellung, daß die Himmelskörper des Universums Töne von sich geben würden. In der zweiten Szene ENGEL-PROZESSIONEN wird das himmlische Gotteslob durch sieben Vokalgruppen illustriert, in der dritten LICHT-BILDER v.a. das irdische Gotteslob, das als Durchgang von der unbelebten Materie durch die Lebewesen hin zu den Heiligen und dem Göttlichen selbst gestaltet ist. Die vierte Szene DÜFTE-ZEICHEN ist eine Rekapitulation der vorangegangenen sechs LICHT-Opern, in der sieben Vokalsolisten und ein Knabe im Vordergrund stehen. Die fünfte Szene HOCH-ZEITEN wird an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig gespielt: Während in einem Saal fünf Instrumentalgruppen spielen, findet in einem anderen ein fünfsprachiger, von fünf Chören begleiteter Durchgang durch die Hochzeitsriten von fünf verschiedenen Kulturkreisen statt. Das Publikum wird anschließend mit einem von fünf Synthesizern gespielten SONNTAGS-ABSCHIED, der im Foyer und vor dem Gebäude aus Lautsprechern zu hören ist, aus der Aufführung entlassen.

Aufführung

Jede der fünf Szenen wurde szenisch grundsätzlich anders konzipiert. Die erste fand in einem kreisrunden Saal statt, ein Teil des Publikums wurde auf Liegestühlen plaziert, und die Musiker und Videoprojektionen der Planeten rotierten nach den Vorgaben des Komponisten um die Zuschauer herum. Hier fand auch die anschließende Aufführung der rein vokalen zweiten Szene statt. Die Engelschöre waren – ebenfalls den Anweisungen Stockhausens gemäß – in unterschiedlichen Farben kostümiert. Diese Szene hatte Konzertcharakter. Die dritte Szene, bei der drei Instrumentalisten und ein Tenor musizieren, wurde von 3-D-Projektionen und Tanzeinlagen im Hintergrund begleitet; dem Publikum waren zuvor 3-D-Brillen ausgehändigt worden. Die vierte, bei der dem Libretto entsprechend nacheinander sieben verschiedene Räucherwaren den Raum mit Duft erfüllten und die vom Komponisten erdachten sieben Symbole der Wochentage als brennende Gebilde präsentiert wurden, schloß mit dem Erscheinen eines mechanischen weißen Pferdes, das laut Stockhausen den Knaben, der in dieser Szene erscheint, zum Himmel tragen soll. Der Chorteil der letzten Szene fand auf einer begehbaren Bühne statt, auf der fünf Tanzgruppen agierten und z.T. mit dem Publikum interagierten. An der Wand waren Projektionen aus fünf verschiedenen Erdteilen zu sehen und ein Countdown von 2011 bis 0. Der Orchesterteil fand hinter einem Gazevorhang statt, auf dem Projektionen von Instrumenten und Parolen in Englisch zu sehen waren. Die Reihe der Doppelsoli in dieser Szene wurde szenisch deutlich als Interaktion zwischen zwei Musikern inszeniert. Der SONNTAGS-ABSCHIED ging nahtlos in die Premierenfeier über.

Sänger und Orchester

Wahrlich beeindruckend war die Sicherheit, mit der die Musiker Stockhausens schwer zu spielende und zu singende, mit zahlreichen Zusatzanweisungen gespickte Musik zum Vortrag brachten. Die eben genannten Doppelsoli der letzten Szene, die gesamte dritte Szene und die solistischen Parts der ersten und vierten Szene wurden von den Sängern und Instrumentalisten auswendig präsentiert. Dabei handelt es sich um bis zu 45 Minuten umfassende Partien. Am meisten imponierte die Leistung Hubert Mayers, der den Part des Michael übernahm, und über eine technisch meisterhaft beherrschte, lyrische Tenorstimme und eine deutliche Aussprache verfügt. Ihm gelang die Übermittlung auch der von Stockhausen gelegentlich verfremdeten und zergliederten Textstellen. In der kammermusikalischen dritten Szene musizierten er und die drei Instrumentalisten nicht nur den Notentext, sondern zeigten auch die von Stockhausen vorgeschriebenen Gesten und Bewegungen. Beeindruckend war auch die Abstimmung zwischen dem aus fünf unabhängig voneinander spielenden Gruppen bestehenden Orchester und den – in dieser Inszenierung allerdings vom Band kommenden – fünf Chören in dem anderen Saal. Dadurch, daß Ausschnitte des Orchesters mitunter in die Chormusik eingeblendet werden, wäre andernfalls auch einem nicht so versierten Hörer die mangelnde Synchronizität offensichtlich gewesen. In der konventionellsten Szene der Oper, der vierten, traten die sieben erwachsenen Solisten stimmsicher auf und zeigten auch die von Stockhausen den jeweiligen Wochentagen zugeordneten Gesten. Eine verantwortungsvolle Aufgabe kommt in dieser Oper neben den zahlreichen Dirigenten – allein in dem Orchesterteil der fünften Szene sind es sechs – auch den Tontechnikern zu, die mit ausgiebigem Beifall bedacht wurden. Unter ihnen war Kathinka Pasveer.

Fazit

Die erste szenische Realisierung dieser Oper ist mit einem Wort zu umschreiben: opulent. Nicht nur, daß mit z.T. verblüffenden und ausgeklügelten technischen Effekten hantiert wurde – Michael oder das weiße Pferd wurden z.B. auf einem in alle Richtungen schwenk- und drehbaren Kran herumgefahren –, darüber hinaus wurde auch akribisch vielen Regieanweisungen des Librettos Folge geleistet. Von einer derartigen Werktreue und einem solchen Respekt vor den Intentionen des Komponisten kann man heutzutage bei den meisten Repertoireopern nur träumen. Hinzu kamen spezialisierte Musiker, die mit ihrem Text ausnehmend gut vertraut waren, auch wenn die Musik mitunter von dieser überaus einfalls- und abwechslungsreichen Inszenierung in den Hintergrund gedrängt wurde. Das gilt in erster Linie für die dritte Szene und den Chorteil der fünften. Vereinzelte Unstimmigkeiten mit Stockhausens Anschauungen kamen vor; hierauf wird in einer ausführlichen Werkpräsentation an anderer Stelle näher eingegangen. Für Liebhaber der musikalischen Avantgarde ist diese enorm aufwendige Produktion ein Muß. Für diejenigen, die wissen möchten, was es mit der zeitgenössischen Musik auf sich hat, mag die Inszenierung dank ihres unterhaltsamen Eventcharakters ein guter Einstieg sein.

Dr. Martin Knust

Bild: Klaus Lefebvre

Das Bild zeigt: LICHTER  – WASSER: Anna Palimina (Eva) und Hubert Mayer (Michael), 1. Szene

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