von Jules Massenet, Oper in fünf Akten, Libretto von Henri Meilhac und Philippe Gilles
Uraufführung: 19. Januar 1884 an der Opéra-Comique de Paris
Regie: Wolfgang Quetes, Bühne: Manfred Kaderk, Kostüme: Tina Toeberg
Musikalische Leitung: Hendrik Vestmann, Sinfonieorchester Münster Chor, Extrachor Städtischen Bühnen Münster
Solisten: Julia Neumann (Manon), Juhan Tralla (Le Chevalier Des Grieux), Jaroslaw Sielicki (Lescaut), Andrea Shin (Guillot de Morfontaine), Donald Rutherford (De Brétigny), Andrey Valiguras (Le Comte des Grieux), Annette Johansson (Pousette), Judith Gennrich (Rosette), Elena Hajfiz (Javotte), Peter Jahreis (Der alte Abbé des Grieux)
Besuchte Aufführung: 3. Mai 2008 (Premiere)
Kurzinhalt
Wieviel Betrug, wieviel Verschmähung, wie viele Verletzungen hält eine Liebe aus? Und ist es dann noch Liebe oder bloß naive Schwärmerei? Von diesen Fragen lebt Massenets Oper Manon. Dem Kloster entflohen und die Liebe und das Gönnertum des Chevalier Des Grieux ausnutzend, amüsiert sich Manon Lescaut in Paris, bis sie von einem heimlichen Liebhaber erfährt, daß der Chevalier von Gehilfen seines Vaters entführt werden soll. Sie muß sich von ihm trennen.
Ein Jahr später lebt Manon gemeinsam mit ihrem vormals heimlichen Liebhaber de Brétigny und vergnügt sich am Pariser Cours-la-Reine (heute Champs-Élysées) Hier erfährt sie, daß der Chevalier Des Grieux vorhabe, die Priesterweihe zu empfangen. Sie eilt zu ihm und kann ihn nach langem Zögern davon überzeugen, mit ihr zu fliehen. Erneut vereint, bringt Manon allen Sparmaßnahmen zum Trotz, Des Grieux’ Erbe durch. Ihr Cousin Lescaut überzeugt beide davon, sich im Glücksspiel zu versuchen. Obwohl Betrug dem Chevalier zuwider ist, willigt er ein. Inmitten des Spiels wird er von herbeigerufenen Gendarmen in Anwesenheit seinem Vater als Betrüger abgeführt. Manon und Des Grieux werden abgeführt. Während man den Chevalier nach kurzer Zeit aus der Haft entläßt, soll Manon nach Amerika verschifft werden. Der Chevalier folgt Manons Spur bis nach Le Havre. Dort kann Lescaut Manons Wachen bestechen, sie frei zu lassen. Ihr schlechtes Gewissen plagt sie und die durch Entbehrungen zu Tode erkrankte Manon bittet den Chevalier um Vergebung für all das, was sie ihm angetan hat. Er sagt, es gäbe nichts zu verzeihen. Manon glaubt, nun glücklich sterben zu können.
Inszenierung
Für den Zuschauer, der die Romanvorlage von Abbé Prévost nicht kennt, ist es mühsam, der Handlung zu folgen, da die Oper in Tableaus unterteilt ist, die jeweils eine Station aus dem Romangeschehen zeigen. Der Zusammenhang hingegen wird dadurch verschleiert. Um diese Verständnisprobleme auszumerzen, ergänzt Regisseur Wolfgang Quetes das musikalische Bühnengeschehen als besonderen Kniff durch einen Sprecher (Peter Jahreis), welcher in der Rolle des gealterten Chevalier des Grieux retrospektiv seine Lebensgeschichte erzählt. Dazu verliest er Schlüsselsequenzen aus Abbé Prévost Romanvorlage.
Quetes weiß außerdem insbesondere in den Ensembleszenen, Manons Geltungssucht in den Mittelpunkt des Geschehens zu setzen. Die Intimität der Duette zwischen Manon und Des Grieux unterstreicht er, indem er die Sänger zu ausdrucksstarkem Spiel unabgelenkt von jedwedem überflüssigen Putz anhält.
Das Bühnenbild, entworfen von Manfred Kaderk, ist sehr reduziert, wenige Wandelemente erlauben mit wenigen Änderungen sämtliche Schauplätze darzustellen. Die Kostüme von Tina Toeberg sind keiner spezifischen Epoche zuzuordnen, sie sind irgendwo zwischen Biedermeier und früher Moderne anzusiedeln. Beide Aspekte sind jedoch nicht von Nachteil – weder für die Interpretation noch für die Produktion an sich, zeigen sie doch, daß auch mit wenig Mitteln Sinnvolles geschaffen werden kann. Das Publikum zeigte sich hier allerdings geteilter Meinung.
Ausführende
Es muß nicht immer Anna N. sein. Julia Neumann in der Rolle der Manon beweist sich als unkapriziöser Star des Abends. In der mittleren Lage fügt sie Ton für Ton zu einer langen Perlenkette aneinander, ihre Intonation ist auch in den aberwitzigsten Koloraturen atemberaubend perfekt. Einzig der Klang ihrer Stimme in den höchsten Passagen mag für manchen Zuhörer ein Hauch zu metallisch sein, doch sollte dies das durchweg positive Bild der Künstlerin nicht trüben. Bei einer dermaßen starken Hauptdarstellerin ist es immer schwierig, sich an ihrer Seite behaupten zu können, auch wenn diese alles andere will als sich in den Vordergrund singen. Und so verblaßt Juhan Tralla (Des Grieux) neben ihr, er kann kaum gegen die strahlende Stimmgewalt Julia Neumanns sowie gegen das Orchester ansingen, wobei ihm zugute gehalten werden sollte, daß seine Interpretationsansätze durchaus ausbauenswert sind, seine Stimme diese Ideen aber leider nicht tragen kann. Doch ist die Rezensentin hier offenbar anderer Meinung als das Gros der Premierengäste. Jaroslaw Sielicki (Lescaut) ist im Spiel überzeugend, kommt im Gesang dem allerdings nicht durchweg nach. Dies mag zu großem Teil daran liegen, daß seine Rolle nicht für Glanzpartien ausgelegt ist, und es zudem schwer ist, an der Seite einer so formidablen Manon zu brillieren. In einer anderen Rolle hätte er es sicher leichter, sein Können unter Beweis zu stellen.
Besonders Gefallen findet das Publikum neben den Hauptdarstellern an Andrey Valiguras in der Rolle von Comte Des Grieux. Die Rezensentin kann sich dieser Meinung nicht anschließen, zu große Intonationsprobleme aufgrund eines übertriebenen Vibratos sowie gepreßter Spitzentöne stehen dazu im Weg. Gleiches gilt für Andrea Shin (Guillot de Morfontaine) und Donald Rutherford (De Brétigny), die sowohl stimmlich als auch spielerisch im Bühnengeschehen untergehen.
Der Chor und Extrachor der Städtischen Bühnen überzeugen durch einen überaus homogenen Klang, was ja nicht immer der Fall ist, wenn der Hauschor durch einen Extra(laien)chor ergänzt wird. Hier ist ein Beispiel, daß dies durchaus gelingen kann.
Das Sinfonieorchester Münster erweist sich unter der energischen Führung des jungen estnischen Dirigenten Hendrik Vestmann als agiler und dynamischer Klangkörper, sieht man über einige kleine Patzer hinweg. Vestmanns Interpretation ist sehr selbstbewußt, dabei aber höchst musikalisch und streckenweise hart an der Grenze zum Kitsch.
Fazit
Frankophile Theatergänger sollten von vornherein davon absehen auch nur zu versuchen, den Text zu verstehen. Man zweifelt häufig daran, ob auf der Bühne wirklich Französisch oder nicht doch Italienisch, Russisch oder gar eine fernöstliche Sprache gesungen wird. Will man aber einen Opernabend – fern allen Medienrummels – mit hervorragenden und gleichzeitig schönen Sopranistinnen genießen, so ist man hier gut aufgehoben. Ein starkes Ensemble kann man hier hingegen nicht erleben. Liebhabern großer romantischer Musik wiederum sei diese Inszenierung empfohlen, denn ein solch spielwütiges junges Orchester bekommt man an manch großem Haus nicht geboten.
Christine Lauter
Bild: Michael Hörnschemeyer
Das Bild zeigt Manon (Julia Neumann) wie sie Des Grieux (Juhan Tralla) auf Knien bittet, nicht in den Priesterstand einzutreten und statt dessen mit ihr zu fliehen.
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