von Jacques Offenbach (1819-1880), Opéra phantastique in fünf Akten, Libretto: Jules Barbier nach dem gleichnamigen Drama von Barbier und Michael Carré (1851), Rezitativ-Fassung unter Verwendung der nachkomponierten Rezitative von Ernest Guiraud, UA: 10. Februar 1881, Opéra-Comique, Paris
Regie: Thomas Wünsch, Bühne: Norbert Ziermann, Kostüme: Heiko Mönnich, Dramaturgie: Ulrich Frey
Dirigent: Johannes Willig, Philharmonisches Orchester und Opernchor des Theaters Kiel, Einstudierung: David MaiwaldSolisten: Yoonki Baek (Hoffmann), Amira Elmadfa (Niklaus/Muse/Lindorf/Coppelius), Elia Fabbian (Mirakel/Dapertutto/Andrès), Michael Müller (Franz/Pitichinaccio), Lesia Mackowycz (Olympia), Susan Gouthro (Antonia), Heike Wittlieb (Guilietta), Nina Scholz (Stella/Psychiater), Kyung-Sik Woo (Luther/Krespel), Fred Hoffmann (Spalanzani), u. a.
Besuchte Aufführung: 11. Juni 2011 (Premiere)
Der alt gewordene, alkoholabhängige Hoffmann wird von Lindorfer um seine Liebe, die Sängerin Stella, betrogen. Der Rivale fängt ihre Einladung zu einem Rendezvous ab. Hoffmann erinnert sich an weitere Liebeserlebnisse seines Lebens, bei denen offen bleibt, ob sie Wirklichkeit oder Fiktion sind. Die erste Geschichte handelt von Olympia, einer mechanischen Puppe. Hoffmann sieht sie durch eine magische Brille als echten Menschen. Als die Puppe zerstört wird, erkennt er seinen Irrtum. In der zweiten Episode geht es um Antonia, die durch ihren eigenen Gesang zum Sterben verdammt ist. Durch unglückliche Umstände animiert Hoffmann sie zum Singen und bewirkt damit ihren Tod. Seine dritte Liebschaft, die Kurtisane Giulietta, zieht Hoffmann in ihren Bann. Er stürzt in sein Unglück und tötet mehrere Rivalen. Hoffmann kann durch seinen Rausch durch die Geschichten nicht mehr Realität von Fiktion unterscheiden. Er verpaßt das Rendezvous mit Stella und erkennt sie nicht mehr. Auch sein alter Freund Niklaus löst sich von ihm. Das Genie stirbt in Einsamkeit.
Aufführung
Das gesamte Bühnenbild ist an der Szenerie aus Thomas Manns Der Tod in Venedig und Luchino Viscontis Filmadaption orientiert – ein offener, weißer Palast, mit Ferienatmosphäre und Sand erinnern an den venezianischen Lido. Auch Hoffmanns Kleidung sieht der des Protagonisten aus Der Tod in Venedig ähnlich – ein weißer Leinen-Anzug aus der Zeit der Jahrhundertwende. Das Grundbühnenbild bleibt die ganze Zeit bestehen, wird aber durch Elemente, die Wirklichkeit und Einbildung verschwimmen lassen, ergänzt: die auf dem Kopf stehende Stadtsilhouette im Hintergrund, eine überdimensionale halbnackte Frauenstatue mit Heiligenschein, ein von der Decke herabhängender Flügel, der im nächsten Bild hinuntergefallen ist und Kronleuchter-ersetzende Notenständer. Das Aussehen der Personen wandert durch die Geschichte. In Olympias Welt tragen sie barocke Kleider und Perücken, Antonias Welt ist die Jetzt-Welt von Hofmann um die Jahrhundertwende und Giulietta stammt aus einer punkigen, Disco-besuchenden Subkultur.
Sänger und Orchester
Das philharmonische Orchester unter der Leitung von Johannes Willig, der Kiel nach dieser Spielzeit verlassen wird, schafft, was Offenbach von seiner Musik erwartet: Es drängt sich nicht in den Vordergrund und untermalt im immer exakten Einsatz, was die Oper zu bieten hat: Komik, Drama, Leichtigkeit, Liebe, Sex und Tod. Yoonki Baek (Hoffmann) und Amira Elmadfa als männliche Muse und alter Freund bringen eine konstante Leistung mit starkem Durchhaltevermögen in der dreieinhalbstündigen Oper. Baek kann die Facetten seiner verzweifelten Alkoholsucht, die Leichtigkeit des Klein-Zack-Liedes und die verträumte Verliebtheit durch die rosarote Brille (passende Requisite) authentisch in seinem Gesang unterbringen. Lesia Mackowycz (Olympia) und Michael Müller (Franz) sind die komischen Höhepunkte des Abends: Mackowyczs Koloraturen sind schrill und ihre Tonsprünge groß – und doch perfekt ausgeführt. Ihr gelingt es mit einer Wellensittich-Figur im Mund zu singen, sie läßt einen zu einem Boxsack umfunktionierten Luftballon mit ihrer Haarnadel platzen und ihre abgehackten, mechanischen Bewegungen erinnern an die dem Breakdane entliehenen Stroposkop-Effekten. Müller gibt den urkomischen, tauben Diener auf der Psychologen-Couch, der mit dem Orchestergraben interagiert und nahezu flirtet. Ein besonderes Lob gilt dem Chor, der den abgehackten Tanz in Ball-Choreographie beeindruckend im Kollektiv ausführt und eine wilde, koksende, exzessive Party-Gesellschaft abgibt. Als gesanglich imposante Lehre des Abends schwebt Man wird groß durch die Liebe, doch noch größer durch die Tränen im Raum.
Fazit
Die Oper, die eh schon durch Offenbachs Musik, Hoffmanns Persönlichkeit und Werken, die Nachkomposition von Guiraud wie eine Collage wirkt, wird gelungen um weitere Momente wie Manns und Viscontis Tod in Venedig sowie Freuds Psychoanalyse erweitert. Der Marsch der Chorgesellschaft durch die Epochen unterstreicht die romantische Verschmelzung von Wirklichkeit und Traum. Humor erster Klasse und die Tragik eines gescheiterten, einsamen Genies bleiben als Eindrücke des Abends hängen. Das Publikum dankt mit tosendem Applaus und Bravos.
Frederike Arns
Bild: Olaf Struck
Das Bild zeigt: Heike Wittlieb (Guilietta), Yoonki Baek (Hoffmann), Amira Elmadfa(Niklaus/Muse/Lindorf/Coppelius), Opernchor