von Andrew Lloyd Webber, Rock-Oper in 22 Bildern, Text von Time Rice, Deutsch von Anja Hauptmann; UA: 12. Oktober 1971 New York, Mark Hellinger Theater (Broadway)
Regie: Reinhardt Friese, Bühnenbild: Günter Hellweg, Kostüme: Annette Mahlendorf, Video: Frank P. Huhn
Dirigent: Giuliano Betta, Niederrheinische Sinfoniker, Chor, Extrachor, Jugendchor der Vereinigten Städtischen Bühnen Krefeld und Mönchengladbach
Solisten: Christian Venzke (Jesus), Kerstin Brix (Maria Magdalena), Ralf Meyring (Judas), Michael Kupfer (Pontius Pilatus), Matthias Wippich (Kaiphas), Luis Lay (Annas), Markus Heinrich (Petrus), Thomas Schweins (Simon/Herodes), Frank Rammelmüller (1. Priester), Yasuyuki Toki (2. Priester), Jeong-Han Lee (3. Priester/Fragender), Bong-Kil Lee Fragende), Jerzy Gurzynski (1. Soldat), Vladimir Schmurko (2. Soldat)
Besuchte Aufführung: 18. Mai 2008 (Premiere)
Kurzinhalt
Judas, das schwarze Schaf unter den Jüngern, der Verräter? Judas, der tragische Held, der verhindern möchte, daß sein Anführer seine Ziele aus den Augen verliert? Der enttäuscht ist darüber, daß seine Worte keinen Anklang finden und zu spät erkennt, daß die durch ihn ermöglichte Auslieferung Jesu an die Hohepriester mehr bewirkt, als was er erreichen wollte? Der seinen Verrat so sehr bereut, daß er in seiner Verzweiflung nicht willens ist mit dieser Schuld zu leben? Oder ist es der Judas, der aller Bewunderung und Liebe zu Jesus zum Trotz zu zweifeln, zu fragen wagt, wer Jesus wirklich ist – und der sich in diesem Zweifel als zutiefst menschlich erweist? Eine Antwort auf diese Fragen gibt die Rock-Oper nicht. Zwar werden die Ereignisse der Karwoche aus der unkonventionellen Perspektive des Judas geschildert, doch ein Hinweis darauf, ob Jesus wahrer Gott und Mensch zugleich ist, fehlt. Hier begegnet ein Mensch einem Menschen.
Inszenierung
Von dieser Lesart soll auch in der Inszenierung nichts ablenken, die Begegnung steht im Vordergrund. Aus einem einzigen Bau, für den sich Günter Hellweg verantwortlich zeichnet, lassen sich alle Schauplätze durch wenige Veränderungen herausschälen. Wie die Bühne sind die Kostüme von Annette Mahlendorf ohne Ausnahme in schwarzen und weißen Tönen gehalten. Dabei sind Konnotationen zwischen Rolle und Schattierung des Kostüms überaus stimmig. Allein Jesus tritt unter seinem Mantel mit entblößtem Oberkörper auf, doch zeigt diese Nacktheit auch seine Verletzlichkeit und Schutzlosigkeit. Daß die Begegnung zwischen den verschiedenen Charakteren den Kern der Inszenierung ausmacht, wird insbesondere in den Videoinstallationen von Frank Patrick Huhn deutlich, in Close ups der sich begegnenden Personen wird per Mimik das gesagt, was Musik, Text und Gestik nicht vermögen: die Regungen der Seele. Auch die Regie Reinhardt Frieses ist auf Begegnung bedacht. Die Massenszenen, in denen sämtliche Chöre des Hauses sowie die Statisterie auftreten, wirken auf der kleinen Bühne besonders eindrucksvoll.
Ausführende
Seine Ohnmacht, seine Verzweiflung ob des Wissens über das ihn erwartende Schicksal, seine Wut über das Markthalten im Tempel – kurz: Jesu menschliche Empfindungen weiß Christian Venzke in Stimme und Körper umzusetzen. Beeindruckend ist seine Leistung sowohl in den Ensembleszenen als auch in den wenigen Momenten, in denen er alleine mit sich und Gott ist. Hier hält er innige Zwiesprache, sein Gegenüber wird durch die Intensität seiner Darstellung präsent. In der Spielintensität steht ihm Ralf Meyring (Judas) in nichts nach. Schien er in der ersten Hälfte des Abends sein Lampenfieber zu bekämpfen, so war seine Unsicherheit spätestens in der Szene seiner Selbsttötung wie weggeblasen. Stimmlich nicht ganz so sicher wie die meisten seiner Spielpartner, läuft er hier zu Höchsttouren auf. Diese Szene bildet den unangefochtenen Höhepunkt des Abends. Kerstin Brix (Maria Magdalena), kann das Publikum überzeugen. Ob ihre Art zu interpretieren jedermann gefällt, sei dahingestellt. Der Rolle stimmlich gerecht wird sie allemal, doch leider läßt ihr immer leidender Gesichtsausdruck sehr leicht nachvollziehen, warum Judas ihre Gegenwart nicht ertragen kann. In den Nebenrollen brilliert insbesondere Matthias Wippich (Kaiphas), der mit seiner Stimmgewalt auch ohne Mikrophon über das Orchester hinweg singen könnte, sei die Lage auch noch so unangenehm. Die Rolle des Bösewichts bereitet ihm sichtlich Freude, wie auch Luis Lay in der Rolle seines Schwiegervaters Annas, der leichten Fußes durch seine Falsettpassagen wandert. Michael Kupfer (Pontius Pilatus) weiß Nachdenklichkeit und Verwirrung und Ohnmacht seiner Rolle überzeugend umzusetzen. Der Gast Thomas Schweins tritt als Simon wie auch als König Herodes in Aktion. Leider fällt er stimmlich wie darstellerisch aus dem überwiegend hervorragenden Ensemble negativ heraus, seine komödiantische Leistung als Herodes kann nicht über unangenehme Vokalfärbungen hinweg trösten.
Eine besondere Leistung dieser Produktion liegt wohl auch darin, eine große Anzahl an Choristen zu organisieren und ein homogenes Klangbild zu erarbeiten. Anspruchsvolle Passagen werden dabei vom Chor übernommen, während Extrachor und der eigens gegründete Jugendchor ihn in den Massenchören unterstützen. Die Niederrheinischen Sinfoniker unter der Leitung von Giuliano Betta erweisen sich als dynamischer, musicalerfahrener Klangkörper. Sichtbaren Spaß hatte wohl der Pianist, der sich anscheinend während der ganzen Vorstellung auf Herodes’ Ragtime-Nummer gefreut hat, zumindest machte sein Enthusiasmus diesen Eindruck.
Fazit
Ein tobendes Publikum erlebt das Theater Mönchengladbach nicht selten, doch scheint es immer noch Steigerungsmöglichkeiten zu geben. Unzählige Male durfte sich das Ensemble verbeugen. Zu Recht, in den meisten Fällen. Leider sind die Vorstellungen in Mönchengladbach alle ausverkauft, doch sei darauf hingewiesen, daß diese Produktion in Krefeld in der nächsten Saison aufgenommen wird.
Christine Lauter
Bild: Matthias Stutte
Das Bild zeigt: Judas (Ralf Meyring) verrät Jesus (Christian Venzke) durch einen Bruderkuß an Annas (im Hintergrund Luis Lay).
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