TANNHÄUSER UND DER SÄNGERKRIEG AUF WARTBURG (Dresdner Fassung) – Bayreuther Festspiele

von Richard Wagner (1813 – 1883), Große romantische Oper in drei Aufzügen, Dichtung vom Komponisten, UA: 1845 Dresden

Regie: Sebastian Baumgarten, Bühne: Joep van Lieshout, Video Christopher Kondek

Dirigent: Thomas Hengelbrock, Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele, Choreinstudierung: Eberhard Friedrich

Solisten: Günther Groissböck (Landgraf Hermann), Lars Cleveman (Tannhäuser), Michael Nagy (Wolfram), Lothar Odinius (Walther), Thomas Jesatko (Biterolf), Arnold Bezuyen (Heinrich), Martin Snell (Reinmar), Camilla Nylund (Elisabeth), Stephanie Friede (Venus), Katja Stuber (Hirt), u.a.

Besuchte Aufführung: 1. August 2011 (Premiere 25. Juli 2011)

Kurzinhalt

Der Minnesänger Tannhäuser hat lange Zeit im Venusberg zugebracht. Tannhäuser verläßt Venus, der erotischen Ekstase überdrüssig. Von seinen Freunden und künstlerischen Konkurrenten wird er überredet auf die Wartburg bei einem Sängerwettstreit anzutreten. Thema des Wettstreits ist das Wesen der Liebe, der Preis wird von Elisabeth, der Tochter des thüringischen Landgrafen, vergeben, welche Tannhäuser in Zuneigung ergeben ist. Während seines Beitrags gesteht Tannhäuser jedoch seinen Aufenthalt im Venusberg, und nur dank des Eintretens Elisabeths darf er sein Leben behalten, unter der Bedingung, nach Rom zu pilgern und für seine Verfehlung beim Papst Absolution zu erbitten. Der aber überantwortet Tannhäuser der ewigen Verdammnis, vor der ihn das selbstlose Opfer Elisabeths rettet.

Aufführung

Bei geöffnetem Vorhang wuselt die Bevölkerung der hermetisch abgeschlossenen Wartburg-Gesellschaft über die Bühne. Das fest installierte Bühnenbild zeigt ein farbenfrohes System aus Behältern und Schläuchen, die zur Alkoholherstellung (4.000 Liter täglich!) und Nahrungsaufarbeitung aus Gemüse und Fäkalien dienen. Auf der ersten Etage eines beidseitigen Gerüstes befinden sich Arbeitsflächen z.B. zum Backen und in der zweiten Etage Stockbetten. Der Venusberg ist ein im Bühnenboden versenkbarer Käfig mit allerlei absurden Gestalten, die mal kopulierend, mal durch die Gitter steigend, sich unter die Wartburg-Gesellschaft mischen. Ein Bacchanal findet nicht statt, dafür darf Venus – mit sichtbarem Bäuchlein abseits sitzend – dem Sängerkrieg beiwohnen. Die Kostüme sind bunt. Die Pilger, Heinrich der Schreiber und Reinmar von Zweter, tragen Mönchskutten, die Damen tragen zusätzlich Lampenschirmhüte. Darüber hinaus gibt es noch pseudo-religiöse Videoeinspielungen (Heilige Jungfrau) und im zweiten Akt pseudo-intellektuelle Kommentare. Erst zum Ende der Vorstellung senkt sich erstmals der  Vorhang über eine zwischen betrunken und debil schwankende Gesellschaft.

Sänger und Orchester

Mit Spannung wurde der Auftritt des Spezialisten für alte Musik Thomas Hengelbrock erwartet. In Ermangelung historischer Instrumente reduzierten sich seine Maßnahmen auf eine um einen Viertelton tiefere Stimmung und die Wahl einer gekürzten Dresdner Fassung. Heraus resultierte eine historisch korrekte, sehr klangorientierte Darlegung ohne elegische Ausbrüche. So erklang das Vorspiel sehr detailliert, allerdings ohne Dramatik. Schnelle Tempowechsel oder Änderungen der Lautstärke sind Hengelbrocks Sache nicht. So reduzierte sich das Orchester nach dem Vorspiel mehr oder weniger auf die Begleitung der Solisten. Der Sängerkrieg erlebte man eher als eine intellektuelle Debatte, aber ohne Emotionen, der Einzug der Sänger wirkte fade und im Finale kam sogar Langeweile auf. Erfreulich die exakte Koordinierung zwischen Orchester und Chor. Unter Eberhard Friedrich wirkte der Chor so wunderbar einheitlich wie immer.

Die Entdeckung war ohne Zweifel Michael Nagy als Wolfram. Sein sehr wortverständlicher, lyrischer Bariton konnte auch dramatische Ausbrüche mitreißend darstellen. Genausoviel Beifall erntete Günther Groissböck als Landgraf. Als jugendlich dynamischer Baß mit sehr tiefem Timbre könnte er sich einmal zu einem schwarzen Baß weiter entwickeln. Camilla Nylund hat immer noch einen sehr hellen Sopran, aber leider verliert sie ihre jugendlich glasklare Strahlkraft. In der Hallenarie fängt ihre Stimme an, leicht zu tremolieren. Ihre nachdenklichen, lyrisch verhaltenen Momente im 3.Akt bei Allmächtge Jungfrau waren immer noch beispielhaft. Lars Clevemann (Tannhäuser) ist im Nebenberuf Rocksänger und seine Leistung erinnerte an den späten Peter Hoffmann, der auch meinte, Rock und Klassik ginge mit derselben Stimme zusammen. Er verfügt über eine schöne, etwas eng geführte Stimme mit klingender Mittellage. Die Höhen konnte er nur mit Kraft stemmen, und das klang dann sehr gepreßt und kehlig. Gegen Ende der Partie verlor er an Kraft, so daß die Romerzählung dann leider nur noch eine Erzählung war. Die Venus-Darstellerin Stephanie Friede wurde wegen ihrer hörbar katastrophalen Fehlbesetzung so gnadenlos vom Publikum niedergemacht, daß sie weinte – das sollte man nicht machen. Der stets betrunkene Hirtenjunge Katja Stuber sang mit ausdrucksvollem heiterem Knabensopran. Erfreulich die Besetzung aller kleineren Minnesänger-Rollen, besonders hervorzuheben Thomas Jesatko, der einen rollenkonformen lautstarken Biterolf abgab.

Fazit

Ein für Bayreuth ungewohnt heftiges Buh-Gewitter senkte sich nach Ende der Vorstellung über die Protagonisten herab. Es wies die Verantwortlichen Baumgarten, van Lieshout und Kondek deutlich darauf hin, daß Wagners Bezeichnung Große romantische Oper lautet und nicht erlaubt, sie als Konzeptkunst ohne sichtbaren Bezug zum Stück viel Müll und absurde Handlung auf die Bühne zu stellen. Und die Ermordung der Elisabeth im Gastank durch Wolfram hinterläßt einen ganz bitteren Nachgeschmack.

Oliver Hohlbach

Bild: Enrico Nawrath

Das Bild zeigt: Michael Nagy (Wolfram), Camilla Nylund (Elisabeth)

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