von Charles Gounod, Oper in fünf Akten, Libretto: Jules Barbier und Michel Carré, UA: 19. März 1859, Théâtre Lyrique, Paris (Version mit gesprochenen Dialogen), 3. März 1869, Salle Le Peletier, Paris (endgültige Fassung mit Rezitativen)
Regie: Jean-Louis Martinoty, Bühne: Johan Engels, Kostüme: Yan Tax, Licht: Fabrice Kebbour
Dirigent: Alain Altinoglu, Chorleiter: Patrice Marie Auber, Chor und Orchester de l’Opéra National de Paris
Solisten: Roberto Alagna (Faust), Paul Gay (Mephistophlélès), Inva Mula (Marguerite), Tassis Christoyannis (Valentin), Angélique Noldus (Siebel), Marie-Ange Todorovitch (Dame Marthe), Alexandre Duhamel (Wagner), Rémy Corrazza (Faust II)
Besuchte Aufführung: 22. September 2011 (Premiere)
Faust, des Lebens überdrüssig, will sich vergiften, doch willigt er schließlich gegenüber Mephisto ein, seine Seele gegen erneute Jugend einzutauschen. Valentin, in den Krieg ziehend, bittet seine Freunde, seine Schwester Marguerite zu beschützen. Faust lernt Marguerite kennen und schenkt ihr Schmuck. Sie kann der Versuchung ihn anzulegen nicht widerstehen. Faust, mit Marguerite alleine gelassen, erklärt ihr seine Liebe. Sie entbrennt in Liebe und gibt sich ihm schließlich hin. Im Duell Faust gegen den heimgekehrten Valentin wird letzterer durch Mephistos Zutun getötet. Von allen verstoßen, sucht Marguerite Zuflucht im Gebet, doch Mephistos verfolgt sie bis in die Kirche. Mitten in Mephistos Hexensabbat, der Walpurgisnacht, erscheint Faust Marguerites Bild. Er sucht sie und findet sie als Mörderin ihres Neugeborenen zum Tode verurteilt im Kerker. Als Faust und Mephisto sie zur Flucht verleiten wollen, erkennt sie den Teufel und stößt damit auch ihren einstigen Geliebten zurück — lieber sterben als dem Teufel folgen — und rettet damit ihre Seele.
Aufführung
Nach alter französischer Gewerkschaftstradition haben die Bühnentechniker der Pariser Oper das Publikum wieder mal zu Geißeln gemacht, indem sie kurzfristig für den Premierenabend ein Streik ansetzten, was eine szenische Aufführung ausschloß. Die Direktion hat prompt und phantasievoll reagiert und vier Reihen Plastikstühle auf die offene Bühne gestellt, auf dem der etwas 80 Personen starke Chor in dunklen Büßergewändern zu sitzen kam. Davor sangen und gaben die Solisten in Frack und Abendkleid eine beschränkte, aber ausreichende schauspielerische Darbietung, um den Verlauf der Handlung verständlich zu machen. Verallgemeinernd kann man fast sagen, daß eine solche szenische Improvisation mancher schlechten Inszenierung vorzuziehen wäre, weil sich das Publikum verstärkt auf die Musik konzentrieren kann.
Sänger und Orchester
Der gebürtige Franzose sizilianischer Abstammung, Roberto Alagna, singt mit wohl timbrierter Ternorstimme erst den lebensüberdrüssigen Greis in L’amour! …. la guerre…tous les instincts et tous les désirs de la jeunesse – Die Liebe! … der Krieg … alle Instinkte und alle Wünsche der Jugend (1. Akt) später den sensiblen, verliebten Jüngling in Salut! demeure chaste et pure – sei gegrüßt Unschuld und Reinheit (3. Akt) und im zarten Liebesduett mit Marguerite am Ende des dritten Akts. Inva Mula (Marguerite) kreiert mit reiner klarer Sopranstimme – statt der sonst oft üblichen hoch dramatischen Blaustrumpf-Matrone – ein bezauberndes, sensibles junges Mädchen, das zu Liebe und Sinnlichkeit erwacht. Ihre feinfühlige Interpretation, sowohl stimmlich wie schauspielerisch, entsprechen dieser Rolle, als sei sie für sie geschrieben worden. Sie singt verhalten und doch lebendig und läßt die Stärke ihrer Stimme nur dort durchdringen, wo es absolut notwendig erscheint. So wird auch aus der Schmuckarie (3. Akt) nicht, wie so oft, ein Bravourstück, sondern der subtil psychologische und entscheidende Wendepunkt der Handlung. Paul Gay (Mephistopheles) dominiert mit schöner gewaltiger Baßstimme und intelligentem dämonisch-zynischem Spiel die kleine Welt um ihn herum. Er ist besonders teuflisch-mitreißend in der Ronde du veau d’or (Lied vom goldenen Kalb, 2. Akt) in dem der Chor mit Et Satan conduit bal – und Satan beginnt den Ball die Repliken gibt. Er ist es auch, der der Oper ihre phantastische Dimension gibt.
Tassis Christoyannis (Valentin) erfreut mit warmer Baritonstimme in Avant de quitter ces lieux – Bevor ich diesen Ort verlassen muß (2. Akt). Angélique Noldus als Siebel, Marie-Ange Todorovitch (Marthe) und Alexandre Duhamel (Wagner) ergänzen das ausgezeichnete Ensemble.
Zu erwähnen sei noch der hervorragende Chor, besonders beeindruckend in der Walzermelodie Ainsi que la brise légère (2. Akt) sowie als Männerchor im Soldatenchor.
Der junge Dirigent Alain Altinoglu führt Solisten, Chor und das Orchester dynamisch und präzise, aber dennoch mit nuancierter Musikalität durch die unglaublich reichhaltige Partitur.
Fazit
Goethes Faust in Gérard de Nervals Übersetzung hat in der französischen Opernliteratur des 19. Jahrhunderts zwei große Werke inspiriert: Berlioz’ La Damnation de Faust und Gounods Faust. Letztere ist nach Bizets Carmen die meistgespielteste französische Oper. Sie ist quasi zu ihrem Inbegriff geworden, mit der schnellen Abfolge kontrastierter Melodien, Tempi und Bilder, mit dem Wechsel von Chören, Chansons, lyrischen Szenen und melodramatischem Finale.
Die Premiere dieser Neuinszenierung ist der materiellen Widrigkeiten zum Trotz zu einem Triumph geworden und wurde entsprechend mit Beifall bedacht.
Alexander Jordis-Lohausen
Bild: Opéra national de Paris/ Charles Duprat
Das Bild zeigt: Inva Mula (Marguerite), Roberto Alagna (Faust), oben, Paul Gay (Méphistophélès)