L’AFRICAINE – DIE AFRIKANERIN (VASCO DA GAMA) – Würzburg, Mainfranken Theater

von Giacomo Meyerbeer (1791-1864), Oper in 5 Akten, Text: Eugène Scribe und Charlotte Birch-Pfeiffer, UA: 28. April 1865, Paris

Regie: Gregor Horres, Bühne und Kostüme: Jan Bammes

Dirigent: Enrico Calesso, Philharmonisches Orchester Würzburg, Opernchor und Extrachor des Mainfranken Theaters Würzbug, Choreinstudierung: Markus Popp

Solisten: Johann F. Kirsten (Don Pédro), Paolo Ruggiero (Don Diego), Nathalie de Montmollin (Inès), Paul McNamara (Vasco de Gama), Yong Bae Shin (Don Alvar), Jörn E. Werner (Großinquisitor), Adam Kim (Nélusko), Karen Leiber (Sélika), Paolo Ruggiero (Oberpriester des Brahma), Sonja Koppelhuber (Anna), Kenneth Beal (Ratsdiener), David Hieronimi (Matrose), Deuk-Young Lee (Priester)

Besuchte Aufführung: 25. September 2011 (Premiere, in französischer Sprache)

Kurzinhalt

Die Brüche und Ungereimtheiten der Handlung dieser unvollendeten Oper ist Folge der Bearbeitung der nachgelassenen Materialien Meyerbeers für die Pariser Uraufführung durch Françoise Joseph Fétis. So reaktivierte er den ursprünglichen Werktitel L’Africaine, den Meyerbeer inzwischen durch Vasco de Gama ersetzt hatte. Eine Überwindung der Gegensätze zwischen den Kulturen ist weder auf politischer noch auf privater Ebene möglich, es gibt immer auf beiden Seiten Sieger und Besiegte, wenngleich eine Schwarz-Weiß-Malerei der Parteien unterbleibt. Für Meyerbeer gibt es nur die reine Liebe, hier die Liebe der Inderin zum Europäer Sélikas zu Vasco, aber sie findet keine Erwiderung; Vasco verläßt Sélika wegen seiner portugiesischen Geliebten Inès. Sélika aber sucht den Tod im giftigen Blütenduft des Manzanillo-Baums.

Aufführung

Das Regieteam und der Dirigent haben sich weitgehend an der Fétis-Fassung orientiert, bei 3,5 Stunden Spieldauer fehlen nur etwa 30 Minuten. Man sieht zwischen zwei verschiebbaren, leicht schrägen Eisenwänden abwechselnd einen portugiesischen Ratssaal, Kerker, Schiffsrümpfe sowie das Brahma-Heiligtum. Nur wenige Stühle oder Bischofsstäbe komplettieren das Bild. Die Kostüme charakterisieren ihren Träger und sind zeitlos gehalten. So sehen sich der Großinquisitor und der Brahma-Priester sehr ähnlich: Beide Köpfe sind gelb geschminkt, der eine trägt das Beffchen eines katholischen Priesters, der andere einen Sakko-Umhang. Zusätzlich sind die Gesichter, Körper oder Teile der Gewänder der Inder mit Hennatattoos (Mehndi) bemalt. Die Inder tragen zunächst nur Hosen, später ebenfalls einen schwarzen Sakko-Umhang, Sélika als Sklavin eine schwarze Kombination, später Pelzrobe und Krone. Die Portugiesen sind in stilisierte Renaissance Gewänder und – auch die Damen – eine Halskrausegekleidet.

Sänger und Orchester

Die Anforderungen Meyerbeers an alle Mitwirkenden sind sehr hoch, es gelingt jedoch Enrico Calesso Orchester, Chor und Sänger Einheit zu verschmelzen. So werden die manchmal auftretenden Längen mit orchestraler Eleganz überspielt und die Emotionen mit Tempoänderungen und mitreißenden Crescendi hochgekocht. Calesso läßt das Publikum Meyerbeers Belcanto genießen, denn alle Solisten verfügen über die vokale Souveränität, um diese Emotionen darzustellen: An erster Stelle ist da Adam Kim (Nélusko) zu nennen. Es ist schon beeindruckend wie geschickt er sich diese mörderisch lange Partie einteilt. Sicherlich stößt er manchmal dabei konditionell an seine Grenzen, aber bei seiner Glanznummer, der Erzählung von Adamastor, dem König der Wellen reißt er das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Karen Leiber als Königin Sélika glänzt mit technisch sauberen, klaren Höhen. Überzeugend in den nachdenklichen Passagen mit tragender Piano-Stimme, furios im Forte bei ihren Wutausbrüchen. Fast das Gleiche gilt für Nathalie de Montmollin (Ines), deren Rolle genauso anspruchsvoll, aber kürzer ist: Nur in den Höhen ist sie nicht so klar. Paul McNamara (Vasco de Gama), der Wagner-Tenor des Hauses, kämpft sich mit viel Strahlkraft durch die Rolle, bei den schwierigen Koloraturen muß er sich zurückhalten. Seine Arie Land, so wunderbar! im vierten Akt wird seine neue Visitenkarte. Interessant auch das Fernduell der beiden Bässe Jörn E. Werner und Paolo Ruggiero als Großinquisitor bzw. Brahma-Priester. Beide verfügen über technisch hervorragende Koloraturen und große Strahlkraft – besonders in den Tiefen dieser Partien. Einen Ehrenkranz für den erweiterten Chor unter Markus Popp, der ein großes Kollektiv zu einem berauschenden Einheitsklang zusammenführte.

Fazit

Eines muß man dem Mainfranken Theater attestieren: Daß es alle Kräfte mobilisiert hat, um die großen Ensembleszenen klangvoll und überzeugend auf die Bühne zu bringen – ein Stück vom Glanz der Grand Opéra. So war der Chor mit fast 60 Personen fast so groß wie das Orchester, das die dazu passende und adäquate Klangkulisse lieferte. Außerdem verstärkt das einfache Bühnenbild die Akustik, was vor allem die Solisten unterstützt – gerade Nélusko und Sélika schätzen diese Unterstützung. Die Regie konzentriert sich auf das Liebesdrama und das Verhältnis zwischen Kolonialisten und Kolonie (damals wie heute: keine von beiden Seiten ist moralisch besser!). Das war sicherlich eine Meyerbeer mehr als würdige Inszenierung. Lang anhaltender und donnernder Applaus war der Dank des Publikums für die großartige Leistung des Würzburger Stadttheaters, die damit Meyerbeers die Hoffnung schürt, daß Meyerbeer wieder öfters gespielt wird.

Oliver Hohlbach

Bild: Falk von Traubenberg

Das Bild zeigt: Adam Kim (Nélusko), Karen Leiber (Sélika)

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