von Giacomo Puccini, Oper in vier Bildern; Libretto: Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach dem Roman Scènes de la vie de bohème von Henri Murger; UA: 1. Februar 1896, Turin, Teatro Region,
Regie: Vera Nemirova, Bühne: Werner Hutterli, Kostüme: Marie-Luise Strandt
Dirigentin: Catherine Rückwardt, Orchester und Chor des Staatstheaters Mainz
Solisten: Abbie Furmansky (Mimì), Tatjana Charalgina (Musetta), Sergio Blazquez (Rodolfo), Richard Morrison (Marcello), Vadim Volkov (Schaunard), Hans-Otto Weiß (Colline), Ion Grigorescu (Benoît), Ks. Jürgen Rust (Alcindoro), Patrick Hörner (Parpignol), Seok-Gill Choi (Sergeant), Hans-Helge Gerlik (Zöllner)
Besuchte Aufführung: 14. Juni 2008 (Premiere)
Kurzinhalt
Zeitlos ist die Geschichte von Näherin Mimì und dem Dichter Rodolfo, eine Liebesgeschichte mit tragischem Ausgang. Sie leben in einfachen Verhältnissen, sie lernen sich am Heiligabend kennen und lieben, dann gibt er vor eifersüchtig zu sein und erklärt schließlich den wahren Grund seiner Abkehr von Mimì: sie ist schwerkrank. Mimì und Rodolfo trennen sich, und schließlich stirbt sie doch im Kreise von Rodolfo und seinen Freunden. Die zweite Liebesgeschichte ist gleichsam zeitlos: Das ständige sich Trennen und Wiederfinden, Streiten und Verzeihen von Künstler Marcello und Zicke Musetta. Er ist eifersüchtig, sie will ihre Freiheit; an dauerhafte traute Zweisamkeit ist da nicht zu denken.
Aufführung
Vera Nemirova erkennt die Aktualität der Probleme beider Paare und versetzt sie in die heutige Zeit. Künstler Marcello wird zum Fotografen, in dessen Atelier Scheinwerfer umherstehen. Die Männer betrachten das weibliche Geschlecht vor allem als Objekt ihrer Kunst: Die Fotomodelle Marcellos sind unter anderem zwei jugendliche Mädchen, die vor der Kamera posieren, und selbst Mimìs gefühlvolles Mi chiamano Mimì dient Rodolfo lediglich als hastig mitgeschriebene Idee für sein nächstes Stück. Statt Feuer für ihre Kerze hätte Mimì ebenso gut nach einer Batterie für ihre Maglite-Taschenlampe fragen können, aber da bleibt die Regisseurin dem Libretto treu.
Das Quartier der Bohemiens ist eine große Halle, die Werner Hutterli einem leer stehenden Café nachempfunden hat. Dort sitzen sie, suchen nach Inspiration und treffen sich mit Gleichgesinnten. Hinter verschmierten Scheiben laufen immer wieder achtlos Fußgänger vorbei, vermummt um der herrschenden Kälte zu trotzen.
Der zweite Akt wird zu einem Rummel und Aufgebot an bunten Lämpchen und Weihnachtskitsch. Einkaufswagen mit Markenprodukten werden über die Bühne geschoben, und im Momus dominiert ein quietschgelbes Sofa das Inventar. Kellnerinnen in Engelskostümen präsentieren in verschiedenen Posen immer wieder die Buchstaben Momus. Schließlich zieht die Mainzer Ranzengarde durch den Zuschauerraum, und die Darsteller stellen sich wie beim Rosenmontagszug auf und winken der Kapelle von der Bühne aus zu.
Auch der dritte Akt ist vielleicht etwas anders als erwartet. Den verschneiten Wintermorgen ersetzt Nemirova durch ein Freudenhaus, in dessen Schaufenstern sich Prostituierte winden. Zwei zwielichtige Gestalten gewähren Mimì Zutritt zum Haus, sie beauftragt schließlich eine Dame vom Gewerbe dazu, den gesuchten Marcello zu holen.
Im letzten Akt fallen die modernen Kunstwerke ins Auge, die die Bohemiens ausstellen. Interessanterweise gibt es im Bühnenbild von Werner Hutterli kein Bett, auf dem Mimì sich ausruhen könnte, und im Kostümbild von Marie-Luise Strandt keinen tatsächlichen Muff, der der Todkranken die Hände wärmt. Statt dessen muß Musettas weißer Pelzmantel dafür herhalten.
Sänger
Was das Ensemble betrifft, so war La Bohème in Mainz sicherlich eine mehr als zufrieden stellende Vorstellung. Abbie Furmansky (Mimì) sang mit voller Stimme, und überzeugte auf ganzer Linie. Sergio Blazquez (Rodolfo) spielte sympathisch und gleichsam unnahbar den Liebhaber Rodolfo mit angenehm warmer Klangfarbe. Tatjana Charalgina (Musetta) inszenierte und sang absolut glaubwürdig die arrogante, zügellose Zicke im kurzen pinkfarbenen Kleidchen, Sonnenbrille, Stöckelschuhen und Pelz, die die Männer um sich herum voll im Griff hatte. Richard Morrison (Marcello) sang eindrucksvoll, und spielte ebenso wie Vadim Volkov (Schaunard) und Hans-Otto Weiß (Colline), die mit Volumen überzeugten, vor allem die jugendliche Leichtigkeit der unbekümmerten Junggesellen auf der Bühne.
Catherine Rückwardt leitete ein präzises und dynamisches Orchester, das die romantische Musik Puccinis überzeugend und gefühlvoll meisterte. An manchen Stellen waren die Instrumentalisten lediglich ein wenig zu laut, wodurch hier und da der Gesang im Orchesterklang etwas unterging. Der Chor überzeugte, und das Zusammenspiel zwischen den Gruppen funktionierte sonst reibungslos.
Fazit
Die Zuschauer begrüßten die Inszenierung Nemirovas in der heutigen Zeit ebenso wie Bühnenbild und Kostüme und waren mit Orchester und Musikern gleichermaßen zufrieden. Ein gelungener Abend.
Julia Korst
Bild: Martina Pipprich
Das Bild zeigt: Scheinwerfer und trocknende Fotos: Mimì (Abbie Furmansky) und Rodolfo (Sergio Blazquez) flirten im Heim der Bohemiens.