EUGEN ONEGIN – Greifswald, Theater Vorpommern

von Peter I. Tschaikowski (1840-1893), Lyrische Szenen in drei Akten, Libretto: Peter I. Tschaikowski und Konstantin S. Schilowski nach dem Versepos von Alexander S. Puschkin, UA: 1879, Moskau, Maly-Theater

Regie: Christina Hennigs (szenisches Arrangement), Kostüme: Christine Becke, Dramaturgie: Katja Pfeifer, Licht: Susanne Günther

Dirigent: Karl Prokopetz, Philharmonisches Orchester, Opernchor des Theaters Vorpommern, Choreinstudierung: Anna Töller

Solisten: Doris Hädrich (Larina), Anette Gerhardt (Tatjana), Frauke Willimczik (Olga), Christina Winkel (Filipjewna), Chul-Ho Jang (Eugen Onegin), Bragi Bergthórsson (Wladimir Lenski), Bernhard Leube (Fürst Gremin), Noriyuki Sawabu (Triquet), Volkmar Assmus (ein Hauptmann)

Aufführung: 26. November 2011 (Premiere, halbszenische Aufführung, in deutsch Sprache)

Kurzinhalt

Mit seinem Freund Wladimir Lenski besucht Eugen Onegin, ein Petersburger Lebemann, die Gutsbesitzerin Larina mit ihren beiden Töchtern Tatjana und Olga auf dem Land. Lenski liebt die lebenslustige Olga. In einem Brief gesteht die sensible Tatjana Onegin ihre Liebe, der sie jedoch zurückweist. Im darauffolgenden Winter veranstaltet die Larina einen Ball, bei dem Onegin sich langweilt. Um Lenski zu ärgern, tanzt er unentwegt mit Olga. Lenski ist tief gekränkt und fordert Onegin zum Duell. Lenski wird von Onegin getötet. Getrieben von Schuldgefühlen zieht Onegin jahrelang in der Welt umher, bis er schließlich nach St. Petersburg zurückkehrt. Auf einem Ball trifft er Tatjana wieder, die inzwischen mit dem betagten Fürsten Gremin verheiratet ist. Onegin verliebt sich nun in Tatjana, doch sie weist ihn ab. Er bleibt verzweifelt zurück.

Aufführung

Im Programmheft wird die Aufführung als halbszensich bezeichnet. Dahinter verbirgt sich eine Idee, die es dem Theater trotz Finanznot ermöglichen soll, große Opern aufzuführen: Man verzichtet auf das Bühnenbild und platziert stattdessen das Orchester auf der gestuft ansteigenden Bühne. Vor und hinter dem Orchester und auf einem freien Gang in dessen Mitte führen die Sänger die Oper szenisch auf, mit wenigen Requisiten und mit stilistisch nicht eindeutig bestimmbaren dezenten Kostümen. Verschiedene Tageszeiten und Stimmungen werden durch einen farbig ausgeleuchteten Hintergrund angedeutet. Der Vorhang bleibt während der gesamten Vorstellung geöffnet.

Sänger und Orchester

Die besondere Aufführungssituation forderte von Sängern und Orchester Höchstleistungen. In dem kleinen Saal wurde jede Regung und jeder Ton unmittelbar auf die Zuhörer übertragen. Mit klarem, gut artikuliertem Sopran und äußerst ausdruckstarkem Agieren zog Anette Gerhardt (Tatjana) das Publikum in ihren Bann. Die Gefühlsschwankungen des sensiblen Charakters zeigte sie auf glaubhafte Weise. Lediglich in großer Lautstärke neigte sie zu etwas übertriebenem Vibrato. Ähnlich ehrlich wirkte die Rollendarstellung von Bragi Bergthórsson (Wladimir Lenski), dessen lyrische Tenorstimme in mittlerer Lautstärke angenehm weich und im Forte hell und durchschlagend klang. Gewisse Beigeräusche während mancher Pianopassagen ließen eine geringfügige Erkältung vermuten. Auch Frauke Willimczik (Olga) überzeugte – trotz der schwierigen tiefen Lage trug ihre klare Stimme ausgezeichnet und brachte viel Lebensfreude zum Ausdruck. Alle drei sahen außerdem auf der Bühne ausgesprochen schön aus. Daneben wirkte der steife Chul-Ho Jang (Eugen Onegin) geradezu gefühlskalt. Klanglich war er der Rolle mit seiner sehr guten Projektion absolut gewachsen, doch er hatte am meisten mit dem sperrigen deutschen Text zu kämpfen. Die reife Altstimme von Doris Hädrich (Larina) paßte hervorragend zu ihrer Rolle, selbiges gilt für Christina Winkel (Filipjewna). Der volltönende Baß von Bernhard Leube (Fürst Gremin) brachte im dritten Akt noch eine angenehme Erweiterung des Klangraumes. Der Chor, der für seine Auftritte auch den Zuschauerraum nutzte, trug entscheidend zum guten schauspielerischen Gesamteindruck bei.

Das Orchester lief zu Höchstform auf. Probleme mit der Intonation, die bei anderen Opernaufführungen gehäuft auftraten, gab es an diesem Abend keine. Die Balance zwischen Streichern und Bläsern funktionierte gut, obwohl die Bläser im akustisch ungünstigeren hinteren Teil der Bühne saßen. Besonders der Streicherklang wirkte wesentlich unmittelbarer und direkter als sonst.

Fazit

Die Idee der szenischen Aufführung ohne Bühnenbild – diese Bezeichnung scheint passender als der Ausdruck halbszenisch – mit dem Orchester auf der Bühne funktionierte im Greifswalder Theater ausgezeichnet. Es war ein besonderes Erlebnis, der Arbeit von Karl Prokopetz direkt zusehen zu können. Eine eigenartige Stimmung, fast etwas surreal, entstand durch die ständige Anwesenheit des Orchesters. Aber sie tat dem Opernerlebnis keinen Abbruch, im Gegenteil: Man fühlte sich durch die große Intimität und Unmittelbarkeit beinahe in die Handlung integriert. Einzig die deutsche Übersetzung, die sich geradezu gegen die Musik zu sträuben schien, hatte negative Auswirkungen und machte den Sängern die Arbeit schwer. Das Publikum dankte dem Ensemble mit langanhaltendem Applaus für eine gelungene Vorstellung.

Anna-Juliane Peetz-Ullman

Bild: Vincent Leifer

Das Bild zeigt (von links nach rechts): Chor, Frauke Willimczik (Olga), Anette Gerhardt (Tatjana), Bragi Bergthórsson (Wladimir Lenski), Chul-Ho Jang (Eugen Onegin)

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