DIE FLEDERMAUS – Essen, Aalto Theater

von Johann Strauß jun. (1825-1899), Operette in drei Akten, Libretto: Karl Haffner/Richard Genée, UA 1874, Wien

Regie: Gil Mehmert, Bühne: Jens Kilian, Kostüme: Dagmar Morell

Dirigent: Stefan Soltesz, Essener Philharmoniker, Chor des Aalto Theaters, Einstudierung: Alexander Eberle

Solisten: Peter Bording (Eisenstein), Alexandra Reinprecht (Rosalinde), Heiko Trinsinger (Falke), Hulkar Sabirova (Adele), Andreas Hermann (Alfred), Matthias Rexrodt (Orlofsky), Michael Haag (Frank), Tom Zahner (Frosch) u.a.

Besuchte Aufführung: 10. Dezember 2011 (Premiere)

Kurzinhalt

Wien, Ende des 19. Jahrhunderts: Wegen Beamtenbeleidigung soll Eisenstein ins Gefängnis, wird aber von seinem Freund Falke zu einer Soiree beim Prinzen Orlofsky überredet: In die Haftanstalt komme er am nächsten Morgen immer noch rechtzeitig. Während es auch Eisensteins Hausmädchen Adele zur Soiree zieht, empfängt seine Frau Rosalinde ihren ehemaligen Liebhaber, Tenor Alfred. Dieser wird von Gefängnisdirektor Frank für Eisenstein gehalten und kurzerhand verhaftet. Der echte Eisenstein freundet sich bei Orlofsky mit einem gewissen Chevalier Chagrin an, in Wirklichkeit kein anderer als Frank. Und die ungarische Gräfin, mit der Eisenstein heftig flirtet, ist eigentlich Rosalinde. Am nächsten Morgen ist der Katzenjammer groß, im Gefängnis klärt sich unter den Augen des Wärters Frosch alles auf: Falke hat sich für einen Streich gerächt, den ihm Eisenstein einst spielte und in den ein besonderes Requisit verwickelt war: ein Fledermaus-Kostüm.

Aufführung

Am Anfang steht eine leere Bühne: Hier schmachtet Alfred nach Rosalinde, freut sich Adele auf die Soiree, beide von Falke wie Marionetten an unsichtbaren Fäden geführt. Bühnenarbeiter tragen nach und nach die notwendigsten Einrichtungsgegenstände für eine moderne Wohnung zusammen. In diesem Interieur braucht Rosalinde vor Schreck über die Begegnung mit Alfred erst einmal einen Cognac, der vom Gericht heimkehrende Eisenstein nimmt eine Dusche. Auch im zweiten Akt baut sich die Kulisse, Orlofskys Nachtclub, erst langsam auf, wieder auf Anweisung von Falke. Conférencier Orlofsky schwebt vom Schnürboden herab und frönt dem Absinth ebenso gern wie dem Champagner. Für seine Erzählung vom Fledermaus-Streich nutzt Eisenstein ein Smartphone-Video, das ihn als Elvis Presley, Falke im Batman-Kostüm zeigt. Das Gefängnis des dritten Aktes entsteht aus Stützen und Verstrebungen der Unterbühne – eine unheimliche Umgebung, in der Polizist Frosch mit Fernbedienung für das Überwachungssystem, Wandschmuck und Telefon kämpft. Anschließend rauft er sich mit Direktor Frank um einen Hering. Und Eisenstein kommt mit seinen Unschuldsbeteuerungen an diesem Abend nicht weit: Er wird mit detaillierten Beweisfotos konfrontiert. Ende gut, alles gut?

Sänger und Orchester

Die Wiener Operette ist szenisch wenig präsent, und auch musikalisch versucht sich die Produktion von Gewohntem zu lösen: Stefan Soltesz läßt die Essener Philharmoniker durchweg zügig-beschwingt musizieren. Eigentlich vorbildlich, aber die dynamische Sentimentalität und Überdrehtheit, der Tempowechsel sowie das charakteristische Nebeneinander (freilich ironisch gemeinter) werden dabei vernachlässigt. Wienerisches Flair kommt noch am ehesten bei der am Pausenende gespielten und (daran ändern auch strafende Blicke des Dirigenten nichts) im Geraune des Publikums untergehenden Strauß-Polka auf. Durchweg bestens aufgelegt ist das Ensemble, allen voran Peter Bording (Eisenstein), ein Vollblut-Komödiant mit schön timbriertem, höhensicherem Bariton. Wohlklang verbreitet auch Heiko Trinsinger (Falke): Sein Solo Brüderlein, Schwesterlein wird zu einem vokalen Glanzpunkt. Alexandra Reinprecht (Rosalinde) hat es darstellerisch faustdick hinter den Ohren, dabei kontrolliert sie ihre große Stimme bis zu den Piani des Csárdás Klänge der Heimat perfekt. Reinprechts wie ein Irrwisch über die Bühne tobende Kollegin Hulkar Sabirova (Adele) läßt die Koloraturen funkeln Alles macht vor Ehrfurcht mir Spalier, während Michael Haag (Frank) zwar vokal blaß bleibt, aber im dritten Akt eine fantastische Slapstick-Pantomime liefert und sich dabei auch von dem urkomischen Tom Zahner (Frosch) nicht die Show stehlen läßt. Andreas Hermanns (Alfred) Tenor öffnet sich nach einigen Anlaufschwierigkeiten auch in der Höhe und hat schließlich noch genug Energie für eine Lohengrin-Einlage. Matthias Rexrodt (Orlofsky) meistert die für einen Countertenor unbequem liegende (und üblicherweise mit einem Mezzo besetzte) Partie mit Bravour – und nebenbei in zehn Zentimeter hohen Lackpumps auch manche szenische Herausforderung.

Fazit

Für manchen Operetten-Puristen mag die bei Musical und Revuetheater kräftig Anleihen nehmende Inszenierung von Gil Mehmert gewöhnungsbedürftig sein. Aber die Gags zünden, ohne je flach oder gar geschmacklos zu werden. Und die Idee, Falke als Theatermacher auftreten zu lassen, ist dramaturgisch durchaus plausibel. Musikalisch springt der Funke spätestens beim (von Peter Bording unter der Dusche absolvierten) Duett Ein Soupée uns heute winkt über. Begeisterter Schlußapplaus für alle Beteiligten.

Dr. Eva Maria Ernst

Bild: Iko Freese

Das Bild zeigt: Michael Haag (Frank), Hulkar Sabirova (Adele), Heiko Trinsinger (Falke), Peter Bording (Eisenstein), Alexandra Reinprecht (Rosalinde) v.l.n.r.

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