MANON – Paris, Opéra Bastille

von Jules Massenet (1842-1912), Opéra comique in 5 Akten Libretto: Henri Meilhac und Philippe Gille nach der Novelle Manon von Abbé Prévost, UA: 19. Januar 1884 Paris, Opéra-Comique, Salle Favart

Regie: Coline Serreau, Bühne: Jean-Marc Stehlé und Antoine Fontaine , Kostüme: Elsa Pavanel

Dirigent: Evelino Pidò, Orchester und Chor der Opéra national, Choreinstudierung: Patrick Marie Aubert

Solisten: Natalie Dessay (Manon), Giuseppe Filianoti (Le Chevalier des Grieux), Franck Ferrari (Lescaut), Paul Gay (Le Comte des Grieux), Luca Lombardo (Guillot de Morfontaine), André Heyboer (Monsieur De Brétigny), Olivia Doray (Poussette), Carol Garcia (Javotte), Alisa Kolosova (Rosette) u.a.

Besuchte Aufführung: 10. Januar 2012 (Premiere)

Kurzinhalt

Auf dem Weg ins Kloster trifft Manon in Amiens zufällig Des Grieux. Beide sind auf der Stelle ineinander verliebt. Sie fliehen nach Paris und beziehen eine gemeinsame Wohnung. Wegen Geldmangels gibt Manon dem Drängen des reichen Brétigny nach. Er und ihr Vetter Lescaut hatten Des Grieux‘ Vater informiert, der seinen Sohn entführt. Danach lebt Manon mit Brétigny zusammen. Auf einem Pariser Stadtfest wird sie Zeuge eines Gesprächs zwischen Des Grieux‘ Vater und Brétigny. Dabei erfährt sie, daß Des Grieux Priester werden will. Sie eilt nach St. Sulpice, und es gelingt ihr Des Grieux wiederzugewinnen. Doch das aufwendige Leben beider veranlaßt Manon, Des Grieux zum Kartenspiel zu drängen. Als er gegen Guillot gewinnt, klagt dieser ihn des Falschspielens an. Manon und er werden verhaftet. Des Grieux‘ Vater erreicht die Befreiung seines Sohns, doch Manon wird nach Amerika verbannt. Auf dem Transport nach Le Havre kann Des Grieux sie von den Mitgefangenen trennen. Aber die erschöpfte Manon stirbt in seinen Armen.

Aufführung

Wie im Libretto angegeben, erleben wir sechs Szenenbilder: einen Hof mit hoher Balustrade, von der eine breit geschwungene Treppe in den Hof herabführt, in dem die Postkutsche – hier ein Omnibus – ankommt. Danach sehen wir Manon und Des Grieux in ihrem kleinen Zimmer, das als „Puppenhäuschen“ inmitten der weiträumigen Bühne steht. Das Stadtfest ereignet sich in einer riesigen Halle, die, ähnlich dem nahen Grand Palais, glasüberdacht ist. Der Schmuck besteht aus großen Blumenarrangements und hohen Palmen. Massive Säulen und hohe gotische Fenster prägen die Kirchenszene von St. Sulpice. Der Spielsalon zeigt einen großen Saal mit Balustrade und nach links herabkommender Treppe. Eine Holzbrücke spannt sich über einen Fluß in einer ansonsten kargen Landschaft. Aus dunklen Wolken fällt Schnee.

Vom Barock bis zu kettenbewehrten Punks spannte Kostümbildnerin Elsa Pavanel den Bogen. An die Belle Epoque erinnerte der Dandy-Anzug von Des Grieux zu Anfang.

Sänger und Orchester

Sehr flott beginnt das Orchester unter Evelino Pidòs Stabführung. Diese Lebhaftigkeit des Orchesters prägt den gesamten Abend. Leider wäre größere Zurückhaltung in der Lautstärke ab und an von Vorteil gewesen. Doch den Zuschauern gefiel es, so daß sie den Dirigenten mit Bravo nach den Pausen begrüßten. Die drei „Grisetten” Olivia Doray (Poussette), Carol Garcia (Javotte), Alisa Kolosova (Rosette) zeigen sich höchst elegant, ihre Stimmen mischen sich gut und ihre koketten Gesänge beleben sehr. Franck Ferrari (Lescaut) in seiner lächerlichen Punkuniform mit hochaufragendem Strahlenkranz auf dem Kopf, ausgerüstet mit kehligem Bariton verschleiert mit permanentem Vibrato leider auch die Intonation bei seiner Arie Rosalinde. Eine von Figur und Stimme hervorragende Darstellung zeigt Paul Gay (Le Comte des Grieux) mit klangvollem Baß-Bariton, besonders eindrucksvoll in St. Sulpice, wo er keineswegs in seiner Vaterrolle gegen den großartigen Giuseppe Filianoti  unterliegt. Natalie Dessay (Manon) beginnt mit klarer, lyrischer Stimme in Je suis encore tout étourdie – ich bin noch ganz benommen. Ihr blühender Sopran kommt gut zur Geltung bei Voyons Manon – schick dich darein, Manon, worin sie große Empfindsamkeit zeigt. Ganz bezaubernd ist sie in: Adieu, notre petite table – Abschied von unserem kleinen Tisch. Ihr Partner Giuseppe Filianoti (Le Chevalier des Grieux) ist am Premierenabend in Stimmführung, lyrischem Timbre und Intonationsgenauigkeit überwältigend. Seine Antwort auf Notre petite table ist die Traumerzählung: En fermant les yeux – ich schloß die Augen. Hier brachte er zu den in sanften Terzen einhergehenden Begleitung der gedämpften Streicher eine Klangschönheit zustande, die ihresgleichen sucht. Nirgendwo forciert er seine Stimme. Diesen sehr französisch vornehmen Gesang zeigt er auch beim ersten Treffen mit Manon. Dabei überragt er fast alle heutigen Sänger, die leider nicht dies Zurückhaltung zeigen und nach Puccini-Art forcieren.

Fazit

Ein hinsichtlich der Musik vom Publikum mit frenetischem Applaus quittierter Abend, der sein negatives Pendant in dem ohrenbetäubenden Buh beim Erscheinen des Regieteams hatte.

Dr. Olaf Zenner

Bild: Opéra national de Paris/Charles Duprat

Das Bild zeigt: Natalie Dessay als Manon (Bildmitte im weißen Kleid) und  Miteisende (Chor)

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