von Jean-Philippe Rameau (1683-1764), Tragédie in Musik gesetzt in fünf Akten und einem Prolog, Libretto: Pierre-Joseph Bernard, UA 24. Oktober 1737 Paris, Opéra Palais Royal
Regie/Choreographie: Martin Schläpfer, Bühne/Kostüme und Lichtobjekte: rosalie, Licht: Volker Weinhart, Dramaturgie: Anne de Paco
Dirigent: Axel Kober, Neue Düsseldorfer Hofmusik, Chor der Deutschen Oper am Rhein, Einstudierung: Gerhard Michalski, Ballett am Rhein
Solisten: Jussi Myllys (Castor), Günes Gürle (Pollux), Alma Sadé (Télaïre), Claudia Braun (Phébé), Sami Luttinen (Jupiter), Iryna Vakula (Vénus), Christophe Gay (Mars), Katarzyna Kuncio (Minerve), Ovidiu Purcel (L’amour) u.a.
Besuchte Aufführung: 28. Januar 2012 (Premiere)
Die Götter, angewidert vom Krieg, führen ein Spiel auf, in dem die Liebe siegt. Helden sind die Halbbrüder Castor und Pollux. Als Castor im Kampf fällt, drängt Castors Verlobte Télaïre Pollux, seinen Vater Jupiter um Gnade zu bitten. Jupiter lehnt ab. Kurzerhand macht sich Pollux, heimlich in Télaïre verliebt, selbst auf den Weg in die Unterwelt – obwohl er weiß, daß er mit Castor den Platz tauschen muß, um ihm das Leben zurückzugeben. Télaïres Schwester Phébé, von Pollux zurückgewiesen, hetzt die Geister der Unterwelt gegen ihn auf. Trotzdem dringt Pollux zu Castor vor. Dieser aber weigert sich, sein Opfer anzunehmen, verlangt nur einen Tag, um Télaïre noch einmal zu sehen. Gerührt läßt Jupiter schließlich Gnade walten: Als unsterbliche Dioskuren (Göttersöhne), Leitsterne der Seefahrer, sollen Castor und Pollux künftig gemeinsam mit Télaïre den Himmel zieren. Die anderen Sterne heißen sie willkommen.
Aufführung
Schon vor Beginn liegt eine reglose Gestalt auf der Bühne, die „Seele“ des gefallenen Castor. Überhaupt haben alle Protagonisten Tänzer an ihrer Seite, ein Alter Ego, das ihre Gefühle in Bewegung umsetzt und sie zwingt, sich durch Körpersprache zu äußern. Immer wieder durchbrechen Tanzszenen die Handlung, solistisch oder als aufwendige Gruppenchoreographie. Fantasie-Kostüme deuten die Antike an, erinnern aber auch an Science-Fiction-Filme oder zeitgenössische Musicals. Die Götter kommen würdevoll auf Kothurnen daher. Wichtigstes Element der Bühne ist eine riesige Skulptur aus weißen Röhren, die durch Lichteffekte unterschiedliche Formen annimmt. Blau und weiß sind die vorherrschenden Farben, weitere Akzente kommen etwa durch große bunte Stoffrosen ins Spiel. Auf seinem Weg zu Castor durchquert Pollux den Styx, hier ein Meer aus schwarzgewandeten Choristen. Ein ekstatischer Tanz, an dessen Ende Castor und Pollux als neue Sterne in goldenes Licht getaucht sind, bildet den Schluß der Aufführung. Zufrieden zieht sich Castors Seele an den Bühnenrand zurück.
Sänger und Orchester
Das hochmotivierte Ensemble geht musikalisch und körperlich bis an seine Grenzen. Eine echte Entdeckung ist die junge Alma Sadé (Télaïre): ein bezaubernd natürlicher Sopran mit viel Substanz und ätherischen Tönen, der in der Szene Tristes aprêts, pâles flambeaux – Bleiche Fackeln der Trauer zu Tränen rührt. Wunderbar ist auch der mit Totaleinsatz spielende Bariton Günes Gürle (Pollux), der sich mühelos gegen die Donnermaschine durchsetzt, aber die Stimme auch bis zu einem im Nichts verklingenden Piano zurücknehmen kann. Jussi Myllys (Castor) ist mit verhangen klingendem Tenor zu sehr mit der bloßen Bewältigung der heiklen Partie beschäftigt, um zu einem überzeugenden Rollenporträt zu finden. Vermutlich wäre Ovidiu Purcel (L’amour) für die Partie besser geeignet gewesen, der zwar mit Lampenfieber kämpft, aber bei seinem kurzen Auftritt stilistisches Gespür für Rameaus Musik beweist. Die energiegeladene Claudia Braun (Phébé) bildet mit dunkel getöntem und in der Unterweltszene dramatisch auftrumpfendem Sopran „Sortez, sortez d’esclavage – Heraus aus der Sklaverei das Gegenstück zu Sadés fragiler Télaïre. Zum fünften Protagonisten wird der in der Szene Qu’Hébé de fleurs toujours nouvelles – Aus Hebes immer neuen Blumen wahrhaft himmlische Klänge produzierende Chor.
Auch wenn Dirigent Axel Kober kein ausgewiesener Barock-Spezialist ist: Die Neue Düsseldorfer Hofmusik präsentiert sich mit gewohnter Brillanz. Ob es der lange Atem bei den Lamenti ist oder doch die pulsierenden Rhythmen der Unterweltszene – Rameaus Divertissements (Orchester-Zwischenspiele) reißen das Publikum bis zum wilden Ende mit. Natürlich auch, und das nicht nur nebenbei gesagt, weil das Ballett am Rhein einfach phänomenal tanzt.
Fazit
Hauschoreograph Martin Schläpfer hat eine faszinierende Einheit von Musik und Bewegung geschaffen, die erstaunliche Einblicke in die Psychologie der Figuren liefert: ein Experiment, auf das sich die Sänger mit Haut und Haar einlassen. Und mag die Ausstattung der Performance-Künstlerin rosalie mitunter auch gewöhnungsbedürftig sein, dem Ganzen tut das keinen Abbruch. Frenetischer Jubel, am Ende sogar stehende Ovationen, für alle Beteiligten.
Eva-Maria Ernst
Bild: Gerd Weigelt
Das Bild zeigt: Günes Gürle (Pollux), Alma Sadé (Télaïre)