LULU – Dresden, Semperoper

von Alban Berg (1885-1935), Oper in drei Akten, Libretto: A. Berg nach Frank Wedekind, dritter Akt vervollständigt von Eberhard Kloke, UA: Juni 1937 (2 Akte)

Regie: Stefan Herheim, Bühne: Heike Scheele, Kostüme: Gesine Völlm

Dirigent: Cornelius Meister, Sächsische Staatskapelle Dresden

Solisten: Gisela Stille (Lulu), Christa Mayer (Gräfin Geschwitz), Markus Marquardt (Dr. Schön/Jack the Ripper), Jürgen Müller (Alwa), Barbara Senator (Theatergarderobiere/Gymnasiast/Groom), Nils Harald Sodal (Maler/Neger), Ketil Hugaas (Schigolch), Almas Svilpa (Athlet), Aaron Pegram (Prinz), Joachim Goltz (Medizinalrat/Bankier Puntschu), u.a.

Besuchte Aufführung: 4. Februar (Übernahme-Premiere)

Kurzinhalt

Der Journalist Dr. Schön hat vor Jahren die kindlich-verführerische Lulu von der Straße aufgelesen und ist ihr seitdem rettungslos verfallen. Um sich von ihr zu lösen, verkuppelt er sie immer wieder an andere Männer. Ohne Erfolg: Lulus ersten Gatten, den Medizinalrat, trifft der Schlag, der zweite, ein Maler, schneidet sich die Kehle durch. Resigniert läßt sich Dr. Schön von Lulu überreden und heiratet sie. Zur Katastrophe kommt es, als Dr. Schön in der gemeinsamen Wohnung gleich eine ganze Reihe von Nebenbuhlern antrifft, darunter die lesbische Gräfin Geschwitz und seinen Sohn Alwa. Lulu erschießt Dr. Schön und kommt ins Gefängnis. Mit Hilfe der Gräfin, des Athleten Rodrigo und des zwielichtigen Landstreichers Schigolch kann Alwa sie befreien. Wie Dr. Schön verfällt Alwa ihr mit Haut und Haar. In dem von Berg nicht mehr vollständig vertonten dritten Akt wird Lulu zur Prostituierten und schließlich von Jack the Ripper ermordet.

Aufführung

Diese Produktion mit der Ergänzung des dritten Akts durch Eberhard Kloke hatte am 15. Oktober 2010 Premiere in Kopenhagen. Sie und wurde bereits in Operapoint 1/2011 besprochen. Hier  zur Aufführung in Dresden: Die Welt der Lulu spielt in einer Art Zirkus-Arena der zwanziger Jahre. In der Vorstellung verwandelt sich die Schlange in Eva. Zunächst in einer Jugendstil-Zeichnung, bis Lulu als diese Eva aus der Zeichnung steigt. Das Zirkus-Portal ist drehbar und verwandelt sich in das Atelier des Malers Schwarz, wobei oben auf dem Portal die Clowns, die auch die Kapelle bedienen, erhalten bleiben. Lulus Männer verwandeln sich nacheinander nach ihrem Tod in diese Clowns. Alwa ist eindeutig als autobiografisches Abziehbild von Alban Berg dargestellt. Die Gräfin Geschwitz und Schigolch sind eher dekadente Gestalten der zwanziger Jahre. Der Clown, der einmal Dr. Schön war, verwandelt sich in Jack the Ripper und beendet den Abstieg Lulus mit einem Regenschirm – zusammen mit den anderen Clowns. Als der letzte Vorhang fällt, sieht man eine leere Bühne.

Sänger und Orchester

In Kopenhagen war es 2010 gelungen, eine ideale Lulu-Besetzung zu finden. Jürgen Müller als Alwa erinnert genauso an Alban Berg wie Johnny van Hal in Koppenhagen, ist aber nicht so durchschlagsstark wie dieser Tenor. Er paßt daher besser zu der lyrischen Leichtigkeit des zurückhaltenden Soprans der Gisela Stille als Lulu, die sich nicht wesentlich von Sine Bundgaard unterscheidet. Johann Reuter war in Koppenhagen ein stimmgewaltiger Bariton, der Dr. Schön bzw. Jack the Ripper viel Wut in der Stimme lieh. Da kann Markus Marquardt nicht dagegenhalten. Während Randi Stene als Gräfin Geschwitz mit ihrem gut fundierten Mezzo eine interessante Rolleninterpretation bieten konnte, bringt der dramatische Wagner-Sopran von Christa Mayer der Rolle in Dresden mehr Gewicht.

Cornelius Meister führte die Sächsische Staatskapelle sehr verschmitzt und verspielt durch die Kompliziertheit der Zwölftonmusik. Während diese Klangbilder sonst manchmal abschreckend wirken, wirken sie hier eher elegisch und romantisch.

Fazit

Auch die zweite Begegnung mit dieser Produktion (diese wurde auch in Augsburg verwendet) hinterläßt einen sehr positiven Eindruck. Stefan Herheim hat lediglich das Bühnenportal der Semperoper in das Bühnenbild übernommen. Dabei ist sicher eine allgemeingültige Inszenierung gelungen: Zum einen weil die Verlegung in die Entstehungszeit der Oper, der Wiener Sezession, sinnfällig ist, zum anderen weil die Clowns, der Zirkus und Eva aus der Handlung und der Partitur entwickelt wurden. Es gibt keine weiteren Erzählebenen und keine sexuellen Exzesse, sondern eher die familienfreundlich – aber bildgewaltig und tiefgründige – Darstellung des Aufstiegs und Niedergangs eines „leichten“ Mädchens. Auch die Spielfassung von Eberhard Kloke kommt dem Original Alban Bergs sehr nahe. Das führt auch hier zu dem Eindruck, daß die Lulu in die Ära der Spätromantiker gerückt wurde – und nicht der Zwölftontechnik. Dazu kommt, daß die Staatskapelle Dresden einen weichen romantischen von Strauss und Wagner geprägten Grundton hat. Wie in Kopenhagen auch in Dresden riesiger Beifall für die Sternstunde einer Aufführung von Alban Bergs Lulu!

Oliver Hohlbach

Bild: Matthias Creutziger

Das Bild zeigt: Jürgen Müller (Alwa), Aaron Pegram (Der Prinz), Barbara Senator (Eine Garderobiere), Gisela Stille (Lulu)

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