LULU – Berlin, Staatsoper im Schillertheater

von Alban Berg (1885–1935), Oper in drei Akten, Libretto nach Frank Wedekinds Erdgeist und Die Büchse der Pandora, UA: 1937 Zürich

Regie: Andrea Breth, Bühne: Erich Wonder, Kostüme: Moidele Bickel, Dramaturgie: Jens Schroth, Licht: Olaf Freese

Dirigent: Daniel Barenboim, Staatskapelle Berlin

Solisten: Mojca Erdmann (Lulu), Deborah Polaski (Gräfin Geschwitz), Stephan Rügamer (Maler/Neger), Michael Volle (Dr. Schön/Jack the Ripper), Thomas Pifka (Alwa), Georg Nigl (Athlet), Jürgen Linn (Schigolch), u.a.

Besuchte Aufführung: 31. März 2012 (Premiere)

Kurzinhalt

Lulu, die auch andere Namen wie Mignon, Nelly oder Eva hat, besitzt eine ungeheure Anziehungskraft auf Männer wie Frauen, die von ihren Beziehungen zu ihr stets ins Unglück gestürzt werden. Während sie sich von dem Maler portraitieren läßt, gesteht dieser ihr seine Liebe. Als ihr Mann, der Medizinalrat, die beiden erwischt, trifft ihn der Schlag. Lulu heiratet den Maler, der sich umbringt, als er erfährt, daß sie eine langjährige Beziehung mit Doktor Schön hat. Der versucht sich vergeblich ihren Reizen zu entziehen, muß aber ihrer Forderung nachgeben, ihn zu heiraten. Auch Alwa, Doktor Schöns Sohn, ist Lulu verfallen. Nachdem sie Doktor Schön erschossen hat, wird sie ins Gefängnis gebracht, aus dem sie die Gräfin Geschwitz, die ihr ebenfalls zugetan ist, befreit. Lulu ist gezwungen, mit ihr, Alwa und anderen Kumpanen ein Leben im Untergrund zu führen und endet als Prostituierte in London, die von Jack the Ripper ermordet wird.

Aufführung

Bergs unvollendete Oper ist für diese Inszenierung leicht gekürzt worden – nämlich um den Prolog und das erste Bild des dritten Akts – sowie mit einer von David Robert Coleman neu geschriebenen Musik für den dritten Akt versehen, bei denen er auf Bergs hinterlassene Skizzen zurückgegriffen hat. Auch innerhalb der von Berg komponierten Szenen kommen Striche vor. Das Bühnenbild bleibt über die gesamte Inszenierung hinweg dasselbe. Man blickt in eine verlassene Fabrikhalle, auf der linken Seite sind Schrottautos aufeinander gehäuft. Die Personenregie entfernt sich sehr weit vom Libretto. Vor allem im ersten Akt findet kaum Interaktion zwischen den Solisten statt. Die Darsteller bleiben oft in starren Posen stehen oder liegen. Anstelle dessen sind in allen drei Akten zusätzliche stumme Figuren auf der Bühne zu sehen, die Handlungen ausführen, die mehr oder weniger mit Wedekinds Dramen in Beziehung zu setzen sind. Lulu hat beispielsweise zwei ältere Doubles, die unter anderem mehrfach von Jack the Ripper ermordet und mit einer Schubkarre über die Bühne geschoben werden. Am Ende der Oper übergießt er Lulu mit Benzin und zündet sie an.

Sänger und Orchester

Die Staatskapelle unter Daniel Barenboim kehrt die wohlklingende Seite von Bergs Musik hervor. Mit bestechender Treffsicherheit changieren die unterschiedlichen Klangmischungen der originalen Partitur, auch diejenigen, in denen die Musik verzerrt oder unrein klingen soll. Die von Coleman geschriebene Musik im dritten Akt hebt sich zwar nicht klanglich, aber doch durch ihre geringere Komplexität von den vollendeten Teilen ab. Die sängerischen Leistungen waren an diesem Abend etwas heterogen. Mojca Erdmanns Bühnenpräsenz ist wie geschaffen für die Titelrolle. Mit Naivität, Attraktivität und großer Kälte verkörpert sie diese Figur mit all ihrer Rätselhaftigkeit. Ihre Stimme ist eher ein jugendlicher als ein dramatischer Sopran, die hohen und höchsten Töne singt sie fast im reinen Kopfregister, was aber ansprechend wirkt. Ihre Sprech- und Melodrampassagen waren gut zu verstehen. Ihr gegenüber wirkt Deborah Polaskis (Gräfin Geschwitz) Stimme deutlich reifer, zeichnet sich aber leider auch durch ein mittlerweile zu stark gewordenes Vibrato aus. Die männlichen Partien wurden musikalisch durchweg ordentlich gestaltet. Das galt insbesondere für Michael Volles Interpretation des Dr. Schön und Thomas Pifkes (Alwa), die klanglich souverän waren. Georg Nigl (Athlet) sang bzw. sprach seinen Text ein wenig undeutlich, und seine Stimme hat ein enges und recht schnelles Vibrato.

Fazit

Die musikalischen Leistungen fanden zu Recht großen Anklang beim Publikum. Die Inszenierung sorgte hingegen für Irritation, was vielleicht weniger daran lag, daß brutale und erniedrigende Handlungen auf der Bühne zu sehen waren – die finden sich ja im Libretto –, sondern daß die Regisseurin ihre Personenregie derart abstrakt gestaltete. Die vielen kleinen pantomimischen Handlungen wurden anscheinend nur von wenigen verstanden, und die eher statische bzw. stark stereotypisierte Personenführung der Solisten setzt eine genaue Textkenntnis voraus, um die Kommentare der Regie überhaupt als solche zu erkennen. Neben kräftigen Buhs und einigen Bravorufen für die Regie war bemerkenswert, daß ein Teil des Publikums ohne jede Äußerung von Beifall oder Mißfallen ging oder sitzen blieb. Was bleibt, ist ein eher zwiespältiger Gesamteindruck.

Dr. Martin Knust

Bild: Bernd Uhlig

Das Bild zeigt: Mojca Erdmann (Lulu), Georg Nigl (Ein Athlet), Liane Oßwald (Doppelgängerin), Jürgen Linn (Schigolch)

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