von Albert Lortzing (1801-1851), komische Oper in drei Akten, Libretto: Albert Lortzing nach dem Lustspiel Der Rehbock oder Die schuldlosen Schuldbewussten von August von Kotzebue, UA: 31. Dezember 1842 Leipzig, Stadttheater
Regie: Gunther Emmerlich, Bühne: Ute Krajewski, Gunther Emmerlich, Hugo Wieg, Kostüme: Ute Krajewski, Dramaturgie: Lür Jaenike
Dirigent: Egbert Funk, Philharmonisches Orchester Vorpommern, Opernchor und Kinder- und Jugendchor des Theaters Vorpommern, Choreinstudierung: Anna Töller
Solisten: Chul-Ho Jang (Graf von Eberbach), Christina Winkel (Die Gräfin, seine Gemahlin), Bragi Bergthórsson (Baron Kronthal), Susanne Niebling (Baronin Freimann), Katja Böhme (Nanette), Bernhard Leube (Baculus), Franziska Krötenheerdt (Gretchen), Gunther Emmerlich (Pankratius)
Besuchte Aufführung: 28. April 2012 (Premiere)
Der alternde Schulmeister Baculus hat versucht, im gräflichen Park einen Rehbock zu schießen, um ihn bei seiner Hochzeit mit dem jungen Gretchen den Gästen servieren zu können. Der Graf straft Baculus mit Enthebung aus seinem Amt. Um den Grafen umzustimmen, will Gretchen an den Hof gehen – der Graf hat eine Schwäche für hübsche Mädchen. Baculus verbietet es ihr. In diesem Moment trifft Baronin Freimann, die Schwester des Grafen, im Dorf ein. Als Student verkleidet überredet sie Baculus, daß sie sich in Frauenkleidern als seine Braut ausgeben könnte. Im Schloß trifft sie auf den Grafen und den Baron Kronthal, Bruder der Gräfin, der sich als Stallmeister verkleidet hat. Sowohl der Graf als auch der Baron verlieben sich in die „Unschuld vom Lande“, was zu Verstrickungen führt. Als Baculus schließlich versucht, die Gesellschaft über die wahre Identität seiner angeblichen Braut aufzuklären, die er für einen Studenten hält, lösen sich alle Verwirrungen auf. Baculus wird mit seinem Gretchen wiedervereint und der Baron hält um die Hand der Baronin an. Es zeigt sich, daß der vermeintliche Bock, den Baculus geschossen hat, in Wahrheit sein eigener Esel war.
Aufführung
Die Aufführung ist entscheidend von der Zusammenarbeit zwischen Gunther Emmerlich, Hugo Wieg und Ute Krajewski geprägt, die als einzige Mitwirkende nicht fest am Theater Vorpommern engagiert sind. Besonders Gunther Emmerlich setzt in seiner Dreifachfunktion der Inszenierung seinen Stempel auf. Die Bühne zeigt relativ naturalistische, leicht stilisierte Bilder. Die Kostüme sind historisch im Stil des 19. Jahrhunderts gehalten. In den Text sind Anspielungen auf aktuelle und regional- und weltpolitische Geschehnisse eingearbeitet. Damit entspricht die Aufführung genau den Vorgaben Lortzings.
Sänger und Orchester
Den distanzierten Blick auf das Geschehen, der diese komische Oper von den meisten Operetten abhebt, ermöglicht in erster Linie Gunther Emmerlich (Pankratius), der sichtbar ins Geschehen eingreift. Daß der Regisseur selbst diese Rolle spielt, ist äußerst passend. Sein Auftreten ist souverän und gewitzt, die wenigen gesungenen Passagen meistert er mit volltönendem Baß. Innerhalb der Handlung dominieren die Ensembleszenen, Einzelarien kommen kaum vor. Das kommt den Akteuren sehr gelegen, sind sie doch allesamt feste Ensemblemitglieder des Theaters Vorpommern und damit ein eingespieltes Team. Bernhard Leube (Baculus) stellt den besserwisserischen alten Schulmeister glänzend dar. Gewisse Einschränkungen sind bei Chul-Ho Jang (Graf von Eberbach) nur aufgrund seines Akzents zu bemerken, das hauptsächlich deshalb so auffällt, weil bei allen anderen die Textartikulation ausgezeichnet ist. Franziska Krötenheerdt (Gretchen) und Susanne Niebling (Baronin Freimann) bieten beide einen angenehm klaren, beweglichen Sopran, wobei erstere leichter und mädchenhafter singt, letztere mit etwas mehr Tiefe und Vibrato. Die reifere Stimme von Christina Winkel (Gräfin von Eberbach) paßt zur Rolle der älteren Gräfin, doch läßt sie leider gegen Ende in Volumen und Tempo merklich nach. Eine wunderbar selbstironische Seite zeigt der lyrische Tenor Bragi Bergthórsson (Baron Kronthal), der den schmachtenden Weltschmerz seiner Figur voll auskostet.
Eine besonders wichtige Stellung hat in dieser Oper der Chor inne, der große Anteile am Geschehen hat. Wie immer bewältigt das kleine Greifswalder Ensemble diese Aufgabe blendend mit großem schauspielerischen Einsatz und hervorragender Textartikulation. Gleiches gilt für den Kinder- und Jugendchor. Das Orchester muß erst in Schwung kommen; Intonationsschwächen während der Ouvertüre lassen später nach und sind im Zusammenspiel mit den Sängern nicht mehr zu hören. Die Balance zwischen Solosängern, Chören und Orchester ist durchweg ausgezeichnet.
Fazit
Wie wirkungsvoll ein eingespieltes und schauspielerisch talentiertes Ensemble sein kann, hat sich heute gezeigt. Die durchdachte und gut ausgeführte Vorstellung rief verdientermaßen langanhaltenden Applaus beim Greifswalder Publikum hervor. Daß keiner der Solosänger mit größerem Enthusiasmus beklatscht wurde als die anderen, spiegelt die Ausgewogenheit des Ensembles wieder – und den Umstand, daß die Oper den Sängern nur selten die Gelegenheit bietet, stimmlich besonders zu glänzen. Bravorufe und Ovationen gab es allerdings für den Chor, dessen großartiger Einsatz honoriert wurde.
Anna-Juliane Peetz-Ullman
Bild: Vincent Leifer
Das Bild zeigt: Bernhard Leube (Baculus), Opernchor des Theaters Vorpommern