LA TRAVIATA – Essen, Aalto-Theater

von Giuseppe Verdi (1813-1901), Melodramma in drei Akten, Libretto: Francesco Maria Piave, UA: 6. März 1853 Venedig

Regie: Josef Ernst Köpplinger, Bühne: Johannes Leiacker, Kostüme: Alfred Mayerhofer

Dirigent: Stefan Soltesz, Essener Philharmoniker und Chor des Aalto Theaters, Einstudierung: Alexander Eberle

Solisten: Liana Aleksanyan (Violetta), Felipe Rojas Velozo (Alfredo), Aris Argiris (Giorgio Germont), Rainer Maria Röhr (Gastone) u.a.

Besuchte Aufführung: 5. Mai 2012 (Premiere)

Kurzinhalt

Frankreich, Mitte des 19. Jahrhunderts: Alfredo liebt die Edelkurtisane Violetta. Nach anfänglichem Zögern gibt sie seinem Werben nach und zieht mit ihm aufs Land. Alfredos Vater, besorgt um den Ruf der Familie, zwingt Violetta, sich von seinem Sohn zu trennen – ohne zu wissen, daß sie todkrank ist. Auf einem Ball beleidigt Alfredo, der die wahren Gründe für die Trennung nicht kennt, rasend vor Eifersucht seine ehemalige Geliebte. Erst an Violettas Sterbebett versöhnen sich die beiden, nachdem Alfredos Vater reumütig seine Rolle beim Scheitern ihrer Beziehung eingestanden hat.

Aufführung

Die Handlung ist Ende der 1920er Jahre in einem Lungen-Sanatorium angesiedelt. Ein stuckverzierter Saal mit hohen Decken, Terrassentür und (als Fresko auf die Wände aufgetragenem) Alpenpanorama assoziiert den Nobelkurort Davos. Hier warten Violetta und ihre Leidensgenossen auf den Tod. Der Besuch ihrer Freundin Annina weckt Violettas Erinnerung: Ihre Geschichte wird ohne Pause in Rückblenden erzählt. Wie im Film gehen die Szenen bruchlos ineinander über, der sterile Saal wird innerhalb von Sekunden zum Schauplatz hemmungslos-rauschhafter Feste und zum bürgerlichen Refugium. Dabei ist der Tod allgegenwärtig, als blutüberströmte Stiere Di Madride noi sian mattadori – Wir sind Stierkämpfer aus Madrid, geigenspielende Engel (Kinderstatisterie) und zombiehaft-groteske Tänzer im Karnevalschor Largo al quadrupede, Sir della festa – Platz dem Stier, Herr des Festes). Auch Giorgio Germont, hier ein brutaler Despot, der seine Tochter schikaniert und über Violettas Tod alles andere als erschüttert ist, läßt keinen Zweifel daran, wie die Geschichte ausgeht: Aus Angst vor Ansteckung wischt er sich nach unfreiwilligem Körperkontakt mit Violetta sorgfältig die Hände ab. Das dafür benutzte Taschentuch taucht am Schluß wieder auf, wenn Germont seinen Brief an Violetta beiseite schafft und sich offensichtlich erneut vor Ansteckung schützen will. Liebe und Tod liegen an diesem Abend im wahrsten Sinne des Wortes dicht beieinander.

Sänger und Orchester

Einen Triumpf feiert die armenische Sopranistin Liana Aleksanyan (Violetta). Der überschäumenden Leidenschaft, mit der sie sich in die Rolle stürzt, kann sich kaum jemand entziehen. Auch vokal bleiben keine Wünsche offen: Die Stimme vereint jugendliche Frische und Natürlichkeit mit technischer Reife. Von rührender Zartheit ist das Piano in Dite alla giovine – Sagt Eurer Tochter, dramatisch zupackend die Koloraturen in Sempre libera – Immer frei. Bis zum Schluß, dem verzweifelten Aufschrei Oh gioia – Oh Freude bleibt Aleksanyans Energie ungebrochen. Eine beispielhafte Leistung, bedenkt man, daß sie die Bühne keinen Moment verläßt. Felipe Rojas Velozo (Alfredo) spielt den Verliebten als aufmüpfigen, durchaus sympathischen Jungen und besticht dabei durch ein schönes Timbre, feurige Gefühlsausbrüche und eine perfekte italienische Phrasierung. Leichte Unsicherheiten bei der Intonation und eine nicht immer strahlende Höhe verzeiht man gern, zumal sie dem Lampenfieber geschuldet sein dürften. Daß die Inszenierung Alfredos Vater als grobschlächtigen Tyrannen zeigt, ist für Aris Argiris (Giorgio Germont) kein Grund, es an stimmlichem Facettenreichtum fehlen zu lassen: Sein für dieses Repertoire wie geschaffener Bariton bietet neben einem (auch in den Spitzentönen) mächtig auftrumpfendem Volumen Eleganz und vorbildliche Artikulation. Der sich perfekt in die Inszenierung einfügende, brillante Chor und die überwiegend ausgezeichnet besetzten Nebenrollen – stellvertretend sei der bühnenpräsente Rainer Maria Röhr (Gastone) genannt – runden das Ensemble ab.

In Verdis Melodien schwelgend präsentieren sich die Essener Philharmoniker unter Stefan Soltesz, die eine hinreißende, äußerst differenzierte Interpretation liefern – von den silbrig-zarten Klängen in den Vorspielen bis hin zur brutalen Härte der Konfrontation von Alfredo und Violetta im zweiten Akt.

Fazit

Solisten, Dirigent und Orchester werden zu Recht stürmisch gefeiert. Das Regie-Team muß sich einige Buhs gefallen lassen, wofür vermutlich die deftig inszenierten Massenszenen (splitternackter Statist inklusive) verantwortlich sein dürften. Trotzdem: Josef Ernst Köpplingers Inszenierung ist spannend, behandelt das Werk mit großem Respekt und bleibt dicht am Text. Eine musikalisch herausragende und durchaus sehenswerte Produktion!

Dr. Eva-Maria Ernst

Bild: Jörg Landsberg

Das Bild zeigt: Liana Aleksanyan (Violetta)

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