Musik und Text von Richard Wagner (1813-1883), Vorabend zum Bühnenfestspiel Der Ring des Nibelungen
UA: 22. September 1869, München
Regie: Tilman Knabe, Bühnenbild: Alfred Peter, Kostüme: Kathi Maurer; Dirigent: Stefan Soltesz, die Essener Philharmoniker
Solisten: Almas Svilpa (Wotan), Jochen Schmeckenbecher (Alberich), Rainer Maria Röhr (Loge), Heiko Trinsinger (Donner) u.a.
Besuchte Vorstellung: 8. November 2008 (Premiere)
Kurzinhalt
Die Riesen Fasolt und Fafner haben für Göttervater Wotan eine Burg gebaut. Hochmütig verweigert er ihnen den vereinbarten Lohn: Freia, seine Schwägerin. Feuergott Loge schlägt einen Kompromiß vor: Der Nibelung Alberich habe das Gold der Rheintöchter geraubt und sich daraus einen Ring geschmiedet, der ewige Macht verleihe. Wie wäre es, wenn Wotan Alberich diesen Ring abnähme und damit die Riesen bezahlte? Wotan ist wenig begeistert, doch als die Riesen Freia als Pfand mitnehmen, gerät er in Zugzwang: Nur unter Freias Hand gedeihen die Äpfel, die den Götter ewige Jugend spenden. Durch Loges List bringt Wotan den Ring an sich. Alberich verflucht den Ring: Er soll fortan jedem Träger Verderben bringen. Wotan hofft, die Riesen mit den von Alberich angehäuften Reichtümern abspeisen zu können. Als sie auch den Ring fordern, gibt Wotan ihn erst auf Rat der weisen Erda heraus. Fafner tötet Fasolt im Streit um das Gold – Alberichs Fluch hat sein erstes Opfer gefordert. Ungerührt ziehen die Götter in ihre neue Burg, Walhall, ein.
Aufführung
Regisseur Tilman Knabe siedelt die Oper in einem Milieu an, das an eine Mischung aus Der König von St. Pauli und Krimiserien mit sozialkritischem Anspruch nach Bella Block erinnert. Hier regieren Geld, schneller Sex und Brutalität. Sympathieträger gibt es keine, ob es nun Wotan ist, der König vom Kiez, die dem horizontalen Gewerbe nachgehenden Rheintöchter oder der auf einer Müllhalde hausende Alberich, der Straßenkinder für sich arbeiten läßt. Eine ironisch gebrochene, distanzierte Sicht auf das drastische Geschehen erlauben der bewußte Einsatz von Klischees und die Beibehaltung von Fantasy-Elementen wie Alberichs Tarnkappe oder die hier an eine Voodoo-Priesterin erinnernde Erda. Die Geschichte ist für Knabe mit dem Einzug der Götter in Walhall abgeschlossen: Die Inszenierung der übrigen Ring-Teile übernehmen andere Regisseure (Ähnliches hatte man vor Jahren in Stuttgart mit dem Ring gemacht), eine optische oder interpretatorische Klammer ist nicht geplant.
Sänger und Orchester
Die Aufführung trägt ein musikalisch hochkarätiges Ensemble, dem der Regisseur einiges abverlangt: Auf der viergeteilten Bühne sind alle ununterbrochen in Aktion. In erster Linie gehört der Abend Jochen Schmeckenbecher (Alberich): Sein robuster Bariton überdeckt mühelos das Orchester, ist dabei kantabel geführt und bemerkenswert modulationsfähig. Auch Schmeckenbechers schauspielerischer Totaleinsatz prägt sich ein. In Rainer Maria Röhr hat das Aalto-Theater einen – der heutigen Besetzungspraxis entsprechend – stimmlich leichtgewichtigen, zum Buffo-Fach neigenden Loge. Sein kaltes, geschmeidiges Timbre kommt dem Intriganten hervorragend zugute. Almas Svilpa (Wotan) hat das Potential für Wagners zentrale Bariton-Rollen. Jedoch lassen starke Vokal- und Diphtongverfärbungen (ein aus zwei Vokalen gebildeter Laut) seinen Gesang mitunter schwerfällig wirken. Unüberhörbar ist auch eine gewisse Anstrengung in der Höhe und im Forte. Ob es am Lampenfieber lag oder ob der junge Sänger mit dem Wotan noch überfordert ist – jedenfalls lief Heiko Trinsinger (Donner) Svilpa den Rang ab: Seine Stimme vereint Durchschlagskraft und noble Gesangslinie.
Stefan Soltesz und die Essener Philharmoniker nähern sich Wagners Partitur mit flüssigen Tempi und fast tänzerischer Leichtigkeit – eine bis auf kleine Patzer bei den Blechbläsern homogene Leistung. Ein Abstrich: Über Passagen, die eigentlich eine spannungssteigernde Zurücknahme des Tempos erfordern, wie z.B. das erstmalige Auftreten des Fluchmotivs bei Fasolts Tod, geht Soltesz etwas zu beiläufig hinweg.
Fazit
Die Erwartungen an den neuen Essener Ring sind hoch – wurde das Aalto-Theater doch erst kürzlich von Kritikern zum besten Opernhaus im deutschsprachigen Raum gewählt. Musikalisch ist ein solider Grundstock gelegt. Und auch Tilman Knabes intensive, mitunter abstoßende Bilder, fügen sich dank der profunden Kenntnis von Partitur und Text zu einem stimmigen Ganzen. Daß sich das Publikum am Ende in zwei Lager teilt, hat einen einfachen Grund: Schockeffekte wie die Vorführung sexueller Praktiken verschiedener Couleur sind einfach überflüssig.
Die Inszenierung der Walküre übernimmt Dietrich Hilsdorf, Premiere ist im Mai 2009. Der komplette Ring wird 2010 zu sehen sein.
Dr. Eva Maria Ernst
Bild: Matthias Jung
Das Bild zeigt: Rainer Maria Röhr (Loge), Jochen Schmeckenbecher (Alberich), Heiko Trinsinger (Donner)
und Barbara Kozelj (Floßhilde)