von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), Opera buffa in vier Akten, Libretto: Lorenzo da Ponte nach der Komödie La folle journée von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais (1778), UA: 1. Mai 1786 Wien, Burgtheater
Regie: Benjamin Schad, Bühne: Tobias Flemming, Kostüme: Stephan F. Rinke, Licht: Nicol Hungsberg
Dirigent: Konrad Junghänel, Gürzenich-Orchester und Chor, Chorleitung: Andrew Ollivant
Solisten: Mark Stone (Graf Almaviva), Maria Bengtsson (Gräfin Rosina), Ofelia Sala (Susanna), Matias Tosi (Figaro), Adriana Bastidas Gamboa (Cherubino), Hilke Andersen (Marcellina), Martin Koch (Basilio), Ji-Hyun An (Barbarina) u.a.
Besuchte Aufführung: 12. Oktober 2012 (Premiere)
Kurzinhalt: s. bei vielen anderen Rezensionen
Aufführung
Die ganze Bühnenbreite verschließt eine Wand mit einer Tür in der Mitte. Auf die linke Seite der Wand hat man nach Strichmännchen-Manier Mann und Frau nebeneinander mit Kreide gezeichnet. Hätte man beim Strichmännchen eine Unterhose eingezeichnet, würde der mit rötlicher Farbe gemalte Penis aus dieser beträchtlich herausragen.
Beim Erklingen der Ouvertüre kommen alle Darsteller von links auf die Bühne und gehen oder rennen an der Wand vorbei, wobei viele davon beim Blick auf die Strichmännchen den Kopf drehen und oft kopfschüttelnd weitergehen. Dieses Vorbeidefilieren wird sooft wiederholt, bis die Ouvertüre beendet ist. Links steht ein Schaukelpferd mit breitem Rücken, das als Brautbett dienen soll.
Nach dem Entfernen der Wand erscheint ein rechteckiges Zimmer mit einer quadratischen Kiste in der Mitte. Jede der drei Wände hat eine Tür. Später zerfallen die Zimmerwände nach und nach in einzelne Holzelemente. Am Ende ist die Bühne leer. Dann werden an Seilen von der Bühnendecke acht Frauenkörper herabgelassen. Sie alle sind nackt, haben riesige Hinterteile, gewaltige Schenkel und Brüsten. Die Köpfe sind eher klein geraten. Sie hängen bis zum Schluß senkrecht oder waagerecht über den Köpfen der handelnden Personen.
Die Herren tragen Anzüge, Figaro weißes Hemd, Hosenträger und schwarze Hose, Susanna kleidet ein halblanges, graues Kleid, die Gräfin zeigt sich im weißen ausgestellten Spitzenrock. Basilio kommt mit Stoffgamaschen und Jackett, etwa nach der Art eines Jägers, daher.
Sänger und Orchester
In rasender Geschwindigkeit begleitet die Ouvertüre das Defilee der Darsteller auf der Bühne, deren Schreie gelegentlich die Musik übertönen. Die Bläser mühen sich, beim Rasen mitzuhalten, was nicht immer gelingt. Die Pauke zeigt knallend ihr Können, was im Verlauf auch Sängerstimmen fast erschlägt (Graf Almaviva bei Vedrò mentre io felice … sospiro, 3. Akt).
Von Anfang an ist Matias Tosis (Figaro) Stimme kehlig belegt, besonders in den Höhen. Leider bleibt das bis zum Ende. Se vuole ballare – wenn Sie tanzen wollen (1. Akt) kommt hölzern gestelzt einher, ohne irgendwelche dynamische Abstufung, ohne Ironie oder Übermut. Die tiefen Töne erklingen allerdings deutlich, rund und wohltönend.
Das Duettino Marcellina/Susanne Via resti servita – nach Ihnen, Gnädigste, gestalten die beiden Sängerinnen Hilke Andersen/Claudia Rohrbach ohne Anmut und Leichtigkeit.
Nun wartete man auf Cherubinos Non so più cosa son – ich weiß nicht mehr, wer ich bin (1.Akt, 5. Szene). Vom mozartischen Kontrast Piano/Forte ist kaum davon etwas hörbar. Das ganze Singen bleibt eher im Forte. Die wunderbar „seufzenden“ Pausen gegen Ende werden angelernt, doch ohne jedes Sentiment wiedergegeben Zu spüren ist kaum ein kein Hauch der Verunsicherung dieses weder jugendlichen und noch erwachsenen Wesens (einmalig in der gesamten Opernmusik). Mit Voi che sapete che cosa è amor – ihr, die ihr wißt, was Liebe bedeutet (2. Akt, 2. Szene) macht die Sängerin mit Legato, deutlicherer Aussprache und Tongebung wieder einiges gut.
Mark Stone (Graf) bleibt vieles in Dynamik mit seiner voluminösen Stimme schuldig. In der kleinen Koloratur zum Schluß des Allegro (3. Akt, 4. Szene) Ah no, lasciarti in pace – ah, nein, dich in Frieden lassen deutet er die Triolen nur an und der Kadenz-Triller verschwindet in einem Vibrato. Insgesamt vermittelt er dennoch einen wütenden, eifersüchtigen Mann recht gut.
Schon zum Beginn des zweiten Akts läßt Porgi amor – gib Liebe aufhorchen. Maria Bergtsson (Gräfin) gestaltet dann Dove sono i bel momenti – wo sind die schönen Augenblicke (3. Akt, 8. Szene, bei der Aufführung vorgezogen) so ergreifend, daß sicher die Herzen der Sängerenthusiasten höher schlagen. Hier stimmt plötzlich alles: im Orchester hört man deutlich Oboe und Fagott, das Tempo stimmt, das An- und Abschwellen und der Klang von Maria Bergtssons Soprans kommen perfekt. Ihre Sehnsucht nach Liebe überträgt sich auf die Zuhörer.
Am Opernende kriechen beinahe alle Sänger auf allen Vieren. Vielleicht fürchten sie sich vor den über ihnen hängenden aufgedunsenen Frauenkörper? Ein Singen in dieser Haltung grenzt dabei an Akrobatik. So ist auch ein sachgerechtes Urteil unmöglich.
Fazit
Der Regisseur und sein Team haben sicher einen Geschmack voller Humor. Doch ihn zu verstehen würde sich vielleicht erst nach einem detaillierten Vortrag des Regisseurs erschließen. Vielleicht fühlten sich die Sänger auch nicht ganz wohl in ihrer Haut, denn einige von ihnen leisteten bei anderer Gelegenheit (Alcina, 16. Juni 2012) sehr viel mehr. Eine tolle Aufführung für den Tollen Tag!
Dr. Olaf Zenner
Bild: Paul Leclaire
Das Bild Zeigt: Das Ensemble