MÉDÉE – Paris, Théâtre des Champs Élysées

von Marc-Antoine Charpentier (1643-1704), Lyrische Tragödie in fünf Akten mit Prolog, Libretto: Thomas Corneille, UA: 4. Dezember 1693 Paris, Académie de Musique

Regie: Pierre Audi, Bühne: Jonathan Meese, Kostüme: Jorge  Jara,  Dramaturgie:  Willem Bruls, Licht:: Jean Kalman, Choreographie: Kim Brandstrup

Dirigent: Emmanuelle Haïm, Le Concert d’Astrée und Chor d’Astrée

Solisten: Michèle Losier  (Médée, La Gloire), Anders Dahlin (Jason), Stéphane Degout (Oronte,) Sophie Karthäuser  (Créuse/La Victoire), Laurent Naouri (Créon), Aurélia Legay (Nérine/Bellone), Elodie Kimmel (Cléone), Katherine Watson (eine Italienerin/ein Gespenst/eine Schäferin), Benoît Arnould  (Arcas/ ein Bürger), Clémence Olivier (Amour)

Besuchte Aufführung: 12. Oktober 2012 (Premiere)

Kurzinhalt

Erst nachdem zu jener Zeit üblichen Huldigungsprolog an Louis XIV. beginnt die eigentliche Handlung:

Médée ist überzeugt, daß ihr Mann Jason, Prinzessin Créuse, die Tochter Königs Créon liebt, obwohl letztere König Orontes Gemahlin werden soll. Zum Schein macht Médée gute Miene zum bösen Spiel und zeigt sich sogar bereit, Créuse ihr prachtvolles Sonnenkleid zu schenken. Insgeheim aber verständigt sie Oronte, daß Créon ihn hintergeht und seine Tochter mit Jason vermählen will, und schwört blutige Rache. Sie ruft die höllischen Mächte zu Hilfe, vergiftet das Sonnenkleid, das Créuse tragen soll und treibt Créon, der sie vertreiben will, durch Zauberei in den Wahnsinn. In seiner Verblendung tötet Créon Oronte und dann sich selbst. Créuse stribt unter schrecklichen Qualen im Sonnenkleid. Und um Jason wirklich alles zu nehmen, ermordet Médée auch ihre gemeinsamen Kinder. Dann steckt sie die Stadt in Brand setzt und verschwindet in ihrem Feuerwagen.

Aufführung

Pierre Audis Regie ist statisch, Jonathan Meeses Bühnenbild für ein „Enfant terrible“ eher neutral. Die Bühne ist übersät mit Tarpezblöcken, die umgekehrt zu Särgen werden. Die Bühnenbilder bestehen aus verschiebbaren weißen Kulissenwänden. In der ersten und letzten Szene hängt ein gelber Mond in blauer Farbe im Hintergrund, sonst sind es große Auge-Nase-Mund Reproduktionen. In militärischen Momenten senken sich drei weiße Riesen-Eiserne-Kreuze über die Bühne, dann wieder ist es ein hoher Monumentsockel, auf dem Amor landet. Die Kostüme sind eher kontemporär gehalten: Créon in schwarzem Anzug mit goldenem Überwurf, Médée auch ganz in schwarz, Kleid, Strümpfe und Stöckelschuhe, auch schwarze, glatte Haare mit Juliette-Gréco-Frisur, manchmal darüber ein weinroter Regenmantel. Créuse schwarz und dann in grünem Sonnenkleid.

Unheimlich, der Chor in schwarzen, enganliegenden Kostümen mit grauen Querstreifen auf der Brust , der in sehr wirksamer Choreographie als einziges lebhaftes Element, teils laufend, teils wie Insekten kriechend, die Bühne bevölkert.

Sänger und Orchester

Michèle Losier bewältigt mit reicher, wechselvoller Stimme die schwierige, alle überragende Titelrolle. Besonders eindrucksvoll im dritten Akt, in dem sie sämliche Gemütslagen der emotionellen Heldin durchläuft, von lyrischer Liebeshoffnung Vous avez l’exil (2. Szene) bis zu wilder Vergeltungs- und Mordsucht Noires filles du Styx (5. Szene). Man hätte sich jedoch manchmal bei ihr weniger Vibrato gewünscht. Anders Dahlin wirkt mit schöner hoher, in den Höhen manchmal eher dünner Tenorstimme (eigentlich haute-contre à la française) notwendigerweise etwas blaß neben der Furie Médée. Sophie Karthaüser, die uns vor zwei Jahren in Cavallis La Callisto erfreute, war auch hier wieder mit reiner klarer Sopranstimme eine bewegende Créuse, wie im Duett mit Jason im vierten Akt (2. Szene) Ah! Que d’attraits. Laurent Naouri singt und spielt einen verschlagenen Créon, besonders eindruckvoll in der Wahnsinnsszene Noires divinités (4. Akt, 9. Szene). Stéphane Degout ist mit warmer, voller Baritonstimme der redliche König Oronte. Zu erwähnen sei noch Katharine Watson  in der fröhlichen italienischen Arie Chi teme d’amore (2. Akt, 7. Szene).

Emmanuelle Haïm dirigiert das ausgezeichnete Ensemble Le concert et le chœur d’Astrée. Es fällt auf, daß in der Partitur grausame Szenen auf der Bühne oft von höchst heiteren Tanzweisen im Orchester begleitet werden.

Fazit

Weder Charpentier, noch sein Librettist (jüngerer Bruder von Pierre Corneille) stand im Dienste Ludwigs XIV. Der König erschien aber dennoch zur Premiere und war sogar einigermaßen beeindruckt von dieser Oper, die nicht nur blutrünstig, sondern entgegen aller Tradition bis zum Ende an der perversen Tragödie festhält, in der es kein happy end gibt. Die mehr oder weniger Guten sterben, die böse Zauberin hingegen (wenn auch bis zu einem gewissen Grad entschuldbar) triumphiert in ihrer Rache. Lange hat sich die Oper dennoch nicht auf der Bühne gehalten und ist erst zwei Jahrhunderte später wieder entdeckt worden.

Ein denkwürdiger Abend!

Alexander Jordis-Lohausen

Bild: Ruth Walz

Das Bild zeigt: v.l.n.r.: Stéphane Degout (Oronte), Sophie Karthäuser (Créuse), Anders Dahlin (Jason)

 

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