von Christoph Willibald Gluck, Tragédie-opera in drei Akten, Libretto: Marie Francois Louis Gand-Leblanc Bailli du Roullet nach Jean Baptiste Racine, UA: 19. April 1774, Paris, Opéra, Palais Royal
Regie: Andrea Moses Bühne/Kostüme: Christian Wiehle
Dirigent: Christoph Poppen und das Opernorchester Stuttgart
Solisten: Shigeo Ishing (Agamemnon), Hadar Halévy (Klytemnestra), Mandy Fredrich (Iphigenie), Avi Klemberg (Achill), Ronan Collett (Kalchas), Kai Preußler (Arkas), Adam Cioffari (Patroklos)
Besuchte Aufführung: 01. November 2012 (Premiere)
Um den Krieg zu gewinnen, soll König Agamemnon seine Tochter Iphigenie der Göttin Diana opfern. Da er dazu nicht in der Lage ist, versucht er Iphigenie von Aulis fernzuhalten, indem er das Gerücht verbreitet, ihr Geliebter Achilles sei untreu. Doch dieser kann Iphigenie von seiner Liebe überzeugen. Die Griechen fordern ihren Tod. Der König ist hin- und hergerissen, kann seine Tochter aber nicht umbringen. Um den Vater zu entlasten, entschließt sich Iphigenie, freiwillig zu sterben. Achilles versucht sie zu retten. Kurz darauf verkündet Kalchas, daß Diana auf das Opfer verzichtet. Agamemnon vereint das Liebespaar und die Griechen preisen die Göttin.
Aufführung
Auf der Bühne steht ein Rohholzbau, der mit transparenten Folien überzogen ist und ein spitzes Dach hat. Das Ganze erinnert an ein Gewächshaus. Im dritten Akt wird eine Guillotine in der Mitte der Bühne aufgebaut, die Iphigenies Opfertod andeutet. Im Vordergrund stehen Schreibtischstühle und ein Tisch. Agamemnon trägt einen Nadelstreifenanzug wie ein Geschäftsmann. Alle männlichen Darsteller tragen knielange Röcke über ihren Hosen. Iphigenies Kleidung ist bunt: sie trägt einen Flickenmantel und türkisfarbene Strümpfe, später ein weißes Hochzeitskleid an. Klytemnestra erscheint in Lederjacke und Bleistiftrock in schwarz.
Sänger und Orchester
Christoph Poppen dirigiert das Orchester während der Ouvertüre in einem schreitenden Andante. In den Sechzehntelläufen zieht er das Tempo zu einem mäßigen Allegro an. Shigeo Ishings (Agamemnon) Auftritt ist der erste Höhepunkt des Abends. Sein Baßbariton verfügt über eine samtige und substanzreiche Tiefe, sowie eine glänzende Höhe. Im ersten Akt zeigt er die Zerrissenheit seiner Rolle in der Arie Diana impittoyable – Erbarmungslose Diana: im sotto voce fleht er leise die Götter an, beherrscht aber ebenso die lauten Töne, indem er seine Stimme zu einem bedrohlichen Donnern anschwellen läßt. Ronan Collets (Kalchas) stimmliche Qualität ist nicht differenziert genug. Sein Gesang ist meist zu laut, am Ende des dritten Aktes wirkt sein knarrender Bariton fast schon dröhnend. Erwähnenswert ist auch der Stuttgarter Opernchor. Besonders der Frauenchor singt im zweiten Akt sehr legato, so daß sich die einzelnen Stimmen gut aneinander anschmiegen. Auch im gemischten Chor ist die Intonation durch den ausgewogenen Klang der Stimmlagen ein wahrer Genuß. Nur das Zusammenspiel mit dem Orchester ist an manchen Stellen holprig. Die größte Überraschung des Abends ist Mandy Fredrich (Iphigenie), die ihr Debut in Stuttgart gibt. Ihr schmelzender Sopran ist sehr hell gefärbt und hat ein lyrisches Timbre. In der Air Par la crainte et par l‘espérance – Bald von Furcht und bald von Hoffen gelingen ihr die Stimmungswechsel zwischen Verzweiflung und Hoffnung stimmlich sehr gut. Die hohen Töne haucht sie zart an und bleibt auch in den schnelleren Partien rhythmisch genau. Ein ähnlich helles und lyrisches Timbre hat der Tenor Avi Klemberg (Achill), der für die erkrankte Hauptbesetzung eingesprungen war. In den mittleren Lagen klingt seine Stimme manchmal etwas dünn und kehlig, in den Höhen strahlt sein Tenor aber üppiger. Hadar Halévy (Klytemnestra) hat ein flatterndes Vibrato in der Stimme, das im ersten Akt stark zum tremolo neigt und ihren Mezzo verdunkelt. Ab dem zweiten Akt bessert sich dies. In der Arie Dieux puissans que j’atteste – Ich nehm euch ihr Götter zu Zeugen läßt sie ihre Stimme dramatisch an- und abschwellen und beherrscht auch das messa di voce (Ausschicken der Stimme) hervorragend.
Fazit
Insgesamt ist die Inszenierung parodistisch und setzt komödiantische Akzente, paßt aber nicht zur tragischen Handlung der Oper. Das glückliche Ende wird von der Regie in Frage gestellt, denn Iphigenie und Agamemnon brechen beim Tanz mit ihren Partnern geschwächt zusammen.
Von einigen stimmlichen Schwächen abgesehen ist die Musikdarbietung zu loben, allen voran Mandy Fredrichs in ihrem Auftritt. Auch das Publikum sieht das so: aus den vorderen Reihen bekommt sie einen Blumenstrauß zugeworfen.
Melanie Joannidis
Bild: A.T. Schaefer
Das Bild zeigt: Adam Cioffari (Patroklos), Mandy Fredrich (Iphigenie), Avi Klemberg (Achill), Shigeo Ishino (Agamemnon), Hadar Halévy (Klytämnestra), Staatsopernchor Stuttgart