ELEKTRA – Chicago, Civic Opera House

von Richard Strauss (1864-1949), Oper in einem Akt, Libretto von Hugo von Hofmannsthal

UA: 25. Januar 1909  Dresden,  Sächsische Staatsoper

Regie: David McVicar, Kostüme/Bühne: John Macfarlane, Licht: Jennifer Tipton, Choreographie: August Tye

Dirigent: Sir Andrew Davis, Lyric Opera Orchestra

Solisten: Christine Goerke (Elektra), Emily Magee (Chrysothemis), Jill Grove (Klytämnestra), Alan Held (Orest), Roger Honeywell (Aegisth), Jason Stearns (Pfleger des Orest), Victoria Livengood (Erste Magd), J’Nai Bridges (Zweite Magd), Cecelia Hall (Dritte Magd), Rebecca Nash (Vierte Magd), Tracy Cantin (Fünfte Magd)  u.a.

Besuchte Aufführung: 6. November 2012

Kurzinhalt

Klytämnestra, die königliche Mutter von Elektra und Chrysothemis, hat mit ihrem neuen Liebhaber Aegisth ihren Ehemann Agamemnon umgebracht. Seitdem herrschen finstere Verhältnisse: Elektra ist von Rachegelüsten besessen, während ihre Mutter von Verfolgungswahn gepeinigt wird. Schwester Chrysothemis versucht sich derweil, mit der Situation zu arrangieren. In einer Unterhaltung teilt Elektra ihrer Mutter mit, daß nur ihr Tod sie von ihrer Paranoia befreien kann. Elektra setzt diesbezüglich alle Hoffnungen auf ihren Bruder Orest. Dieser wurde auswärtig seelenlos großgezogen und soll die Rache an Klytämnestra und Aegisth vollbringen. Nachdem zunächst sein Tod gemeldet wird, taucht er doch verkleidet am Hof auf. Er vollzieht die Tat, in den Kämpfen geht der Palast in Flammen auf. Elektra verfällt dem Wahn und stirbt, ebenso wie ihre Schwester Chrysothemis.

Aufführung

Vor Beginn der Aufführung verdeckt ein massiver blauer Vorhang die Bühne. Doch an einer Stelle läßt dieser bereits ein wenig Bühne sichtbar werden: Bereits hier deutet ein großer Steinhaufen eine zerstörte Welt an. Das bestätigt sich: Auf der linken Seite zeigt sich schräg angeordnet ein massives, glattes Portal mit einer imposanten Treppe. Doch der Gesamteindruck ist kalt und abweisend: Selbst das Becken vor dem Tor, was zu Beginn von den Mägden gereinigt werden soll, ist mit Schutt angefüllt. Ein gigantisches Eisengitter im Tor verdeutlicht zudem den Eindruck, daß sich die darin Lebenden von der Außenwelt abschirmen wollen. Laut Programmheft sind die Kostüme an der Mythologie Afrikas angelehnt, zugleich wird aber betont, daß man die Handlung nicht an eine konkrete Zeit oder Ort binden möchte.

Sänger und Orchester

Für ihren Bühnenmarathon teilt sich Christine Goerke (Elektra) die Kräfte gut ein, sie beginnt zunächst zurückhaltend. Dabei überzeugt ihre nuancierte Gestaltung der tiefen Passagen, während sie in hohen Lagen sich ohne forciertes Vibrato gegen das Orchester durchsetzen kann. Bemerkenswert gelingt ihr die Ankündigung ihrer Mutter gegenüber, daß diese sich selbst opfern muß. Ebenso herausragend das Erkennen des eigenen Bruders, wo sie trotz zurückgenommener Lautstärke die volle Tragfähigkeit ihrer Stimme zeigt. Emily Magee (Chrysothemis) steht dem in nichts nach: Eine bewegliche Stimmführung ermöglicht ihr, lange lyrische Linien zu zeichnen, während sie jederzeit bruchlos in ein attackierendes Register wechseln kann. Auch ihre klare Aussprache muß lobend erwähnt werden. Ein weiterer Höhepunkt ist ihr Duett mit Elektra, kurz bevor diese sie verflucht. Jill Grove (Klytämnestra) vervollständigt ein hervorragendes Damen-Trio: Ein beeindruckendes Klangvolumen paart sich mit wohlüberlegter Stimmführung, vor allem in den tieferen Regionen. Dazu kommt eine sehr überzeugende schauspielerische Leistung.

Roger Honeywell (Aegisth) weiß als lyrischer Schwächling ohne dramatische Manneskraft zu gefallen. Von den Nebenrollen gilt es den kurzfristig eingesprungenen Bernard Holcomb (Junger Diener) positiv zu erwähnen: Das Mitglied des lokalen Opernstudios überzeugt mit hell geführtem Tenorklang, der ohne Anlaufschwierigkeiten große Tragfähigkeit aufweist.

Sir Andrew Davis unterzieht im Orchestergraben mit dem Lyric Opera Orchestra die Partitur einer genauen Durchleuchtung: Tonale Passagen klingen lieblich süß und doch nicht klebrig, in avancierteren Momenten ertönt ein bedrohliches Grollen. Immer wieder werden Soloinstrumente mit einzelnen Motiven aus dem Orchesterklang herausgelöst, um direkt danach wieder mit dem Gesamtklang zu verschmelzen. Ob kammermusikalische Instrumentierung oder großer Ton, niemals verliert der Gesamtklang seinen Vorwärtszug. Lediglich an einigen Stellen hätte man sich ein wenig mehr Zurückhaltung des Orchesters gewünscht. Anstatt gleichberechtigter Partnerschaft hat vor allem Christine Goerke (Elektra) immer wieder mit einem Klangvolumen aus dem Orchestergraben zu kämpfen, die das Verfolgen der Gesangsstimmen schwierig macht.

Fazit

Eine herausragende musikalische Leistung von Solisten und Orchester. Dazu eine unaufgeregt wirkende, aber sehr spannungsvolle Inszenierung für einen altbekannten Stoff. Lediglich das zeitweilige Verhältnis zwischen Orchester zu Sängern kann zur Geschmacksfrage werden. Doch in jedem Fall eine sehr gelungener Opernabend!

Malte Wasem

Bild: Dan Rest

Das Bild zeigt: Klytämnestra (Jill Grove, hinten links), Elektra (Christine Goerke, vorne rechts)

 

 

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