von Jules Massenet (1868-1912); Lyrisches Drama in vier Akten von Edouard Blau nach Johann Wolfgang von Goethe; UA: 1892 , Wien (in deutscher Sprache, 1893,Paris
Regie: Robert Lehmeier, Ausstattung: Tom Musch
Dirigent: Alois Seidlmeier, Philharmonisches Orchester Landestheater Coburg, Kinderchor
Solisten: Milen Bozhkov (Werther), Franziska Rabl (Charlotte), Marek Reichert (Albert), Sofia Kallio (Sophie), Jason Nandor-Tomory (Johann), Christian Sturm (Schmidt), Michael Lion (Le Bailli, Amtmann)
Besuchte Vorstellung: 7.November 2008 (Premiere)
Kurzinhalt
Bereits im Sommer studiert der Amtmann mit seinen Kindern Weihnachtslieder ein. Die älteste Tochter Charlotte hat nach dem Tod der Mutter deren Rolle übernommen und kümmert sich rührend um die jüngeren Geschwister. Werther begleitet Charlotte auf ein Fest, da ihr Verlobter Albert noch auf Reisen ist. Werther gesteht Charlotte seine Liebe. Diese hat auch Gefühle für ihn, hatte jedoch ihrer Mutter am Sterbebett versprochen, Albert zu heiraten.
Albert und Charlotte sind nun verheiratet. Albert bietet Werther seine Freundschaft an, doch er kann seine Gefühle nicht kontrollieren. Charlotte rät ihm, bis Weihnachten fortzugehen. Werther hat seinen Selbstmord klar vor Augen.
Charlotte liest voll Trauer wieder und wieder die Briefe Werthers. Weder die Schwester Sophie, noch Gebete können sie aufmuntern. Werther will Charlotte ein letztes Mal sehen. Er sucht sie auf und offenbart ihr seinen Todeswunsch. Charlotte weist ihn endgültig zurück. Brieflich bittet Werther Albert um die Leihgabe seiner Pistolen. Er bittet Charlotte sie ihm zu übergeben. Sie versucht Werther zu finden, erreicht ihn jedoch zu spät. Im Moment seines Todes gesteht auch Charlotte ihre Liebe. Werther stirbt in ihren Armen – in der Weihnachtsnacht, aus der Ferne tönt das Weihnachtslied der Kinder.
Aufführung
Ein Einheitsbühnenbild, veränderbar durch Hubpodien und so immer wieder offen für neue Auftrittsmöglichkeiten, sowie ein Traum von einem rosa Nylonvorhang erweckt Assoziationen an die Ästhetik der 50er Jahre. Auch alle Kostüme, vom Bademantel des Vaters bis hin zu den Kostümen Charlottes und Sophies, über die eleganten Smokings von Albert und Werther, über die Golfanzüge von Johann und Schmidt: alles ist stimmig. Robert Lehmeier verwendet eine schwarz-weiße Zeichnung der Charaktere, die gedämpften Farben dämpfen auch die Stimmung. Es gibt kaum Bewegung, nur eine stark reduzierte Gestik, die äußere Handlung ist nur angedeutet: So findet der Ball nur mit Lichteffekten statt, während die Teilnehmer fast statisch im Raum stehen und ihre Beziehung zueinander reflektieren. Der Kinderchor am Anfang fungiert als harmlose Einleitung. Schon in der Ballszene nimmt das Schicksal eindrucksvoll seinen Lauf als die gescheiterte Dreiecksbeziehung Albert-Werther-Charlotte deutlich wird. Charlotte liebt Werther auf einer anderen Ebene als Albert. Werther wird das nie verstehen, nie überwinden können. Das Ende des zweiten Akts macht klar, daß der große Erfolg dieser Geschichte dem voyeuristischen Interesse am Leid unserer Mitmenschen verdankt, ohne wirklich Helfen zu wollen oder zu können: Johann und Schmidt sehen feixend dem Leiden Werthers zu. Der komplette vierte Akt ist nur dem Liebestod von Werther in den Armen Charlottes am Weihnachtsabend gewidmet. Diese gnadenlose Weihnachtsgeschichte ist dank der bis ins letzte durchdachten Personenführung und einer genialen Lichtregie von Klaus Bröck eine sehr gelungene Weihnachtsoper.
Sänger und Orchester
An diesem Abend gibt es für diese geschlossene Leistung auf hohem Niveau nichts auszusetzen. Milen Bozhkov verfügt als Werther über eine strahlend schöne Mittellage mit unendlicher Mitleidsphase, Franziska Rabl (Charlotte) über einen wunderschönen Mezzo mit dem sie ihre innere Zerrissenheit wunderbar gestalten kann, Sofia Kallio (Sophie) ist ein zurückhaltender weicher Sopran, Marek Reichert (Albert) ein in allen Lagen überzeugender Bariton und Michael Lion überzeugt mit sonorer Stimme. Auch die Nebenrollen sind ausgezeichnet besetzt. Das Orchester unter Alois Seidlmeier zaubert einen wunderbaren Abend mit viel weichem französischem Charme, wenn es auch manchmal etwas zu laut wird. Extra zu loben ist, daß es ihm gelingt, die Spannungsspitze des Leidens über alle vier Akte zu halten. Besonders erwähnenswert: der gut vorbereitete Kinderchor.
Fazit
Ein Abend der zu Recht mit frenetischem Applaus für Sänger, Kinderchor, Dirigent, Orchester und Regie endet. Eine der seltenen Sternstunden der Oper, die auch die Frage aufwirft, weshalb dieses geniale Stück so selten gespielt wird.
Oliver Hohlbach
Bild: Henning Rosenbusch
Das Bild zeigt Charlotte und Ihre Geschwister (Kinderchor)